Artikel erschienen am 15.03.2018
E-Paper

Eigenverwaltung

Fortführung und Sanierung von Unternehmen in „Eigenregie“ durch die Geschäftsleitung

Von Dr. iur. Christoph Morgen, Hamburg

Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen („ESUG“) im Jahre 2012 ist das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung in immer mehr Fällen zum Einsatz gekommen. Paracelsus-Kliniken, Beate Uhse, Air Berlin und Rickmers Holding sind nur einige jüngere Beispiele.

Die Eigenverwaltung ist keine eigene Verfahrensart, sondern eine besondere Form des Insolvenzverfahrens. Für Unternehmen bietet sie die Möglichkeit, die Sanierung im Insolvenzverfahren selbst durchzuführen und den Geschäftsbetrieb eigenständig fortzuführen. Anders als beim „klassischen“ Insolvenzverfahren verbleibt die Verwaltungs- und Verfügungsgewalt bei der Geschäftsleitung des Unternehmens. An Stelle eines Insolvenzverwalters wird ein Sachwalter bestellt, welchem schwerpunktmäßig nur eine Aufsichtsfunktion zukommt.

Der Antrag auf Eigenverwaltung muss gut vorbereitet sein. Sind beispielsweise die im Rahmen der Insolvenzantragstellung gemachten Angaben unvollständig oder falsch oder wird ein Insolvenzantrag zu spät gestellt, liegt ein Indiz gegen die Anordnung der Eigenverwaltung vor.
Es ist daher von wesentlicher Bedeutung, dass Sanierungsmaßnahmen so früh wie möglich eingeleitet werden.

Ablauf der Eigenverwaltung

Mit Eingang der Anträge bei Gericht und bei nicht offensichtlicher Aussichtslosigkeit der Eigenverwaltung beginnt die sog. vorläufige Eigenverwaltung, in der zunächst ein vorläufiger Sachwalter bestellt und ggf. ein vorläufiger Gläubigerausschuss eingesetzt wird. Dieser Verfahrensabschnitt dient der Prüfung, ob Eröffnungsgründe vorliegen, die Verfahrenskosten voraussichtlich gedeckt werden können und die Eigenverwaltung tauglich ist.

In der vorläufigen Eigenverwaltung können bereits Sanierungsmaßnahmen eingeleitet und umgesetzt werden. Unter anderem besteht die Möglichkeit der Insolvenzgeldvorfinanzierung. Das bedeutet, dass die Nettoarbeitsentgelte der Arbeitnehmer bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze für maximal drei Monate durch eine Bank vorfinanziert und später durch die Agentur für Arbeit übernommen werden. Die Agentur für Arbeit kann ihre Forderungen hinterher nur zur Insolvenztabelle anmelden. Im Ergebnis wird das schuldnerische Unternehmen dadurch für drei Monate von der Zahlung von Löhnen und Gehältern befreit. Regelmäßig nach drei Monaten entscheidet das Insolvenzgericht über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Anordnung der Eigenverwaltung. Mit dem Eröffnungsbeschluss beginnt das eigentliche Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung.

Beispielhafter Ablauf einer Eigenverwaltung.

Aufgabenverteilung

Die Geschäftsleitung des schuldnerischen Unternehmens muss nicht nur im operativen Geschäft die Besonderheiten der Insolvenzordnung berücksichtigen, sondern auch eine Vielzahl von Aufgaben übernehmen, welche im „klassischen“ Insolvenzverfahren dem Insolvenzverwalter obliegen.

Nur bestimmte Aufgaben wie beispielsweise die Insolvenzanfechtung verbleiben beim Sachwalter. Im Übrigen obliegt dem Sachwalter nur die Überwachung und Kontrolle der Eigenverwaltung durch den Schuldner. Er kann insbesondere dem Eingehen von Verbindlichkeiten widersprechen.

Seit dem ESUG ist die Rolle des vorläufigen Gläubiger-ausschusses erheblich erweitert worden, welcher sich aus Vertretern verschiedener Gläubigergruppen zusammensetzt. Der vorläufige Gläubigerausschuss kann die Person des vorläufigen Sachwalters vorschlagen. Bei einem einstimmigen Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses zur Person des vorläufigen Sachwalters darf das Gericht grundsätzlich nur dann abweichen, wenn die vorgeschlagene Person für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist. Damit ist der frühzeitige Einfluss der Gläubiger erheblich erweitert worden.

