Artikel erschienen am 01.12.2011
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Pflichtenkollision des Geschäftsführers

Checkliste zur Haftungsvermeidung in der Krise der GmbH

Von Dr. iur. Hendrik Ott, Braunschweig | Fred Tüchelmann, Braunschweig

„Der Tag wird kommen,
an dem wir Land sehen,
wo kein Land ist.“

Mit diesem Zitat aus Melvilles Moby Dick ist die Haftung des GmbH-Geschäftsführers in der Unternehmenskrise umschrieben. Die Thematik ist angesichts von mehr als 12 000 GmbH-Insolvenzen im Jahre 2010 von weitreichender Bedeutung. Der GmbH-Geschäftsführer steht in einem Konflikt zwischen Gesellschafterinteressen, auf Zahlung drängenden Gläubigern, Interessen von Arbeitnehmern und nicht zuletzt eigenen Interessen, die in Widerspruch zu seinen gesetzlichen Pflichten stehen können. Die Rechtslage ist selbst von Juristen kaum noch zu überschauen. Der Beitrag weist einen Weg durch stürmische See, um eine persönliche Haftung zu vermeiden.

1. Überwachung des Zahlenwerks

Liegen Anzeichen für eine Insolvenzreife der GmbH vor, muss der Geschäftsführer diesen nachgehen. Zumindest einmal wöchentlich sollte ein Überschuldungsstatus sowie ein Liquiditätsplan aufgestellt werden. Nur eine entsprechende Dokumentation bewahrt vor einer Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung oder persönlicher Haftung. Wird es liquiditätsmäßig eng, müssen Gläubigerforderungen gestundet oder Rangrücktritte erklärt werden.

2. Information der Gesellschafter

Der Geschäftsführer ist verpflichtet, die Gesellschafter bei Verlust von 50 % ihres Stammkapitals unverzüglich zu informieren (§ 49 Abs. 3 GmbHG). Andernfalls macht er sich strafbar (§ 84 GmbHG) und haftet der Gesellschaft persönlich.

3. Eingeschränkte Gläubiger­bevor­zu­gung

In der Krise wird zulässigerweise oft nur noch der Gläubiger bezahlt, der mit Lieferstopp droht. Eine solche Bevorzugung ist nach Eintritt der Insolvenzreife grundsätzlich nicht mehr erlaubt, weil den Geschäftsführer eine Massesicherungspflicht trifft. Ein Verstoß gegen diese Pflicht führt zur persönlichen Haftung (§ 64 S. 1 GmbHG).

Allerdings obliegt dem Geschäftsführer zugleich die gesetzliche Verpflichtung, fällige Lohn- und Umsatzsteuer an das Finanzamt abzuführen. Ein Verstoß begründet ggfs. eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung oder eine Ordnungswidrigkeit und führt zu seiner persönlichen Haftung. Daneben hat der Geschäftsführer die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung an die Einzugsstelle zu überweisen. Eine Verletzung dieser Pflicht ist sogar strafbewehrt (§ 266 a StGB) und führt ebenfalls zu einer persönlichen Haftung.

Diese Pflichtenkollision hat die Rechtsprechung inzwischen dahingehend aufgelöst, dass Zahlungen des Geschäftsführers auf fällige Lohn- und Umsatzsteuerforderungen und auf Forderungen der Einzugsstelle hinsichtlich der Arbeit­nehmeranteile zur Sozialversicherung nicht haftungsbegründend sind. Mit seiner Entscheidung vom 25.01.2011 (Az. II ZR 196/09) hat der Bundesgerichtshof klargestellt, dass dies auch dann gilt, wenn der Geschäftsführer auf rückständige Verbindlichkeiten leistet. Die finanzgerichtliche Rechtsprechung geht zudem davon aus, dass die Lohnsteuer vorrangig vor allen anderen Gläubigerforderungen abzuführen ist. Der Grundsatz quotaler Gleichbehandlung aller Gläubiger gilt insoweit nicht. Will der Geschäftsführer also auf „Nummer sicher“ gehen, wird er sich an dieser Rechtsprechung orientieren, auch wenn dies zu Lasten anderer Gläubiger geht.

