Artikel erschienen am 27.12.2018
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Steuerstrafverfahren

Strafrecht oder Steuerrecht?

Von Dr. iur. Paul-Frank Weise, Braunschweig

Ein Begriff – zwei Verfahren

Bei dem Verdacht einer Steuerstraftat ermittelt die Finanzbehörde den Sachverhalt (§ 386 Abs. 1 S. 1 AO). Die jeweils einem Finanzamt zugeordneten Steuerfahndungsstellen ermitteln dabei zunächst in einem einheitlichen steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren den sowohl zur Feststellung der Besteuerungsgrundlagen als auch den zur Durchführung für das Strafverfahren erforderlichen Sachverhalt. Dem Betroffenen und seinen Beratern ist hierbei häufig nicht bewusst, dass sie es eigentlich schon bei Aufnahme der Ermittlungen nicht mit einem Verfahren zu tun haben, sondern mit zwei Verfahren, nämlich dem Strafverfahren einerseits und dem Besteuerungsverfahren andererseits. Das Gesetz ordnet an, die Rechte und Pflichten in diesem Zwitterverfahren richten sich nach den unterschiedlichen für das Strafverfahren einerseits und das Besteuerungsverfahren andererseits geltenden Vorschriften (§ 393 Abs. 1 S. 1 AO).

Nach dem Abschluss der Ermittlungen nehmen zwei Verfahren separat ihren Fortgang:

  • Über die Besteuerung entscheiden dann die Finanzverwaltungen, ggf. die Finanzgerichte und der BFH.
  • Über die Strafe entscheiden dann die Bußgeld- und Strafsachenstelle eines Finanzamts bzw. die Staatsanwaltschaft und die Strafgerichte und in letzter Instanz der BGH.

Risiko widersprüchlicher Ergebnisse

Die steuerstrafrechtliche Entscheidung eines Strafgerichts einerseits und die steuerrechtliche Entscheidung eines Finanzgerichts in derselben Sache andererseits können zeitlich weit versetzt und inhaltlich durchaus widersprüchlich ergehen. Die Urteile haben keine gegenseitige Bindungswirkung.

Eine effektive Steuerstrafverteidigung muss daher den Ausgang beider Verfahren im Blick haben und im Idealfall einen möglichst gleichzeitigen oder aufeinander abgestimmten Abschluss des Steuerverfahrens und des Steuerstrafverfahrens erreichen, am besten in einer Frühphase des Verfahrens, bevor es in die streitigen Gerichtsverfahren geht.

Zusätzliche Verfahren

Mit dem Vorwurf einer Steuerhinterziehung sind häufig weitere vom Betroffenen und seinen regulären Beratern nicht wahrgenommene rechtliche Tatbestände mit empfindlichen Auswirkungen verbunden:

  • Separate Verfolgung zusätzlicher Strafbarkeitsvorwürfe (z. B. Betrug, Urkundenfälschung, Bestechung oder Vorteilsnahme im In- oder Ausland, Schwarzarbeit, Sozialversicherungsbetrug und weitere Vorwürfe).
  • Berufsrechtliche Konsequenzen für Angehörige von Heilberufen.
  • Konsequenzen für Beamte und Angehörige des öffentlichen Dienstes.
  • Berufsrechtliche Konsequenzen für Berufsgruppen (Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte, Notare, Patentanwälte etc.).
  • Gefahr des Widerrufs und der Versagung wichtiger behördlicher Genehmigungen (z. B. Waffen- oder Jagdschein, Pilotenschein, Gewerbeerlaubnis, Aufenthaltsgenehmigung für Ausländer, Geschäftsführertätigkeiten etc.).
  • Verhängung von Bußgeldern durch die Ordnungsbehörden.
  • Persönliche Haftungsinanspruchnahmen der handelnden Personen oder Berater.
  • Insolvenzgefahr.

Ziel: Gesamtpaket

Die Risiken werden häufig zu spät erkannt. Riskant ist zudem die Annahme, das Steuerverfahren oder das Steuerstrafverfahren unkoordiniert bis zur Bestandskraft führen zu können. Richtigerweise muss von Anfang an koordinierte Fachkompetenz für alle Bereiche abgedeckt sein. Nur dann besteht eine realistische Aussicht, in einem Gesamtpaket ein Ergebnis zu erzielen.

