Artikel erschienen am 19.12.2018
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Erfolgreiche Betriebsfortführung als Basis der Restrukturierung

Von Tobias Hartwig, Braunschweig | Nils Krause, Braunschweig

Die Sanierung eines Unternehmens in der Krise hatte schon mit Einführung der Insolvenzordnung zum 01.01.1999 einen deutlich höheren Stellenwert als zu Konkurszeiten erfahren. Spätestens mit dem „ESUG“ (Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen) hat der Gesetzgeber noch einmal verdeutlicht, dass der Fokus im Insolvenzverfahren auf der Sanierung des Unternehmens liegt. Dadurch hat auch die Fortführung des Betriebs in einem solchen Verfahren eine deutlich höhere Bedeutung erhalten.

Der Insolvenzverwalter ist ein Manager!

Hierzu erforderlich sind vor allem eine insolvenzrechtliche Spezialisierung und ein umfangreiches betriebswirtschaftliches Fachwissen. Da auch die Anforderungen der Gerichte steigen, ist insgesamt eine sehr hohe Professionalität gefordert. Es gilt, komplexe Sachverhalte zeitnah und pragmatisch zu lösen. Der Insolvenzverwalter trifft strategische Unternehmerentscheidungen und ist auf eine Vielzahl eigener, fachlich kompetenter Mitarbeiter angewiesen, die zur Unterstützung des Unternehmens herangezogen werden können. Das verdeutlicht, dass die Insolvenzverwaltung größere Kapazitäten haben muss, damit eine erfolgreiche Betriebsfortführung überhaupt möglich ist. Wie auch der Geschäftsführer des betroffenen Unternehmens, ist der Insolvenzverwalter ein Manager. Im Rahmen der Betriebsfortführung übt der Insolvenzverwalter die Funktion des Unternehmers (unter Einbindung des beteiligten Unternehmers) aus. Umfangreiches Spezialwissen ist für diese Aufgabe erforderlich. Beispielhaft seien nur Kenntnisse im Rechnungswesen, Steuer- und Arbeitsrecht genannt. Hierneben sind allerdings auch „weiche Faktoren“ gefragt:

  • Führungsqualitäten,
  • Verhandlungsgeschick,
  • kommunikative Fähigkeiten.

Unmittelbar nach seiner Beauftragung wird der (vorläufige) Insolvenzverwalter mit seinem Team zunächst einen Katalog von „Erste-Hilfe-Maßnahmen“ abarbeiten.

„Erste-Hilfe-Maßnahmen“

Nach der sofortigen Kontaktaufnahme mit dem Unternehmen verschafft man sich einen Eindruck darüber, welche Möglichkeiten seitens der Geschäfts­leitung gesehen werden, das Unternehmen gemein­sam weiterzuführen. Das Anlage- und Umlaufvermögen ist zeitnah zu sichern und vor allem im Hinblick auf mögliche Drittrechte einer lieferantenbezogenen Inventur zu unterziehen.

Als wichtigste Erstmaßnahme ist die Liquidität des Unternehmens zu ermitteln, Barbestände und Konto­guthaben sind festzustellen. Denn ohne ausreichende Liquidität ist eine Betriebsfortführung kaum darstellbar, was sämtliche Sanierungsansätze zum Scheitern verurteilen könnte. Debitorische Drittschuldner werden umgehend über die Anordnung der (vorläufigen) Insolvenzverwaltung informiert und aufgefordert, nur noch auf das eingerichtete Treuhandkonto zu bezahlen.

Sicherung und Überwachung der Liquidität

Wenn diese „Erste-Hilfe-Maßnahmen“ abgeschlossen sind – was nach wenigen Tagen der Fall sein dürfte –, gilt es, eine professionelle Liquiditätssicherung darzustellen.

Das Szenario unterscheidet sich insofern von Restruk­turierungssituationen außerhalb der Insolvenz, dass die Verbindlichkeiten, die vor Insolvenzantrag bereits bestanden haben, Insolvenzforderungen gem. § 38 InsO sind, die in die Liquiditätsplanung nicht mehr einbezogen werden müssen, da sie nicht mehr bezahlt werden dürfen.

Bei der Liquiditätssicherung sind Aus- bzw. Abson­derungsrechte bei der Planung einer freien Liquidität zu berücksichtigen (z. B. Eigentumsvorbehalte, Globalzession). Durch eine offene Kommunikation sollte es gelingen, umgehend Vertrauen mit den beteiligten Lieferanten/Gläubigern aufzubauen. An dieser Stelle sind der Insolvenzverwalter und der Unternehmer gefragt. Zur Steuerung und Überwachung der Liquidität kann/sollte eine zentrale Liquiditätsstelle im Unternehmen eingerichtet werden, die als Ansprechperson für das Thema dient. Das kann ein externer (Unternehmens- oder Steuerberater) oder interner Controller sein, etwa ein kaufmännisch Verantwortlicher im Unternehmen oder ein spezialisier­ter Kollege aus dem Team des Insolvenzverwalters.

