Artikel erschienen am 11.10.2019
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Bilanzgarantien: Auf die Formulierung kommt es an

Notwendigkeit klarer Regelungen im Unternehmenskaufvertrag

Von Dr. iur. Georg Rotthege, Düsseldorf

In Unternehmenskaufverträgen wird das Gewähr­leistungssystem nach BGB und HGB zumeist in größt­möglichem Umfang durch ein in sich geschlossenes vertragliches Haftungsregime ersetzt. Hierbei gibt der Verkäufer spezielle, auf das zu verkaufende Unternehmen abgestimmte Garantien ab. Die Rechtsfolgen von Verletzungen werden so genau wie möglich geregelt. Fester Bestandteil des Garantiekatalogs ist regelmäßig die Bilanzgarantie. Durch sie will der Käufer – vereinfacht ausgedrückt – das Risiko einer falschen Bilanzierung durch den Verkäufer und einer hiervon ausgehenden Beeinträchtigung der zukünftigen Gewinnerwartung absichern.

Übliche Formulierung

Die praxisübliche Bilanzgarantie lautet: „Der Jahresabschluss ist mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns, unter Beachtung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung nach den gesetzlichen Vorschriften unter Wahrung der Bilanzierungs- und Bewertungskontinuität erstellt worden und vermittelt ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft.“

Diese Formulierung ist an die Vorschrift des § 264 Abs. 2 HGB angelehnt. Prima vista scheint sie lediglich zu bestätigen, dass die Bilanz in Übereinstimmung mit geltendem Recht erstellt wurde. Bedenkt man aber, dass bestimmte Bilanzkennzahlen wesentlich für die Berechnung des Unternehmenswerts und damit regelmäßig auch des Kaufpreises sind, so erschließt sich die besondere Bedeutung des genauen Umfangs der Bilanzgarantie und der Folgen ihrer Verletzung.

Haftungsvoraussetzungen

Der Wortlaut der Bilanzgarantie ordnet die Haftung des Verkäufers an, wenn (i) die Bilanz fehlerhaft ist (d. h. nicht den gesetzlichen Vorschriften entspricht), (ii) dem Käufer ein Schaden entstanden ist, (iii) dieser Schaden gerade auf der Unrichtigkeit der Garantie beruht und (iv) die Haftung nicht ausnahmsweise wegen Kenntnis des Käufers vom Bilanzierungsfehler ausgeschlossen ist.

Wann gilt eine Bilanz als „falsch“?

Dass es gar nicht so einfach ist, eine Bilanz als „falsch“ zu enttarnen, zeigt folgendes Beispiel: Bei der Zielgesellschaft handelt es sich um ein Bauunternehmen. Ein Kunde hat Mängelrüge wegen der Ausführung eines Gewerks erhoben. Die Geschäftsleitung stuft den Mangel nach sorgfältiger Prüfung als unwesentlich ein („Schaden“ etwa 1 TEuro) und bildet eine entsprechende Rückstellung. Zu einem späteren Zeitpunkt (nach Ablauf des Wertaufhellungszeitraums) stellt sich jedoch heraus, dass der Mangel wesentlich war und seine Beseitigung einen deutlich höheren Aufwand (etwa 500 TEuro) erfordert. Der Käufer der Zielgesellschaft beruft sich auf die Verletzung der (dem o. g. Wortlaut entsprechenden) Bilanzgarantie, weil eine ausreichende Rückstellung nicht gebildet worden sei.

Aus Sicht des Bilanzrechts wurde die Rückstellung am Stichtag zutreffend gebildet, die Bilanz war daher nicht „falsch“. Für den sorgfältigen Kaufmann war ein höheres Risiko am Bilanzstichtag nicht ersichtlich. Das Bilanzrecht verlangt bei der Einschätzung von Risiken lediglich die verkehrsübliche Sorgfalt, der Kaufmann braucht nicht „allwissend“ zu sein.

Auch das „True-and-fair-view-Gebot“ des § 264 Abs. 2 S. 1 HGB wurde beachtet. Danach muss der Jahresabschluss „ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage“ der Gesellschaft vermitteln (sog. Einblicksgebot). Das Einblicksgebot steht unter dem Vorbehalt der Beachtung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) und bildet trotz des (irreführenden) Abstellens auf die „tatsächlichen“ Verhältnisse eine rein normative Anforderung bezogen auf das Gesamtbild des Abschlusses und nicht auf einzelne Aspekte. Also alles in Ordnung?

Harte oder weiche Bilanzgarantie

Nein! Das OLG Frankfurt hat in einem vielbeachteten Urteil aus dem Jahre 2015 (Urt. v. 07.05.2015 – Az. 26 U 35/12) den Verkäufer in einer ganz ähnlichen Konstellation in die Haftung genommen. Er habe eine sogenannte „harte“ Bilanzgarantie übernommen, bei der eine Einstandspflicht sogar für Schulden bestehe, die selbst für einen sorgfältigen Kaufmann am Stichtag und bis zur Aufstellung des Abschlusses nicht erkennbar waren.

