Artikel erschienen am 01.12.2012
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Mergers & Acquisitions im Mittelstand

Warum nicht jeder (der kauft) gewinnt

Von Dipl.-Betriebswirt Andreas Wojciechowski, Braunschweig

Streitgespräch beim Firmenkongress: Drei Inhaber mittelständischer Unternehmen debattieren bei Sekt und Häppchen aktuelle Wirtschaftsschlagzeilen. André Ahrens hat sich soeben der Diskussion angeschlossen, als Klaus Kern energisch schimpft: „Mit Firmenkäufen ist es doch immer das Gleiche: Mitarbeiter loswerden, um nichts anderes geht es. Hinz und Kunz kauft sich quer durch die Wirtschaft, um Personalkosten zu reduzieren und verkauft es am Ende unter dem Stichwort ‚Synergien für die Zukunft schaffen‘!“. Karl Kunze, der Dritte im Bunde, fügt hinzu: „Recht hast du, aber im Mittelstand muss man das differenziert sehen. Vor zwei Jahren habe ich selbst zugekauft und Personalabbau stand nie zur Debatte. Ein zweites Standbein konnte ich mir dadurch trotzdem nicht aufbauen. Am Ende gab es nichts als Ärger.“ Hier mischt sich Ahrens in die Unterhaltung ein. Er selbst hatte in den letzten zwei Jahrzehnten zahlreiche Akquisitionen umgesetzt – jede davon mit großem Erfolg. Was war bei ihm anders gelaufen?

Systematische Fehler bei der Herangehensweise

Mergers & Acquisitions (Kauf und Verkauf von Unternehmen, nachfolgend M & A) haben ihren festen Platz unter den Managementwerkzeugen eingenommen. Auch mittel­ständische Unternehmen haben unlängst die Chancen von Akquisitionen erkannt: Stärkung der Wettbewerbsposition, Erweiterungen des Produktportfolios, Erwerb von Know-how und Zugang zu neuen Märkten sind vielversprechende Ziele. Warum erfüllt also ein Großteil der Transaktionen nicht die in sie gesetzten Erwartungen? Bei der Begleitung von Käufern und Verkäufern haben wir zahlreiche Fehlerquellen identifiziert. Die schlechte Nachricht: Es wird auch in Zukunft kein Patentrezept geben, das jede Akquisition zum Erfolg macht. Die gute Nachricht: Die Fehlerquote lässt sich durch ein systematisches Vorgehen deutlich reduzieren. Das Werkzeug kann in einem „Kernkompetenzmodell (KKM)“ zusammengefasst werden.

Das KKM kommt in der Phase der Suche nach potenziellen Akquisitionskandidaten zur Anwendung.

Abb. 1: Das Kernkompetenzmodell (KKM)

Die richtige Basis für nachhaltige Entscheidungen

Unternehmer treffen regelmäßig Entscheidungen, mit denen sie die Unternehmenszukunft nachhaltig beeinflussen. Die zwei häufigsten Kriterien für die Entscheidungsfindung sind zukünftige Ergebnispotenziale („Wird diese Maßnahme die Unternehmensgewinne langfristig erhöhen?“) und Wettbewerbsvorteile („Wird diese Maßnahme die Allein­stellungs­merkmale des Unternehmens vermehren?“). Auch für M & A-Vorhaben können sie hilfreiche Indikatoren sein. So kann der Zugang zu neuen Märkten Umsatz und Gewinn deutlich erhöhen und der Erwerb von Know-how wichtige Vorteile gegenüber Konkurrenten liefern. Diese Kriterien allein genügen jedoch noch nicht. Entscheidender ist, ob die zur Wahl stehende Handlungsoption zur Gesamtstrategie des Unternehmens passt (strategischer Fit). Besonders im Umfeld von Unternehmenstransaktionen zeigt sich, dass eine einseitige Herangehensweise zu fatalen Fehlentscheidungen führen kann.

