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Doppelnützige Treuhand

Von Manuel Sack, Braunschweig | Leif Engelbrecht, Hannover

Den in den Medien und im beratenden bzw. unternehmerischen Alltag regelmäßig aktualisierten Nachwirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise kann man sich neben den üblichen betrieblichen Herausforderungen nicht entziehen. Nicht zuletzt durch Insolvenzverfahren wie Lehman Brothers, Arcandor und Woolworth werden einzelne Aspekte und die zentrale Funktion der Insolvenzordnung (InsO) ohne Einschränkungen durch die Größe und Bedeutung einzelner Unternehmen („too big to fail“) auf allen Ebenen diskutiert. Neben Haftungs- und Verlust- bzw. Ausfallrisiken unter anderem für Gesellschafter, Arbeitnehmer, Lieferanten, Kreditversicherer und Banken werden vermehrt auch die Chancen wahrgenommen, die das Insolvenzverfahren mit Instrumenten wie Insolvenzplan und Eigenverwaltung bietet. Außerhalb der Möglichkeiten, die die InsO eröffnet, stellt die Beratungspraxis unter anderem mit der „doppelnützigen Treuhand“ Sanierungsstrukturen zur Verfügung, die rechtzeitig vor einer Insolvenzreife des zu sanierenden Unternehmens erfolgversprechend sind.

Eine Stärkung von Sanierungsmöglichkeiten auf Grundlage der InsO bezweckt zwar der zurzeit viel diskutierte Gesetzentwurf zur weiteren Erleichterung der Unternehmenssanierung (RegE-ESUG). Auch ein erweiterter Gläubigereinfluss und eine Stärkung der Eigenverwaltung als wesentliche gesetzgeberische Motive der allseits erwarteten InsO-Novelle werden die teilweise auch nachteiligen Wirkungen eines Insolvenzverfahrens für die an einer Sanierung zentral interessierten Beteiligten nicht abschließend beseitigen können. Die InsO wird ein „öffentliches“ Verfahren bleiben, an dem fremdbestimmte Dritte weiterhin Rechte und Pflichten zur Einflussnahme haben. So sind die vorbezeichneten Fälle nicht nur Beispiele dafür, dass selbst Unternehmen mit mehreren Hunderttausend Mitarbeitern vor einem Insolvenzverfahren nicht geschützt sind, sondern auch dafür, dass eine fehlgeschlagene Verständigung der Stakeholder im Vorfeld gescheitert ist und eine etwaige Chance auf eine effektive, nicht öffentlichkeitswirksame und auf die Sanierungsthemen beschränkte Restrukturierung vergeben wurde. Grund sind häufig unüberbrückbare Vertrauensverluste zwischen den Gesellschaftern oder zwischen den Gesellschaftern, der Gesellschaft, deren Geschäftsführung und den (Haupt-) Gläubigern. Soweit für diese Beteiligten eine Zusammenarbeit jedoch weiterhin vorstellbar oder ein Glaube der (Haupt-) Gläubiger an die Sanierungschancen des Unternehmens gegeben ist, verfügt die Sanierungspraxis über Sanierungsinstrumente, die der jeweils vorgefundenen Situation entsprechen.

Ein in der jüngeren Vergangenheit – beispielsweise bei der Adam Opel GmbH – erfolgreich angewandtes Verfahren ist ein als „doppelnützige Treuhand“ bezeichnetes Modell. Dem Treuhänder werden von den Gesellschaftern, die neue Liquidität nicht in hinreichendem Umfang zur Verfügung stellen, Anteile an dem zu sanierenden Unternehmen („Gesellschaftsanteile“) übertragen, sofern insbesondere die in der Vergangenheit das Unternehmen finanzierenden Banken zu Sanierungsbeiträgen bereit sind. Diese wiederum werden (befristete) Stundungen nur aussprechen und frisches Geld nur zur Verfügung stellen, wenn ein Sanierungskonzept die Erwartung begründet, dass ihre bisherigen Sicherheiten werthaltig(er) gemacht und Forderungsausfälle vermieden bzw. minimiert werden können. Gemeinsames Ziel der Sanierung ist mithin die Wiederherstellung der Überlebens- und Kapitaldienstfähigkeit des Unternehmens oder eine Beteiligung der sanierungsbegleitenden Banken am Erlös aus einem Verkauf der Gesellschaftsanteile.

Die Doppelrolle des Treuhänders gegenüber Gesellschaftern und Gläubigern (Verwahrung / Verwaltung und Sicherung) dient während der sich an eine Übertragung zu treuen Händen anschließenden Sanierung insbesondere dem Interesse der beteiligten Gläubiger an einer Wertsteigerung des Unternehmens und einer Revitalisierung oder optimierten Abwicklung des Engagements.