Denn: Rechtlich wird zwischen objektiven („harten“) und subjektiven („weichen“) Bilanzgarantien unterschieden. Die objektive Bilanzgarantie verspricht die vollständige sachliche Richtigkeit der Bilanz. Im Zweifel umfasst dies also auch eine Haftung für solche Sachverhalte, die im Zeitpunkt der Erstellung der Bilanz unbekannt waren. Aus Sicht des Verkäufers als Garantiegeber stellt dies ein kaum abzuschätzendes Risiko dar.

Mit der subjektiven Bilanzgarantie verspricht der Verkäufer dagegen regelmäßig „nur“, dass der Bilanzaufsteller die kaufmännische Sorgfalt angewendet und die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung beachtet hat. Zwar kann auch dies aufgrund der entsprechenden Prüfpflichten zu einer umfangreichen Haftung des Verkäufers führen; gleichwohl kommt es hier nur auf den individuellen – subjektiven – Kenntnisstand zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung an. Sachverhalte, die zu diesem Zeitpunkt auch unter Anwendung kaufmännischer Sorgfalt nicht zu erkennen waren, bleiben außer Betracht.

Folgen der Verletzung der Bilanzgarantie

Den Schaden des Käufers sieht das OLG Frankfurt in dem Minderwert, d. h. in der Wertdifferenz zu dem hypothetisch erzielten niedrigeren Kaufpreis und nicht in der Summe der Differenz von einzelnen unrichtigen Bilanzpositionen. Der Käufer sei bei einer derartigen Garantieverletzung so zu stellen, als wäre es ihm bei Kenntnis der wahren Sachlage gelungen, den Unternehmenskaufvertrag zu einem günstigeren Kaufpreis abzuschließen. Das OLG Frankfurt spricht sich damit gegen den sog. Bilanzauffüllungsansatz aus und bestätigt damit das wohl überwiegende Verständnis der Praxis. Danach ist der Käufer so zu stellen, wie er stehen würde, wenn er die objektiv korrekte Bilanz gekannt hätte, diese Kenntnis in die Kaufpreisfindung eingeflossen und damit ein niedrigerer Kaufpreis zu zahlen gewesen wäre.

In der Praxis bedarf es klarer Regelungen

Die Praxis ist gut beraten, die Rechtsprechung des OLG Frankfurt zur Auslegung von Bilanzgarantien – da höchstrichterliche Urteile hierzu bislang nicht existieren – bei der Vertragsgestaltung zu berücksichtigen. Im Rahmen der Verkäuferberatung ist über die Reichweite der harten Bilanzgarantie aufzuklären. Die gewählte Formulierung muss deutlich machen, ob eine objektive oder subjektive Garantie abgegeben wird. Um das subjektive Element zu betonen, kann auf bilanzielle Grundsätze, insbesondere die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung, Bezug genommen werden. Auch ist es möglich, eine objektive Bilanzgarantie auf bestimmte Bilanzpositionen einzuschränken und die weiteren Bilanzpositionen subjektiv abzugeben.

Auch die Rechtsfolgen der Verletzung sollten klar geregelt werden. So könnte klargestellt werden, dass der Käufer bei Verletzung der Bilanzgarantie so zu stellen ist, wie er stehen würde, wenn er die objektiv korrekte Bilanz gekannt hätte und diese Kenntnis in den Kaufpreis eingeflossen wäre. Ratsam ist in diesem Zusammenhang, die oft komplexe Ermittlung des Kaufpreises angemessen zu dokumentieren. Dies erleichtert es, den Einfluss der nachträglich korrigierten Bilanzposition auf den Kaufpreis darzulegen. Vorsicht ist aus Käufersicht geboten, wenn ein Multiplier auf Grundlage der Bilanz bzw. des EBITDA zur Kaufpreisermittlung verwendet wurde. Da dieses Verfahren eher ungenau ist, besteht die Gefahr, dass es für den Nachweis eines Schadens vor Gericht als nicht ausreichend erachtet wird. Es empfiehlt sich, den Schaden in diesem Fall anhand weiterer Kriterien nachzuweisen.

Fazit

Die Reichweite von Bilanzgarantien ist ein Kernpunkt in Unternehmenskaufverträgen. Die Haftungsrisiken sind im Vorfeld präzise zu ermitteln und abzuwägen. Empfehlenswert ist, eine genaue Regelung des Umfangs der Bilanzgarantie sowie der Rechtsfolgen ihrer potenziellen Verletzung vorzunehmen. Alternativ bietet es sich an, dieses Risiko durch den Abschluss einer War­ranty & Indemnity-Po­lice auf eine Ver­sich­er­ungs­ge­sell­schaft aus­zulagern; diese aus dem angelsächsischen Rechtsbereich kommende Möglichkeit wird zunehmend in solchen Fällen gewählt, in denen keine der Kaufvertragsparteien bestimmte Risiken übernehmen will. Der Verkäufer minimiert so das Risiko eigener Haftung und dem Käufer steht im Garantiefall ein solventer Schuldner zur Verfügung.

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