  • Der Eintritt in neue Märkte kann erfolglos sein, wenn diese bereits durch gefestigte Wettbewerber besetzt sind.
  • Die Senkung von Kosten im Einkauf kann ergebnislos bleiben, wenn die Vertriebskanäle unterentwickelt sind.
  • Der Zugang zu Know-how für die Produktentwicklung kann unnötige Mehrkosten verursachen, wenn die Nachfrage der Kundenzielgruppe zurückgeht.

Unternehmerische Möglichkeiten dürfen daher nicht nur einseitig überzeugen. Sie müssen vielmehr aus allen drei Perspektiven (zukünftige Ergebnispotenziale, Wettbewerbsvorteile, strategischer Fit) einen plausiblen Erfolgsbeitrag in Aussicht stellen. Maßnahmen, die dies tun, tragen zum Ausbau der Kernkompetenzen des Unternehmens bei. In der Umsetzung von M & A-Projekten zeigt sich dieser Zusammenhang besonders stark. Akquisitionen sind darauf ausgelegt, langfristig einen Mehrwert zu liefern. Ihr Erfolg lässt sich oft erst über eine Zeit von fünf bis zehn Jahren ermitteln. Die Entscheidung für einen Unternehmens­kauf muss das Ergebnis und die Wettbewerbs­position im Rückblick für diesen Zeitraum positiv beeinflusst haben. Gleichzeitig muss sie auch nach fünf bis zehn Jahren noch zur strategischen Ausrichtung passen.

Den strategischen Fit bestimmen

Die Prognose zukünftiger Ergebnispotenziale und Wettbewerbsvorteile ist für viele Unternehmer oftmals nicht ganz einfach. Probleme bereitet hingegen die Bewertung des strategischen Fits. Viele mittelständische Unternehmen befinden sich nach wie vor in einer Übergangsphase, in der die gewohnte Best-Practice-Mentalität (Nutzung bewährter, optimierter Methoden) durch in die Zukunft gerichtete strategische Planung erweitert wird. Diese bildet die Grundlage, um eine Aussage zum strategischen Fit treffen zu können. Die erfolgreiche Strategieentwicklung bindet sämtliche Entscheidungsträger und Schlüsselpersonen des Unternehmens ein, erstreckt sich über alle Unternehmensteile und analysiert sowohl interne (Stärken/Schwächen) als auch externe Einflussfaktoren (Chancen/Risiken). In der Praxis haben sich hierzu Workshops bewährt, bei denen der offene Dialog – in der Regel moderiert durch einen externen Spezialisten – zur Entwicklung einer ganzheitlichen Strategie beiträgt.

Ein Bestandteil des Strategie­findungs­prozesses ist das Winner's Profile. Es fragt nach den Eigenschaften, die ein Unternehmen haben muss, um zukünftig im fokussierten Markt erfolgreich zu sein. Im ersten Schritt werden hierzu sämtliche relevanten Erfolgs­faktoren aufgelistet. Diese können in themen­über­greifenden Kategorien angesiedelt sein (z. B. Produktion, F & E, Vertrieb etc.). Im zweiten Schritt wird auf einer Skala von 1 (weniger wichtig) bis 5 (sehr wichtig) einge­schätzt, welchen Stellenwert die einzelnen Faktoren haben. Dem­gegen­über gilt es nun zu analysieren, wie gut das Unter­nehmen den jeweiligen Erfolgsfaktor bereits beherrscht. Hierzu werden erneut Bewertungen von 1 (weniger gut) bis 5 (sehr gut) vergeben.

Das entstehende Profil dient als Handlungs­empfehlung für die zielgerichtete Nutzung von knappen Ressourcen (Geld, Zeit, Management­kompetenz etc.). Grund­gedanke ist, dass für Erfolgsfaktoren mit hoher Zukunfts­bedeutung auch eine hohe Kompetenz angestrebt wird. Umgekehrt soll vermieden werden, dass Exzellenz in Bereichen angestrebt wird, die nur geringfügig zum nachhaltigen Erfolg beitragen. Für M & A-Optionen folgt die Frage: „Kann ich durch die Akquisition die für mein Unternehmen zukünftig wichtigen Erfolgsfaktoren signifikant verbessern?“

