Artikel erschienen am 01.12.2011
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Der Firmentarifvertrag

Eine Chance für jedes Unternehmen!

Von Dr. iur. Thies Vogel, Braunschweig

Noch im Jahr 1996 waren von ca. 45 000 abgeschlossenen Tarifverträgen ca. 30 000 Verbandstarifverträge. Firmentarifverträge (oder auch Haustarifverträge) wurden nur ca. 15 000 Mal abgeschlossen. Dieses Verhältnis hat sich aktuell grundlegend geändert.

Im Jahre 2009 lag die Anzahl der Verband­starif­verträge und Firmen­tarif­verträge bei ca. 37 000 nahezu identisch gleich hoch. Bei den im Jahr 2009 neu registrierten Tarif­verträgen war der Firmentarifvertrag mit 3 762 Abschlüssen weit vor dem Verbands­tarif­vertrag mit 2 548 Abschlüssen anzutreffen. Hierdurch zeigt sich, dass der Firmen­tarifv­ertrag zunehmend an Einfluss gewinnt. Er kann einen wichtigen unter­nehmerischen Wett­bewerbs­vorteil darstellen.

Der folgende Beitrag soll kurz skizzieren, welchen Sinn und Zweck Firmen­tarif­verträge haben können und wie eine praktische und gewinnbringende Umsetzung gelingen kann.

I. Typische Ausgangssituationen

Typische Ausgangssituation im Hinblick auf den beabsichtigten Abschluss eines Haus­tarif­vertrages ist ein besonderes Regelungsbedürfnis bei einem Herauswachsen aus dem Geltungsbereich eines Verbandstarifvertrages, aber auch bei tariflichen Vorteilen von Wettbewerbern, bei standortbezogenen Besonderheiten, einer notwendigen bestehenden Umstrukturierung oder einer Post-Merger-Situation. Letztlich hilft ein Firmentarifvertrag auch bei Outsourcing oder Joint-Venture-Situationen oder gar dem Austritt aus dem Arbeitgeberverband.

II. Konkrete Beispiele für Haustarifverträge:

  • Ein mittelständiges Trans­port- / Logistikunternehmen erwirbt einen ausgegliederten Transport-/ Logistik­bereich eines Konzerns. Ziel: Anpassung der Arbeits­bedingungen an die eigene Unter­nehmens­struktur bzw. Absenkung / Abkop­plung des Ver­gütungs­niveaus.
  • Bei einem Unternehmens­zusammenschluss (Post-Merger-Situation) liegt eine Tarif­bindung des erwerbenden Unter­nehmens (Asset-Deal) bzw. des erworbenen Unter­nehmens (Share-Deal) vor. Ziel ist hierbei die Ablösung der Verbands­tarif­verträge bzw. von Haus­tarif­verträgen des Veräußerers.
  • Ein Konzern an mehreren Standorten gliedert verschiedene Abteilungen auf eine Joint-Venture-Gesellschaft aus. Ziel ist hier die Verein­heitlichung der Arbeits­bedingungen in der neuen Gesellschaft bzw. die Optimierung von Tarifstrukturen.
  • Ein Unternehmen der Metallbranche tritt aus dem Arbeitgeber­verband aus. Zukünftig sollen zwar weiterhin tarif­vertragliche Regelungen gelten, allerdings teilweise abwei­chend vom Verbands­tarifvertrag und speziell auf die Bedürfnisse des Unter­nehmens exakt abgestimmt. Ziel ist hier die (teilweise) Ablösung der alten Verbands­regelungen sowie die Einführung neuer, unter­nehmens­spezifischer Regelungen.
  • Früher stellte ein Unternehmen vorwiegend Produkte her, die eindeutig dem Metall­bereich zuzuordnen waren. Über mehrere Jahre änderte sich der Markt und die Produkte des Unternehmen werden nunmehr überwiegend aus Kunststoffen hergestellt. Ziel ist hier der Abschluss von Überleitungstarifverträgen, der Wechsel zu der zuständigen Gewerkschaft und die Ablösung der bisherigen Verbandstarifverträge.
  • Eine tarifgebundene AG stellt Spritz­guss­maschinen her und fällt unter den Geltungs­bereich der IG-Metall-Ver­bands­tarif­verträge. Der unmittelbare Haupt­wett­bewerber, eine GmbH, ist jedoch nicht tarif­gebunden und arbeitet unter wesentlich günstigeren Bedingungen (z. B. 40-Stunden-Woche, unter­tarifliche Bezahlung etc.). Das Ziel besteht hier in der Sicherung / Wieder­herstellung der Wett­bewerbs­fähig­keit durch Senkung der Personal­kosten.
  • Eine AG (1 000 Arbeitnehmer) hat Berechnungen angestellt, wonach die Produktion in Osteuropa um 30 % kostengünstiger erfolgen könnte. Die deutsche Geschäfts­leitung will den Standort jedoch durch ein Kosten­ein­sparungs­programm halten und eine Betriebs­schließung verhindern. Die Ziele bestehen hier in einer Kosten­senkung unter Vermei­dung betriebs­bedingter Kündi­gungen.

