Artikel erschienen am 26.03.2017
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Der digitale Nachlass

Von Anika Hertel, Braunschweig | Karin Kutz, Braunschweig | Dr. iur. Joachim Gulich, LL.M., Braunschweig | Dr. Steffen Helbing, LL.M., MBA, Braunschweig | Andreas Janßen, LL.M., Braunschweig

Als das Bürgerliche Gesetzbuch vor über 100 Jahren entstand, gab es weder Computer noch Internet. Über digitale Daten und die Gefährdung des Persönlichkeitsrechts im digitalen Raum mussten sich die Verfasser keine Gedanken machen.
Heute – im digitalen Zeitalter – hinterlassen viele Menschen Spuren im Netz. Die digitale Welt prägt uns in allen Bereichen, nicht zuletzt durch die Nutzung der zahlreichen sozialen Netzwerke oder die Kommunikation via E-Mail.

Doch was passiert mit den digitalen Kommunikationsspuren beim Tod? Alle übermittelten und gespeicherten Daten verbleiben nach dem Tod des Users beim jeweiligen Anbieter. Bei Facebook, Twitter und anderen sozialen Netzwerken gehen weiterhin Nachrichten ein. eBay-Käufer erwarten Antwort, Paypal wartet auf Zahlung für bestellte Waren. Wer kann auf die Accounts (Benutzerkonten) von E-Mail-Diensten oder sozialen Netzwerken zugreifen? Was ist, wenn Passwörter den Zugang zu Online-Konten versperren?

Rechtliche Grundlagen

Die Abwicklung des „digitalen Nachlasses“ und die Berechtigung an diesem werfen erhebliche Probleme auf. Wesentliche Fragen, die sich in einer digitalen Gesellschaft stellen, sind ungeregelt.

Grundsätzlich geht der gesamte digitale Nachlass inklusive E-Mail-Accounts, Providerverträgen und Auskunftsansprüchen z. B. in Bezug auf Passwörter entsprechend der gesetzlichen Regelung der Gesamtrechtsnachfolge (vgl. § 1922 BGB) auf den/die Erben des verstorbenen Users über. Soweit etwaige Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) der Provider anders lauten, werden diese als unangemessene Benachteiligung unwirksam sein und dem/den Erben nicht entgegengehalten werden können.

Das Landgericht Berlin hat im Dezember 2015 das erste breiter veröffentlichte Urteil (Az. 20 O 172/15) zum Thema „Digitaler Nachlass“ gesprochen. Es hat das Unternehmen Facebook dazu verurteilt, den Eltern einer verstorbenen minderjährigen Nutzerin den „Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten“ zu gewähren. Das Gericht hat festgehalten:

„Der Erbe, der zugleich Sorgeberechtigter eines 15-jährigen Kindes war, ist berechtigt, den Zugang zu dessen Netzwerk-Account zu fordern. Weder Vorschriften des Datenschutzes noch Persönlichkeitsrechte Dritter stehen dem entgegen.“

Im entschiedenen Fall war ein 15-jähriges Mädchen unter ungeklärten Umständen beim Einfahren einer U-Bahn in die Haltestelle tödlich verunglückt. Ihre Eltern als Erben wollten auf den Facebook-Account ihrer Tochter zugreifen. Sie erhofften sich, ggf. Erkenntnisse darüber zu erhalten, ob es sich beim Tod um einen Suizid handeln könnte.

Allerdings hatte ein Nutzer von Facebook nach dem Tod des Mädchens die Aktivierung des „Gedenkzustands“ für den Account veranlasst. Der Gedenkzustand bewirkt, dass ein Zugang zum Benutzerkonto nicht mehr möglich ist. Bei Eingabe der korrekten Zugangsdaten erscheint nur ein Hinweis auf den Gedenkzustand. Damit konnten die Eltern trotz der ihnen bekannten Zugangsdaten nicht auf den Account ihrer verstorbenen Tochter zugreifen. Nach den Nutzungsbedingungen von Facebook darf der Nutzer sein Passwort zudem niemandem weitergeben oder einer anderen Person Zugang zu seinem Profil einräumen. Facebook lehnte deshalb das Entsperren des Benutzerkontos mit Verweis auf die Nutzungsbedingungen und den Hinweis darauf, dass man grundsätzlich keine
Profildaten von verstorbenen Nutzern herausgäbe, ab.