CharakteristikRelevanz in der Zukunft
(1–5)
Aktuelle Performance
(1–5)
Handlungsbedarf
(Δ)
Energieeffiziente
Produktionsprozesse
2 4 -2
Innovative F&E-Projekte 4 3 1
Gutes Standing
in der Zielgruppe 40+
5 2 3

 

Bewertung der M & A-Optionen mit dem Kernkompetenzmodell

Das KKM unterstützt dabei, komplexe Entscheidungsmöglichkeiten zu ordnen und zu bewerten. Selbstverständlich ersetzt das Modell keine umfassende Überprüfung der Kennzahlen und des Geschäftsmodells (u. a. Commercial Due Diligence), aber es sensibilisiert für eine ausgewogene Betrachtungsperspektive. Bevor ein Unternehmenskauf in Betracht gezogen wird, sollten daher folgende Schritte als Teil einer Erstanalyse durchgeführt werden:

  1. Erstellung einer Liste der relevanten Fakten, die die zukünftigen Ergebnispotenziale und Wettbewerbsvorteile positiv beeinflussen
  2. Zusammenfassung dieser Sachverhalte anhand von Einfluss, Priorität und Eintrittswahrscheinlichkeit zu Gesamtnoten zwischen 1 (wenig vielversprechend) und 5 (sehr vielversprechend)
  3. Prüfung, wie gut die Akquisition zur langfristigen Strategie des Unternehmens passt und Bewertung des strategischen Fits mit 1 (wenig passend) bis 5 (sehr passend)
EntscheidungskriteriumGesamtnote (1–5)
Zukünftige Ergebnispotenziale ?
Wettbewerbsvorteile ?
Strategischer Fit ?

Die folgende Abbildung fasst die Ergebnisse der Analyse zusammen: M & A-Vorhaben tragen meist nur dann zu den Kernkompetenzen bei, wenn sie gleichzeitig die Ergebnispotenziale verbessern, Wettbewerbsvorteile schaffen und zur Unternehmensstrategie passen. Werden Transaktionen nur auf Basis eines Entscheidungskriteriums bewertet (Abbildung 1), können wichtige Aspekte vernachlässigt werden. So können die gewonnenen Ergebnispotenziale schnell durch mangelnde Wettbewerbsfähigkeit oder Diskrepanz zur Unternehmensstrategie bedeutungslos werden. Das volle Potenzial von M & A-Vorhaben wird in der Regel durch eine angemessene Gewichtung der drei Kriterien realisiert (Abbildung 3).

Abb. 3: Auswirkungen auf die Kernkompetenzen bei einseitigem Fokus auf zukünftige Ergebnispotenziale

Abb. 4: Auswirkungen auf die Kernkompetenzen bei ausgewogener Berücksichtigung der drei Perspektiven

Typische Fehler vermeiden

Für die einseitige Bewertung von M & A-Chancen gibt es zahlreiche Beispiele. Grundsätzlich sollte opportunistisches Agieren vermieden werden, egal wie verlockend die Situation auf den ersten Blick scheinen mag. Eine falsche Einschätzung der Post-Merger-Integrations-Phase – also der Phase unmittelbar nach dem Kauf, in der die Integration der Akquisition in das bestehende Geschäftsmodell stattfinden soll –, die Nichtbeachtung der Unternehmenskulturen oder unrealistische Erwartungen können Chancen zu Misserfolgen machen. Eine differenzierte Analyse mit dem KKM hilft, Schnellschüsse zu vermeiden.

Inzwischen ist André Ahrens die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer sicher. Er berichtet detailliert über die durchgeführten Transaktionen und erklärt, wie er die Optionen mit der Unterstützung von Fachexperten abgewogen hatte. Vor diesem Hintergrund erkennt auch Karl Kunze, warum seine ersten Versuche beim Unternehmenskauf scheiterten. Zu sehr hatte er sich auf die Erschließung neuer Märkte konzentriert, zu wenig darauf geachtet, dass diese schon vom Wettbewerb besetzt waren. Das Durcheinander während der Integrationsphase hatte nicht nur zu erheblichen Mehrkosten geführt, sondern auch ein Umschwenken vom strategischen Kurs erzwungen.

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