An dieser zentralen Liquiditätsstelle müssen/sollten alle liquiditätsrelevanten Geschäftsvorfälle zusammen­laufen und mit den Planzahlen abgeglichen werden. Der Controller hat ein regelmäßiges Reporting zu erstellen. Die Frequenz der Berichte richtet sich na­türlich nach der Größe und Branche des Unternehmens. Je nachdem bieten sich tägliche, wöchentliche oder nur monatliche Reportings an. Dadurch ergibt sich stets ein aktuelles Bild, auch vom Debitorenbestand und von Veränderungen des Umlaufvermögens.

Auch an dieser Stelle gilt: Die transparente Darstellung der laufenden Vorgänge, des Status quo sollte gegen­über den Verfahrensbeteiligten kommuniziert werden.

Wenn finanzwirtschaftliche Maßnahmen nicht ergriffen werden und die Krise andauert, sinkt der Liquiditätsbestand. Jedenfalls in einem vorläufigen Insolvenzverfahren sind die Spielräume, derartige Maßnahmen umzusetzen, sehr knapp bemessen. Erfahrungsgemäß werden die Insolvenzanträge nicht rechtzeitig gestellt und auch die Insolvenzanträge wegen drohender Zahlungsunfähig­keit gem. § 18 InsO sind leider rar. Das hat zur Folge, dass die Liquidität weitestgehend aufgezehrt ist und erst erwirtschaftet werden muss. Bei einer professionell begleiteten Antragstellung ist hingegen davon auszugehen, dass ein aussagekräftiger Liquiditäts­plan vorliegt, der lediglich noch im Hinblick auf insolvenzspezifische Besonderheiten angepasst werden muss. Denn die Themen Insolvenzgeldvorfinanzierung, Beendigung von Rückstandszahlungen sowie die Beendigung weiterer Dauerschuldverhältnisse haben unmittelbare Auswirkungen auf eine solche Planung.

Auch hier kann man einen Maßnahmenkatalog zur Anwendung bringen:

  • Sofortige Prüfung der bestehenden Bankverbindungen,
  • Sicherung von Guthaben,
  • Überwachung von Zahlungseingängen,
  • Überprüfung von Bank-Sicherheiten,
  • Integration Insolvenzgeldvorfinanzierung,
  • Einrichtung Treuhandkonto, nach Insolvenzeröffnung Massekonto,
  • unmittelbares Ansprechen der Schlüsselkunden,
  • unmittelbares Ansprechen der Schlüssellieferanten,
  • eigene Inventur anbieten,
  • Abgrenzung der Verbindlichkeiten,
  • Aufrechnungsverzichte einholen,
  • unmittelbares Ansprechen der sonstigen Schlüsselgläubiger, vor allem Banken.

Masse-Kredite: Schaffung von Liquidität

Da jedenfalls von einer sehr angespannten Liqui­ditätssituation auszugehen ist, kommt ein sog. „unechter Massekredit“ in Betracht. Grundsätzlich ist der vorläufige Verwalter zwar in den meisten Fällen zum Einzug der Forderungen ermächtigt. Bei zedierten Forderungen ist das aber irrelevant, da die Sicherungs­rechte zu beachten sind. Neben einer Globalzession hat man es üblicherweise mit einer Raum-Siche­rungsübereignung zu tun. Mit der Bank bzw. der Gläubigerin ist zu vereinbaren, dass diese Forderungen eingezogen und auch die Waren unter Sicherungsüber­eignung verwendet und verwertet werden dürfen. Die Abrechnung über die insoweit erfolgten Verwertungen erfolgt dann zu einem späteren mit der Bank vereinbarten Zeitpunkt. In der Praxis hat sich gezeigt, dass dies unproblematisch umgesetzt werden kann, wenn nur offen und zeitnah kommuniziert wird.

Hierneben gibt es sogar die Möglichkeit, einen „echten Massekredit“ zu vereinbaren. Die Ermächtigung des Insolvenzgerichts oder eines (vorläufigen) Gläu­bigerausschusses vorausgesetzt, kann in diesen Fällen von einer Bank ein Darlehen aufgenommen werden. Zwingende Voraussetzung hierfür ist eine verlässliche Planung, aus der sich ergibt, dass die Rückzahlung dieses Darlehens sicher gewährleistet ist. An der Stelle ist die Gewährung von Sicherheiten an die kreditierende Bank sinnvoll und üblich.

