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Sanierungsinstrument Eigenverwaltung

Von Manuel Sack, Braunschweig | Thorsten Hunsalzer, Hannover | Stefan Liese, Magdeburg

Die Insolvenzordnung (InsO), die die Konkurs-, Vergleichs- und Gesamt­voll­streck­ungs­ord­nung zum 01.01.1999 ablöste, sah erstmals im deutschen Insolvenzrecht die Möglichkeit vor, dem Schuldner selbst die Verwaltungs- und Verfügungs­befugnis über die Insolvenzmasse zu belassen. Da die Anordnung der Eigenverwaltung erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens zulässig war und eine Regelung für eine vorläufige Eigenverwaltung fehlte, fristete die Eigenverwaltung zunächst ein Schattendasein.

Bei fortlaufendem Geschäfts­betrieb war im Insolvenz­antrags­verfahren ein vorläufiger Insolvenz­verwalter zu bestellen, sodass die durch eine Eigen­verwaltung erhoffte Außenwirkung und Vertrauens­bildung nicht erreicht werden konnte. Da die ent­schei­denden Weichen des Verfahrens regel­mäßig vor Eröffnung gestellt werden, wurde letztlich der vorläufige Insolvenz­verwalter mit Verfahrens­eröff­nung zum Insolvenz­verwalter bestellt. Mangels spezieller Regelung der Rechtsstellung von Prüfungs­organen wie dem vorläufigen Sachwalter und dem vorläufigen Gläubigerausschuss bestand zudem in der Insolvenzrichterschaft eine hohe Skepsis bezüglich einer Eigenverwaltung durch den ehemaligen Geschäftsleiter. Man befürchtete, „den Bock zum Gärtner zu machen“. Insbesondere um die Stellung von frühen Insolvenzanträgen zu erreichen und damit die Chancen auf den Erhalt und die Sanierung des Unternehmens zu fördern, hat der Gesetzgeber durch das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), welches am 01.03.2012 in Kraft trat, das Eigenverwaltungsverfahren gestärkt. Als wesentliche Änderung wurde die vorläufige Eigenverwaltung eingeführt.

Vor dem ESUG gingen Zweifel für eine Anordnung der Eigenverwaltung stets zu Lasten des Schuldners, sodass der Antrag auf Eigenverwaltung regelmäßig abgelehnt wurde und zwar schon dann, wenn sich aus einer Prognoseentscheidung ergab, dass die Eigenverwaltung zu einer Verlängerung der Verfahrensdauer führen könnte. Die ablehnende Entscheidung war mangels Beschwerdemöglichkeit endgültig (BGH, Beschl. v. 07.07.2005, Az. IX ZB 85/05). Die Folge war eine erhebliche Rechtsunsicherheit über den Erfolg eines Eigenverwaltungsantrags. Demgegenüber hat der Schuldner nunmehr einen Anspruch auf die Anordnung der (vorläufigen) Eigenverwaltung. Lediglich, wenn die Sanierung des Unternehmens offensichtlich aussichtslos ist oder Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Anordnung zum Nachteil für die Gläubiger führen wird, kann das Gericht den Antrag auf Eigenverwaltung ablehnen. Für diesen Fall ist die Abweisung jedoch zu begründen und insbesondere Einzelkaufleute oder Freiberufler, die nicht der Insolvenzantragspflicht des § 15a InsO unterliegen, können ihren Antrag zurücknehmen und eine außergerichtliche Entschuldung versuchen. Zu beachten ist, dass auch die Eigenverwaltung eines gleichzeitigen Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens bedarf und hierbei die erforderlichen Formalien und Voraussetzungen einzuhalten sind. Zudem ist ein Sanierungskonzept zu erarbeiten.

Zunahme von Eigenverwaltungsverfahren nach dem ESUG

Nach der Einführung des ESUG hat die Anzahl der in Eigenverwaltung geführten Insolvenzverfahren stark zugenommen. Insbesondere die Eigenverwaltung prominenter Unternehmen hat das öffentliche Interesse an der Eigenverwaltung geweckt. Zudem hat sich gezeigt, dass sich die Eigenverwaltung in einigen Branchen als über den Normallfall hinaus besonders positiv darstellt. So wurden auch die von den Verfassern begleiteten Krankenhauskonzerninsolvenzen in Eigenverwaltung geführt und in diesem Rahmen die geplanten Sanierungskonzepte umgesetzt. Besondere Vorteile bestehen auch in der Branche der Personaldienstleister, da die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung nicht veröffentlicht wird und das Risiko des Abwerbens von Angestellten und Kunden durch Wettbewerber minimiert wird.