Vorteile der Eigenverwaltung

Die Eigenverwaltung kann im Vergleich zur Sanierung außerhalb der Insolvenz einerseits und zum „klassischen“ Insolvenzverfahren andererseits Vorteile bieten. Im Vergleich zur Sanierung außerhalb der Insolvenz besteht insbesondere der Vorteil, dass der Geschäftsführung des schuldnerischen Unternehmens bessere Sanierungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Dies umfasst z. B. die Möglichkeit, Dauerschuldverhältnisse vorzeitig zu beenden oder Arbeitnehmern unter erleichterten Bedingungen zu kündigen. Ferner bietet die Eigenverwaltung im Vergleich zur Sanierung außerhalb der Insolvenz Planungssicherheit und es besteht der Vorteil, dass die Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen nicht zwingend von der Zustimmung sämtlicher Gläubiger abhängig ist.

Im Vergleich zur „klassischen“ Insolvenzverwaltung bietet die Eigenverwaltung den Vorteil, dass die Geschäftsleitung grundsätzlich die Kontrolle über das schuldnerische Unternehmen behält. Damit bleibt der Geschäftsbetrieb des Unternehmens handlungsfähig und der Verlust von Fähigkeiten und Wissen wird vermieden. Die Geschäftsleitung kennt das Unternehmen und den Markt regelmäßig besser als ein Insolvenzverwalter. Auch wird der „Makel“ der Insolvenz bei der Eigenverwaltung häufig als geringer angesehen, wodurch Kunden- und Lieferantenbeziehungen besser aufrechterhalten werden können. Eine positive Außendarstellung ist bei der Eigenverwaltung vielfach besser möglich als bei der „klassischen“ Insolvenzverwaltung.

Aus der Sicht des schuldnerischen Unternehmens erscheint die Eigenverwaltung vor allem in Verbindung mit einem Insolvenzplan sinnvoll, da das schuldnerische Unternehmen dauerhaft erhalten und das Insolvenzverfahren nach Bestätigung des Insolvenzplans aufgehoben werden kann. Ein Insolvenzplan ist – vereinfacht ausgedrückt – eine Regelung zwischen dem schuldnerischen Unternehmen und seinen Gläubigern zur Beseitigung der Insolvenz. Typischerweise wird darin vorgesehen, dass die Gläubiger eine Quote erhalten und im Gegenzug auf die dann noch ausstehenden Altverbindlichkeiten verzichten. Alternativ kann in einem Insolvenzplan seit der Insolvenz­rechtsreform beispielsweise auch eine Umwandlung von Fremdkapital in Eigenkapital geregelt werden (sog. „Debt-Equity-Swap“). Hierdurch kann eine Überschuldungslage beseitigt und durch den Wegfall von Zins- und Tilgungsverpflichtungen die Zahlungsfähigkeit wiederhergestellt werden. Die ehemaligen Gläubiger werden so zu neuen (Mit-)Eigentümern des schuldnerischen Unternehmens. Für die Gläubiger führt ein Insolvenzplan regelmäßig zu einer höheren und frühzeitigeren Insolvenzquotenzahlung. Auch profitieren die Gläubiger dadurch, dass durch die Fortführung des Unternehmens ein Vertragspartner für neue Geschäftsbeziehungen erhalten bleibt.

Um die Sanierung zu beschleunigen, kann im Rahmen der Eigenverwaltung ein sog. Schutzschirmverfahren mit beantragt werden, wonach innerhalb einer Frist von maximal drei Monaten ein Insolvenzplan zu erarbeiten ist. Ein Schutzschirmverfahren kann beantragt werden, wenn mit der Antragstellung eine Bescheinigung vorgelegt wird, dass die Zahlungs­unfähigkeit nur droht und die angestrebte Sanierung Aussicht auf Erfolg hat. Bei dem Schutzschirmverfahren kann der Schuldner den Sachwalter sogar selbst aussuchen. Das Gericht darf von dem Vorschlag des Schuldners nur abweichen, wenn die vorgeschlagene Person offensichtlich ungeeignet ist.