Jede Betriebsfortführung steht und fällt mit dem Verhalten der Lieferanten und Kunden. Insbesondere im Bereich von „Automotive-Insolvenzen“ hängt der Erfolg einer Betriebsfortführung bzw. ob diese überhaupt möglich ist, von dem Verhalten des bzw. der Kunden ab.

Geschäftsführer reagieren auf dieses Thema erfahrungsge­mäß unterschiedlich. In einem ersten Instinkt wird die Information der Kunden oft als „unangenehm“ empfunden. Diese Ängste kann man mit entsprechenden Erfahrungswer­ten nehmen. Eine gemeinsame, transparente Kommunika­tion ist der einzige Weg, hier das Vertrauen der Kunden nicht zu verlieren. Tatsächlich verspielt man ohne eine eigeninitiierte, offene Kommunikation den letzten Rest an Vertrauen. Dem Grunde nach kann davon ausgegangen werden, dass auch auf Kundenseite das Interesse besteht, die Geschäftsbeziehung samt den etablierten Lieferwegen beizubehalten. Nicht alle Kunden haben schließlich einen „Plan B“ in der Tasche und können binnen weniger Tage auf Ausweichlieferanten zugreifen. Auch die Lieferanten sind meist darauf angewiesen, die Geschäftsbeziehung fortzusetzen. Sie haben ein Interesse an der Weiterbelieferung des Unternehmens, um sich ihre Lieferkanäle offenzuhalten. Eine dauerhafte Sanierungslösung steht daher im Interesse aller.

Höchstwahrscheinlich ist das Bestehen von Ab­son­derungsrechten aus verlängerten bzw. erweiterten Eigentumsvorbehaltsrechten gegeben. Das ist umgehend zu prüfen, um etwa auf dieser Basis wenigstens Abschlagszahlungen zu leisten. Insoweit bewährt sind auch „Depot-Zahlungen“, bei denen Sicherheits­zah­lungen geleistet werden, die zur Sicherung laufender Bestellungen dienen und dann unter Umständen nach Insolvenzeröffnung für die Befriedigung von Absonde­rungsrechten verrechnet werden. Da auch an dieser Stelle für die Beteiligten keine unerheblichen Haftungs­risiken bestehen, ist der Unternehmer auf eine kompetente Unterstützung durch ein ausreichend großes Team des Insolvenzverwalters angewiesen.

Zahlungszusagen?

Wie geht man mit Zahlungszusagen um, die erfahrungsgemäß von den Lieferanten gefordert werden und ohne die es keine Weiterbelieferung gibt? Besonders problematisch ist dies im vorläufigen Insolvenzverfahren, da grundsätzlich mit Eröffnung des Verfahrens offene Verbindlichkeiten des Unternehmens Insolvenzforderungen gem. § 38 InsO sind. Ausnahmen gibt es nur in den Fällen, in denen eine gerichtliche Ermächtigung vorliegt, die aus der Forderung eine Masseverbindlichkeit macht. Oder aber – und dafür hat der Gesetzgeber diese Regelung eigentlich geschaffen – die Verbindlichkeiten werden durch einen sog. „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter begründet (§§ 22 Abs. 1 S. 1, 55 Abs. 2 S. 1 InsO). Grundlage für das Bestellwesen ist eine ordentliche Betriebsplanung mit Liquiditätsrechnung. Daher ist für das Bestellwesen des Unternehmens ein Standard-Prozess zu definieren und von diesem zu berücksichtigen. Hiernach müssen die Bestellungen auf Ertrag geprüft werden. Darüber hinaus muss bekannt sein, wann die kreditorische Rechnung zu bezahlen und wann mit dem zugehörigen Zahlungseingang zu rechnen ist.

Grundregel: Keine Bestellung ohne Zustimmung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters. Für kleinere, wiederkehrende Bestellungen können bei sorgfältiger Planung Sammel-/Rahmenzustimmungen erteilt werden. Derartige Zustimmungen sollten stets schriftlich erfolgen, damit es hier bei keinem der Beteiligten Unklarheiten gibt. Der Lieferant erhält dadurch Planungssicherheit, wenn die auszulösende Bestellung durch Unterschrift des Verwalters freigegeben wird.

Der Beitrag zeigt, wie wichtig es für eine erfolgreiche Fortführung des Unternehmens in der Krise ist, auf ein erfahrenes Team von Spezialisten zurückgreifen zu können, damit ein solcher Prozess professionell und zeitnah umgesetzt werden kann. Vor allem sollten ausreichend personelle Kapazitäten in den betriebswirtschaftlichen und kommunikativen Bereichen gegeben sein, um dem Unternehmen die bestmögliche Unterstützung im Restrukturierungsprozess zu ermöglichen. Das verschafft dem Unternehmen die benötigte Zeit, Maßnahmen umzusetzen und längerfristige Ziele zu erreichen.

Bild: Fotolia/Photographee.eu

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