Darüber hinaus dient der Treuhänder dem Interesse der Gesellschafter. Der Wert ihrer Gesellschaftsanteile ist zum Zeitpunkt der Übertragung regelmäßig erheblich vermindert. Mit den Sanierungsbeiträgen der Gläubiger können die Gesellschafter von einer erneuten Werthaltigkeit der Anteile profitieren. Entweder ihre bereits bestehenden und künftigen Verbindlichkeiten reduzieren sich durch den Wertzuwachs des ihnen (möglichst) weiterhin wirtschaftlich zurechenbaren Geschäftsanteils oder sie haben die Aussichten, erneut werthaltige Geschäftsanteile zurückzuerhalten. Letzteres ist in der Praxis ein durchaus realisierbares und in der Vergangenheit mehrfach realisiertes Szenario.

Auch bei der doppelnützigen Treuhand ist ein zentraler Punkt die vertragliche Ausgestaltung, insbesondere hinsichtlich der Verteilung des Einflusses auf das zu sanierende Unternehmen. Den Voraussetzungen für eine Rückübertragung der Anteile bzw. einen Verkauf des Unternehmens kommt aus unterschiedlichen Gründen eine entscheidende Bedeutung zu. Bei identischer Grundstruktur können und sollten diese und weitere Komponenten in der vertraglichen Konstruktion dem jeweiligen Sanierungseinzelfall angepasst formuliert werden. Eine vorhandene, gleichwohl überschaubare Komplexität, insbesondere steuer- und haftungsrechtlicher Natur, gilt es dabei, für die Berater zu berücksichtigen.

Von zentraler Bedeutung für die doppelnützige Treuhand ist die „Treuhandabrede“ zwischen den Gesellschaftern als Treugebern und dem Treuhänder (nicht selten in Form einer Treuhandgesellschaft), neben der eine weitere Vereinbarung zwischen dem Treuhänder, den Gläubigern und gegebenenfalls den Gesellschaftern stehen kann.

In der Treuhandabrede, die gegebenenfalls als Vertrag zugunsten Dritter, namentlich zugunsten der sanierungsbeteiligten Gläubiger, ausgestaltet werden kann, werden insbesondere das „Dürfen“ des Treuhänders im Innenverhältnis und die Konkretisierung von Sicherungszweck und -fall bestimmt. Mit Blick auf einen nicht ausgeschlossenen künftigen Verkauf der Gesellschaftsanteile durch den Treuhänder sollten die für Kauf- und Abtretungsverträge üblichen selbstständigen Garantien der Gesellschafter (Kapitalaufbringung und -erhaltung, Steuern etc.) bereits aufgenommen werden. Die Weisungsbefugnisse (s. o.) gegenüber dem Treuhänder, dem nach Übertragung ansonsten vollumfänglich die Ausübung der Gesellschafterrechte zusteht, sind ebenso zu regeln wie beispielsweise die Informationsrechte der Beteiligten, der Bedingungseintritt für eine bzw. die Gestaltung einer Verwertung oder Rückübertragung des Treuguts (Geschäftsanteile; s. o.), eine Freistellung des Treuhänders, dessen Pflichten zur Rechnungslegung und nicht zuletzt die Vergütung des Treuhänders. Bei der Gestaltung haben die Berater insbesondere die Themenkomplexe „faktische Geschäftsführung“, „Eigenkapitalersatz“, „Untergang von Verlustvorträgen“, „Realisierung von Einbringungsgewinnen (UmwStG)“ und „Vermeidung von Grunderwerbsteuer“ zu berücksichtigen.

Trotz bzw. gerade aufgrund einer nicht zu unterschätzenden und in erfolgversprechenden Fällen erfahrungsgemäß kurzfristig sowie einvernehmlich darstellbaren Regelungsdichte lassen sich mit der doppelnützigen Treuhand die meist unverzüglich anstehenden operativen Maßnahmen auf einer soliden rechtlichen und erneutes Vertrauen vermittelnden Grundlage von allen Beteiligten angehen.

Die doppelnützige Treuhand ermöglicht es den Sanierungsbeteiligten, in einem komplexen Umfeld auf Grundlage einer individualisierten Struktur eine effektive Sanierung umzusetzen. Diese Flexibilität und grundsätzliche Fähigkeit, sich an ändernde gesetzliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen anzupassen, sowie die Möglichkeit, Sanierungsmaßnahmen schnell umzusetzen oder einzustellen, qualifizieren die doppelnützige Treuhand auch künftig als nicht zu vernachlässigendes Sanierungsinstrument.

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