Das Landgericht Berlin hat dargestellt, dass auch im Bereich des digitalen Vermögens/Nachlasses die erbrechtlichen Grundsätze greifen. Der Begriff des Vermögens ist in einem weiten und umfassenden Sinn zu verstehen. Da das Vermögen als „Ganzes“ übergeht, umfasst die Erbschaft alle Rechtspositionen des Erblassers, seine gesamte Rechts- und Pflichtenstellung. Damit ist auch der Nutzungsvertrag mit dem Provider Vermögen im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches. Entsprechend steht einem Erben ein Anspruch auf Zugang zu dem Benutzerkonto aus dem übergegangenen Nutzungsvertrag mit dem Provider zu.

Die Anbieter verhalten sich beim Tod eines Users unterschiedlich

Nur wenige Firmen löschen oder deaktivieren nach Prüfung die Daten. Google etwa bietet einen sog. Kontoinaktivitätsmanager an. Der User kann zu Lebzeiten festlegen, wer nach seinem Tod über die Inaktivität des Kontos benachrichtigt und Zugriff auf das Profil haben soll. Facebook z. B. ermöglicht seinen Nutzern, einen Nachlasskontakt zu bestimmen, der das Konto weiter pflegen darf.

Es gibt auch Unternehmen, die die „Entrümpelung“ des digitalen Nachlasses anbieten. Dies ist wegen der damit verbundenen Kosten mit Vorsicht zu genießen. Zudem erhalten damit diese Unternehmen Zugriff auf – z. T. sehr persönliche – Daten.

Letzter Wille zu gespeicherten Daten: Der digitale Nachlassverwalter

Dies zeigt, wie wichtig es ist, den digitalen Nachlass im Blick zu haben, wenn es um Regelungen nach dem Ableben geht.

Jeder Nutzer sollte eine Übersicht aller Accounts mit Benutzernamen und Kennworten anfertigen, die am besten auf einem verschlüsselten oder zumindest mit einem Kennwort gestützten USB-Stick gespeichert wird. Dieser Stick ist an einem sicheren Ort zu deponieren.

Es kann sinnvoll kann sein, für die Erben die Zugangsdaten zu E-Mail-Konten und anderen Internetdiensten in einem Testament niederzulegen oder zumindest mitzuteilen, wo sich die Zugangsdaten befinden. Man kann im Testament auch festlegen, dass nur bestimmte Personen Einblick in die Daten erhalten. Flankierend kann der Nutzer bestimmen, ob in einem sozialen Netzwerk der sog. Gedenkstatus eingerichtet oder das Profil gelöscht werden kann.

Mindestens sollte jeder User eine (konkrete) Person des Vertrauens mit allen Aufgaben rund um seinen digitalen Nachlass betrauen. Diese Person sollte zum „digitalen Nachlassverwalter“ bestimmt werden. Dafür bietet es sich – neben der Möglichkeit, dies im Testament zu regeln – an, dem „digitalen Nachlassverwalter“ eine entsprechende Vollmacht mit Geltung über den Tod hinaus zu erteilen.

Der Vollmachtgeber kann detailliert regeln, wie mit dem digitalen Nachlass umgegangen werden soll, welche Daten gelöscht werden sollen, wie die Vertrauenspersonen mit dem Account in einem sozialen Netzwerk umgehen und was mit den im Netz vorhandenen Fotos passieren soll.

Die Vertrauensperson ist handlungsfähig, wenn der Vollmachtgeber ihr zu Lebzeiten die Vollmacht, das Schriftstück, übergibt. Der Vertrauensperson ist dann ebenfalls mitzuteilen, wo die Zugangsdaten zu den Accounts gefunden werden können. Parallel kann im Testament bestimmt werden, dass die Erben nicht berechtigt sind, die Vollmacht nach dem Tod des Erblassers zu widerrufen.

Fazit

Nur mit einer umfassenden Vorsorge, die die digitalen Spuren einbezieht, können Streitigkeiten unter den Erben und mit den Anbietern im Netz vermieden werden.

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