Die Eigenverwaltung ist auch für den Einzelunternehmer und Freiberufler ebenso wie für alle anderen Unternehmensformen wie die GmbH, die UG oder die Ltd. zulässig.

Vorteile der Eigenverwaltung

Aus Schuldnersicht liegen die Vorteile klar auf der Hand. Der Schuldner bzw. seine Organe behalten ihre Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis. Die Kenntnisse und Erfahrungen der bisherigen Geschäftsleiter werden bestmöglich genutzt. Eine Einarbeitungszeit des (vorläufigen) Insolvenzverwalters entfällt. Die Chancen für eine Sanierung steigen. Selbst für einen Turnaround durch eine Einigung mit den Stakeholdern vor der Verfahrenseröffnung bestehen bessere Chancen.

Durch einen frühen Insolvenzantrag wird die Betriebsfortführung gesichert und die Lieferanten und Kunden haben mangels vertiefter Krise noch ein ausreichendes Vertrauen in das eigenverwaltende Management. Dieses Vertrauen wird dadurch noch gestärkt, dass in der Praxis ein insolvenzrechtlich versierter Berater in die Stellung zumindest eines Generalhandlungsbevollmächtigten gemäß § 54 GmbHG einrückt. Der Schuldner kann seinen Berater und den Sachwalter selber auswählen bzw. vorschlagen. Der früher geltende Grundsatz „Verwalter genannt, Verwalter verbrannt“ gilt hier nicht mehr.

In der Praxis zeigt sich auch, dass Eigenverwaltungsverfahren regelmäßig erfolgreicher verlaufen. Dieses zeigt sich in den realisierten Sanierungen, den erhöhten Insolvenzquoten und in der deutlich verkürzten Verfahrensdauer beispielsweise nach Abschluss eines Insolvenzplans. Dieses ist auch darauf zurückzuführen, dass Eigenverwaltungsverfahren regelmäßig professionell begleitet werden und hierdurch ein bestmöglicher Erfolg gewährleistet wird.

„Schutzschirmverfahren“ gemäß § 270b InsO

Das durch das ESUG eingeführte sogenannte „Schutzschirmverfahren“ gemäß § 270b InsO kann der Schuldner beantragen, wenn zum Zeitpunkt der Antragstellung lediglich eine drohende Zahlungsunfähigkeit und/oder eine Überschuldung vorliegen und eine Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist. Hierzu hat der Schuldner einen Nachweis durch eine dem Insolvenzantrag beizufügende Bescheinigung einer in Insolvenzsachen

erfahrenen Person zu erbringen. Liegen die genannten Voraussetzungen vor, ordnet das Insolvenzgericht die vorläufige Eigenverwaltung an und setzt dem Schuldner eine Frist von maximal drei Monaten zur Vorlage eines Insolvenzplanes.

Gleichzeitig bestellt das Insolvenzgericht einen vorläufigen Sachwalter, der den Schuldner während der Eigenverwaltung überwacht und der nicht gleichzeitig der Berater oder der Aussteller der Bescheinigung über die nur drohende Zahlungsunfähigkeit sein darf. Schlägt der Schuldner einen Sachwalter vor, hat das Gericht diesem Vorschlag zu folgen, soweit der vorgeschlagene Sachwalter für die Übernahme des Amtes nicht ungeeignet erscheint.

Der Schuldner kann sich entscheiden, ob er sich pauschal ermächtigen lässt, Masseverbindlichkeiten zu begründen, sodass er die während der vorläufigen Eigenverwaltung begründeten Verbindlichkeiten auch noch nach der Verfahrenseröffnung begleichen darf. Oder er entscheidet sich dafür, Einzelermächtigungen für einzelne Gläubiger wie seine Lieferanten und Dienstleister einzuholen. Ein solcher Antrag ist nicht nur zweckmäßig, sondern auch erforderlich, um die Zahlung an die Lieferanten zu sichern und somit das Vertrauen in die Eigenverwaltung zu stärken. Da die hieran zu knüpfenden Anforderungen sehr hoch und von den einzelnen Insolvenzgerichten unterschiedlich bewertet werden, ist eine vorherige Beratung unerlässlich. Zudem droht eine haftungsträchtige Umdeutung des Antrags von Einzelermächtigungen auf eine Pauschalermächtigung, sodass evtl. nicht benötigte Verbindlichkeiten beglichen werden müssen (vgl. BGH, Urt. v. 16.06.2016 – Az. IX ZR 114/15).