Anforderungen und Risiken

Die Durchführung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung bedarf einer intensiven operativen und rechtlichen Vorbereitung. Von großer Bedeutung ist insbesondere die Kommunikation mit dem Insolvenzgericht und den beteiligten Gläubigern. Bei einer Vielzahl von rechtlichen Fragestellungen bestehen aktuell keine höchstrichterlich geklärten Antworten, sodass erhebliche Haftungsrisiken für die Beteiligten drohen können. Insofern ist es regelmäßig erforderlich, dass das schuldnerische Unternehmen bei der Durchführung des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung durch eine qualifizierte insolvenzrechtliche Beratung begleitet wird. Teilweise erweitern Experten auf dem Gebiet des Insolvenzrechts die Geschäftsleitung, um das bisherige Management bei der Eigenverwaltung zu unterstützen (sog. „Chief Insolvency Officer“).

Für die Gesellschafter des schuldnerischen Unternehmens bestehen seit dem ESUG neue Risiken, aber auch Chancen. Ihr Blockade- und Verhandlungspotenzial hat sich reduziert. In der Praxis ist es bereits zu kompletten Bereinigungen und Neuordnungen der Gesellschafterstruktur im Rahmen eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung gekommen. Andererseits zeigt auch eine Vielzahl von Fällen, dass den Eigentümern nach Abschluss der Eigenverwaltung Anteile am Unternehmen verbleiben können. Das erfordert regelmäßig Sanierungsbeiträge der Gesellschafter. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, in einem Insolvenzplan neben der Entschuldung des Unternehmens die Enthaftung von Gesellschaftern und Geschäftsführern zu vereinbaren.

Fazit

Der Gesetzgeber hat mit dem ESUG die Möglichkeiten einer Sanierung fortführungsfähiger Unternehmen unter dem Schutz eines Insolvenzverfahrens erheblich erweitert und gestärkt. Die Eigenverwaltung eröffnet die Möglichkeit, die Sanierung des Unternehmens durch die Geschäftsleitung in „Eigenregie“ unter der Aufsicht eines Sachwalters selbst durchzuführen. Es kann für alle Beteiligten von Vorteil sein, wenn ein erhaltenswertes Unternehmens weiterhin am Markt operieren kann und die Geschäftsleitung „im Boot“ bleibt. Allerdings setzt bereits der Antrag auf Eigenverwaltung erhebliche Vorbereitungsmaßnahmen voraus und im gesamten Verfahren müssen die Besonderheiten der Insolvenzordnung berücksichtigt werden. Aufgrund der hohen Anforderungen ist es regelmäßig erforderlich, dass ein qualifizierter Experte auf dem Gebiet des Insolvenzrechts hinzugezogen wird.

Seit dem ESUG sind nunmehr fünf Jahre vergangen. Derzeit findet eine umfangreiche Evaluation des ESUG statt. Die Ergebnisse sind noch nicht veröffentlicht. Die Praxis zieht aber bereits jetzt ein positives Fazit, sieht allerdings auch noch Verbesserungspotenzial. Die Eigenverwaltung hat sich zu einem Standardverfahren entwickelt. Das „Stigma der Insolvenz“ konnte nach dem Eindruck der Praxis bei der Eigenverwaltung deutlich reduziert werden. Auch werden Sanierungsmaßnahmen häufig früher in Angriff genommen als in der Vergangenheit.

Bild: Fotolia/ilyaf

Ähnliche Artikel

Finanzen Steuern Recht

Der Insolvenzantrag – ein Sanierungsinstrument?

Die Insolvenz ist ein Thema, mit dem sich zwischenzeitlich jeder Unternehmer auseinandersetzen muss. Das gilt sowohl für die Fallgestaltung, in der ein Kunde insolvent wird, als auch für die – sicherlich noch ungünstigere – Situation, in der das eigene Unternehmen insolvent ist oder insolvent zu werden droht. Dabei haben sich die tatsächlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen über die Jahrzehnte deutlich geändert.

Hannover 2014 | Dipl.-Betriebswirt Heiko Rautmann, Hannover | Udo Müller, Hannover

Finanzen Steuern Recht

Insolvenzrechtliche Anfechtungsrisiken bei der Weiterbelieferung

Erkennen und vermeiden

Lieferanten eines später insolventen Unternehmens werden in die prekäre Lage versetzt, sich in nur noch schwer überschaubarer Weise vor dem Risiko zu schützen, dass ein Insolvenzverwalter die vor der Insolvenz ihrer Kunden vereinnahmten Zahlungen durch die Geltendmachung von Anfechtungsansprüchen zurückverlangen kann.

Hamburg 2017 | Dr. iur. Christoph Morgen, Hamburg | Dr. iur. Annika Schinkel, Hamburg