Die fehlende Abführung der Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung führt übrigens nicht zur persönlichen Haftung des Geschäftsführers. Da die Einzugsstelle eingehende Zahlungen nach § 4 der BVV jeweils hälftig auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmer­anteile verrechnet, muss sich aus dem Überweisungsträger als Tilgungszweck ausdrücklich ergeben, dass die Zahlung auf die Arbeitnehmeranteile erfolgen soll.

Stehen dem Geschäftsführer nur noch Mittel zur Auszahlung der Nettolöhne der Mitarbeiter zur Verfügung, muss er eine entsprechende Lohnkürzung vornehmen, um zugleich die auf die gekürzten Löhne entfallende Lohnsteuer abführen zu können.

Nach Eintritt der Insolvenzreife dürfen keine Darlehen mehr an die Gesellschafter zurückgezahlt werden. Auch einem Beschluss der Gesellschafterversammlung, die ein Weisungsrecht gegenüber dem Geschäftsführer besitzt, darf sich der Geschäftsführer nicht beugen. Tut er dies gleichwohl, macht er sich persönlich haftbar.

Dem Geschäftsführer ist anzuraten, eingehende Zahlungen von Kunden auf ein neu einzurichtendes, nicht debitorisch geführtes Konto umzuleiten. Der Sinn und Zweck dieser Maßnahme erschließt sich aus dem Verbot der Gläubigerbevorzugung: Die Bank wäre andernfalls in der Lage, eingehende Zahlungen mit ihren eigenen Forderungen gegen die GmbH zu verrechnen. Hierdurch käme es zu einer Masseschmälerung. Soweit die GmbH noch über kreditorisch geführte Konten verfügt, ist dem Geschäftsführer zu raten, erteilte Abbuchungsaufträge bzw. Lastschriften zu widerrufen, um eine Masseschmälerung zu vermeiden.

Der gelegentlich erteilte Hinweis von Beraterseite, der Fiskus genieße kein Gläubigerprivileg, weil auch masseschmälernde Zahlungen an das Finanzamt vom Insolvenzverwalter angefochten werden könnten, ändert an diesen Verhaltensregeln nichts. Der Geschäftsführer hat ein legitimes Interesse daran, den für ihn selbst sichersten Weg zu beschreiten.

4. Blick auf die Mit­geschäfts­führer

Entgegen landläufiger Einschätzung besteht die Insolvenzantragspflicht unabhängig von einer Ressortverteilung auf Geschäftsführerebene für jeden Geschäftsführer. Auch der technische Geschäftsführer muss deshalb den kaufmännischen Bereich mit Eintritt der Insolvenzreife der GmbH in den Blick nehmen. Eine Delegation dieser Pflicht ist nicht möglich.

5. Keine Bestellungen mehr

Der Geschäftsführer sollte grundsätzlich keine Bestellungen mehr tätigen, wenn Insolvenzreife eingetreten ist. Aus Sicht des jeweiligen Gläubigers könnte dies als Eingehungsbetrug zu qualifizieren sein. Nicht selten verklagen Gläubiger den Geschäftsführer dann persönlich auf Zahlung.

6. Wirtschaftliches Krisenmanagement

Schließlich – und das ist ganz sicher seine Hauptaufgabe – hat der Geschäftsführer wirtschaftliche Maßnahmen zur Beseitigung der Krise zu treffen.

7. Unverzüglicher Insolvenzantrag

Entgegen landläufiger Meinung hat der Geschäftsführer nach Eintritt der Insolvenzreife nicht stets drei Wochen Zeit, um Insolvenzantrag zu stellen. Der Gesetzeswortlaut des § 15 a Abs. 1 S. 1 InsO fordert vielmehr ein unverzügliches Handeln, „spätestens“ innerhalb von drei Wochen. Im Einzelfall kann eine Verpflichtung zum Insolvenzantrag deshalb auch ein sofortiges Handeln bedeuten.

Wird der Insolvenzantrag nicht rechtzeitig gestellt, entfällt rückwirkend die Privilegierung des Geschäftsführers aufgrund der geschilderten Pflichtenkollision. Auch dies hat eine rückwirkende persönliche Haftung zur Folge.

8. Lohn der Mühe

Berücksichtigt der Geschäftsführer die obigen Punkte, macht er möglicherweise nicht alles richtig, aber jedenfalls in eigener Sache nichts falsch. Dann erfüllt sich für ihn die Prophezeiung in Melvilles Hauptwerk:

„An diesem Tag
werden alle unter­gehen.
Bis auf einen.“

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