Als wesentlicher Vorteil des Schutzschirmverfahrens wird die positive Außendarstellung gesehen. Gerade in sensiblen Branchen kann es von Vorteil sein, wenn ein Nachweis vorliegt, dass das Unternehmen bei Antragstellung lediglich drohend zahlungsunfähig und überschuldet war. Der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit nach dem Antrag ist unschädlich und lediglich gegenüber dem Insolvenzgericht anzuzeigen. Nachdem die Anzahl der Eigenverwaltungen deutlich zugenommen hat und in den öffentlichen Fokus gerückt ist, nehmen auch die Bedenken von Lieferanten und Kunden ab, die sich zunächst verunsichert über das „neue“ Verfahren zeigten. Es wird jedoch noch einige Jahre dauern, bis das Eigenverwaltungsverfahren als „Normalverfahren“ angesehen wird, wie das „Chapter-11“-Verfahren in den USA oder das „Procédure-de-sauvegarde- und redressement-judiciaire“-Verfahren in Frankreich.

Eigenverwaltung gemäß § 270a InsO

Sofern die besondere Außenwirkung des Schutzschirmverfahrens nicht benötigt wird, bietet sich auch das vorläufige Eigenverwaltungsverfahren gemäß § 270a InsO an. Anders als im „Schutzschirmverfahren“ kann diese Verfahrensart auch bei bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit beantragt werden, was dieses Verfahren in direkte Konkurrenz zur vorläufigen Insolvenzverwaltung stellt. Der Nachteil dieses Verfahrens ist, dass das Insolvenzgericht nicht an den Vorschlag der Person des Sachwalters gebunden ist. Die Praxis zeigt jedoch, dass – sofern eine in Insolvenzsachen kundige Person vorgeschlagen wird – dem Vorschlag regelmäßig gefolgt wird.

Risiken für die eigenverwaltende Geschäftsführung

Der eigenverwaltenden Schuldnerin werden in der Eigenverwaltung insolvenzspezifische Aufgaben und der Pflichtenkreis eines (vorläufigen) Insolvenzverwalters zugewiesen. Regelmäßig werden die Personen in der Unternehmensleitung jedoch weder über die Ausbildung noch über die Erfahrung verfügen, um diesen sich kurzfristig stellenden Anforderungen gerecht zu werden. Die Folge sind kaum kalkulierbare Haftungsrisiken und zwar sowohl zivil- als auch strafrechtlicher Natur (vgl. beispielhaft Hunsalzer in Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht [ZInsO] 2014, S. 1748 ff.). Dies gilt insbesondere auch deswegen, weil der Gesetzgeber versäumt hat, mit dem ESUG klare Haftungsregelungen zu schaffen. Dieses Dilemma lässt sich jedoch dadurch lösen, dass in allen professionell begleiteten Eigenverwaltungsverfahren Insolvenzrechtsspezialisten und im Bestfalle erfahrene Insolvenzverwalter beteiligt sind, die zumindest mit einer Generalhandlungsvollmacht gemäß § 54 HGB ausgestattet werden. Hierdurch wird eine gesetzeskonforme Eigenverwaltung gewährleistet und Haftungsgefahren von der Geschäftsleitung der eigenverwaltenden Schuldnerin fern gehalten. Der durch die Beratung entstehende Kostenaufwand wird dadurch relativiert, dass die Vergütung des (vorläufigen) Sachwalters auf 60 % der Vergütung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters reduziert ist.

Neustart durch Eigenverwaltung

Die Eigenverwaltung gibt dem redlichen Schuldner ein Ins­trument für den Weg aus der Krise und für einen Neustart. Sofern das vorläufige Eigenverwaltungsverfahren frühzeitig durch Insolvenzrechtsspezialisten begleitet wird, bestehen große Chancen für eine erfolgreiche Sanierung durch das Instrument der Eigenverwaltung. Andererseits bestehen ohne professionelle Beratung erhebliche Haftungsrisiken.

Bild: Fotolia/Kantver

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