Fazit: Haustarifverträge sind ein wirksames Instrument zur Bewältigung von unter­nehmens­bezogenen Herausforderungen.

III. Typische Regelungen in Haustarifverträgen

In Haustarifverträgen finden sich grundsätzlich Regelungen zur Arbeitszeit, z. B. zur Erhöhung der Dauer der Wochen­arbeitszeit, Regelungen für Teilzeit­arbeit­nehmer, zur Flexibilisierung der Lage der Arbeitszeit, zu Arbeits­zeit­konten, zur Aufhebung tarif­vertraglicher Beschränkungen usw.

Ferner werden oftmals bestimmte Aspekte zum Arbeitsentgelt geregelt, wie die Abkop­plung von den Entwicklungen der Verbands­tarifverträge („Einfrierung“), vorüber­gehende Absenkung der laufenden Vergütung und Regelungen zum Urlaubs-/Weih­nachts­geld, z. B. über eine Koppelung an das Unter­nehmens­ergebnis oder an die persönliche Leistung.

Beispielhaft für Haustarifverträge sind aber auch Investitions­zusagen, z. B., der Arbeitgeber verpflichtet sich, einen bestimmten Betrag am Standort zu investieren bzw. bestimmte Güter anzuschaffen. Hier ist bei langfristigen Investitionszusagen jedoch Vorsicht geboten.

Möglich sind im Gegenzug auch Beschäftigungssicherungszusagen oder aber der Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen während der Laufzeit, der Ausschluss von Outsourcing-Maßnahmen oder eine (befristete) Standortsicherungszusage.

IV. Besonderheit: Rechtliche Nachwirkung

Vom Grundsatz her wirken Haustarifverträge gem. § 4 Abs. 5 Tarifvertragsgesetz (TVG) nach, d. h., bei einer Befristung oder aber einer Kündigungsmöglichkeit ist daran zu denken, dass die Nachwirkung für bestimmte oder jede einzelne Regelung geprüft und ggf. ausdrücklich ausgeschlossen werden muss. Typische Fallstricke einer Nachwirkung sind ein etwaiger Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen, Standortzusagen oder zusätzliche Leistungen in den Haustarifverträgen.

V. „Für und Wider“ des Haustarifvertrages

Nur noch 50 % der Beschäftigen fallen unter die Geltung von Flächen- bzw. Verbands­tarif­verträgen. Diese standen immer für eine Einheitlichkeit, hatten Ordnungs­funktion und Planbarkeit. Sie führten zur Friedenspflicht und zum Verbandsschutz und zu einer Entlastung für die betroffenen Unternehmer. Unter Umständen waren die Bedingungen aber fremdbestimmt, pauschal, teuer und unflexibel. Der (internationale) Wett­bewerbs­druck hat jedoch zugenommen. Der Firmen­tarif­vertrag ist dagegen unternehmens­spezifisch und wettbewerbs­affin. Er ist situations­angepasst und führt zu zeitnahen flexiblen Lösungen. Voraussetzung für einen Firmen­tarifvertrag sind aber entsprechendes Know-how und eine rechtssichere Umsetzung.

VI. Abschluss

Die Parteien des Haustarifvertrages sind der Arbeitgeber und die Gewerkschaft. Der Arbeitgeber hat dabei Tariffähigkeit nach § 2 Abs. 1 TVG unabhängig von der Größe, Mächtigkeit oder sonstigen Stärke. Es ist Schriftform erforderlich (§ 1 Abs. 2 TVG). Rechtlich kann ein Firmentarifvertrag trotz Verbandsmitgliedschaft abgeschlossen werden, da diese Wirkung nach außen durch die Verbandssatzung nicht ausgeschlossen werden kann. Im Innenverhältnis stellt der Abschluss eines Firmentarifvertrages trotz Verbands­mitglied­schaft jedoch einen Verstoß gegen die Verbandspflichten dar.

Eine Besonderheit stellt ferner ein Wechsel in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung – sog. OT-Mitgliedschaft – dar, für die wiederum besondere Regelungen zu beachten sind.

VII. Fazit

Sofern man die vorbezeichneten Ziele, Interessen und Gestaltungsmöglichkeiten beachtet, stellt sich ein Firmentarifvertrag als ein wertvolles Instrument zur nachhaltigen Sicherung des unternehmerischen Erfolges dar. Es lohnt sich, über die mit dem Abschluss eines Firmentarifvertrages notwendigen rechtlichen Aspekte und wirtschaftlichen Effekte einmal nachzudenken.

Foto: Panthermedia

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