Spannungsverhältnis zwischen Steuerrecht und Steuerstrafrecht

Im Verfahren zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen kommt der Zusammenarbeit aller Beteiligten (Finanzverwaltung, Fahndung, Steuerpflichtiger, Fachanwalt, Steuerberater) grundlegende Bedeutung zu. Nach §§ 393 Abs. 1 i. V. m 90, 93, 200 Abgabenordnung (AO) bleibt der Steuerpflichtige im Besteuerungsverfahren weiterhin zur Mitwirkung verpflichtet. Diese Mitwirkung kann jedoch während des Steuerstrafverfahrens nicht erzwungen werden, weil andernfalls das strafrechtlich garantierte Aussageverweigerungsrecht (§§ 136 Abs. 1
S. 2; 163a Abs. 3 und 4 StPO) durch eine Selbstbelastung unterlaufen würde.

Im Besteuerungsverfahren mag insoweit zwar de facto ein Auskunftsverweigerungsrecht bestehen. In der Folge kann es dann aber zu Streit um steuerliche Schätzungen bei dem schweigenden Steuerpflichtigen kommen.

Weitere damit zusammenhängende Probleme können bei der Abgabe laufender Steuererklärungen während des Steuerstrafverfahrens auftreten. Nach herrschender Meinung befreit das strafrechtliche Aussageverweigerungsrecht den Betroffenen nicht von der Pflicht, auch während eines Steuerstrafverfahrens laufende Steuererklärungen abzugeben. Hier müssen die Beteiligten aufpassen, dass durch unterlassene Steuererklärungen oder wahrheitswidrige weitere Steuererklärungen nicht ein zusätzlicher Sachverhalt der Steuerhinterziehung verwirklicht wird. Gleichzeitig muss vermieden werden, dass aus aktuellen Erklärungen zwingende negative Rückschlüsse auf die Vergangenheit und damit auf die im Raum stehenden steuerstrafrechtlichen Vorwürfe zu Lasten des Betroffenen gezogen werden können.

Während des Steuerstrafverfahrens besteht daher häufig ein schmaler Grat zwischen sachgerechtem und zulässigem Verteidigungsverhalten einerseits und negativen Folgen bei Schweigen oder fehlerhaften Einlassungen andererseits.

Außerdem sollten die Betroffenen in dieser Phase sorgfältig prüfen, ob die Gefahr weiterer Strafverfahren, Zivilverfahren oder Verwaltungsverfahren besteht und ihr Verhalten entsprechend einrichten.

Steuerstreit und Steuereinigung

Als Mittel der Verteidigung sind daher der Steuerstreit und die Steuereinigung zum richtigen Zeitpunkt anzustreben. Die tatsächliche Verständigung bietet dazu ein mit der Finanzverwaltung regelmäßig eingesetztes Instrument. Im Rahmen einer solchen Einigung kommt es dann allerdings darauf an, dass es nicht zu einer sogenannten Schein-Gesamtlösung kommt, bei der alle weiteren rechtlichen Folgen nicht bereits bedacht sind.

Zusätzlich zur Steuerfahndung sollten zu diesem Zeitpunkt daher auch schon zumindest Gespräche mit der Bußgeld- und Strafsachenstelle, unter Umständen auch schon mit der Staatsanwaltschaft geführt sein, um zum Beispiel Möglichkeiten einer Einstellung gegen Geldauflage (§ 153a StPO) oder der Verhängung eines Strafbefehls miteinander abgestimmt zu haben.

Streitige Klärung

Schließlich – sollte es trotz allen Bemühens auf streitige Klärungen vor dem Finanzgericht und / oder dem Strafgericht hinauslaufen – sollte sichergestellt sein, dass in dem Verfahrensstadium bis dahin im Spannungsverhältnis zwischen (strafrechtlichem) Aussageverweigerungsrecht und (steuerlicher) Mitwirkung weder schädliche Einlassungen noch schädliche Unterlassungen stattgefunden haben. Im Steuerrecht greift  – auch bei Informationsgewinnung im Zusammenhang mit Verstößen gegen Steuerverfahrensrecht – nicht ohne Weiteres ein Verwertungsverbot (siehe etwa § 393 Abs. 2 und 3 AO für Steuerrecht, Steuerstrafrecht und Taten, die keine Steuerstraftaten sind).

Fazit

Das Steuerstrafverfahren ist ein Verfahren eigener Art. Eine sachgerechte Interessensicherung setzt qualifizierte und koordinierte Kompetenzen im Steuerrecht, im Strafrecht, in den jeweiligen Verfahrensrechten und in weiteren Schnittstellengebieten voraus. Andernfalls drohen unberechenbare Minenfelder.

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