Artikel erschienen am 17.10.2019
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Vorinsolvenzliche Sanierung

Der Präventive Restrukturierungsrahmen ante portas

Von Dr. iur. Andreas Töller, Düsseldorf

Rund sieben Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) steht die deutsche Sanierungslandschaft erneut vor dem Umbruch. Eine neue EU-Richtlinie sieht die Einführung eines sogenannten präventiven Restrukturierungsrahmens in den Mitgliedsstaaten vor. Dieser soll eine frühzeitige Entschuldung außerhalb eines förmlichen Insolvenzverfahrens ermöglichen und dadurch Unternehmern zukünftig neue Gestaltungswege bei vorinsolvenzlichen Sanierungen eröffnen.

Der Rat der Europäischen Union stimmte am 06.06.2019 für die Annahme der Richtlinie über den präventiven Restrukturierungsrahmen; die Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union steht unmittelbar bevor. Die EU-Richtline gibt jedoch nur die „Leitplanken“ des neuen Sanierungsverfahrens vor. Dessen konkrete inhaltliche Ausgestaltung obliegt dem nationalen Gesetzgeber, der für die Umsetzung der Richtlinie nunmehr zwei Jahre Zeit hat.

Abgrenzung zum Insolvenzverfahren

Der präventive Restrukturierungsrahmen ist als vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren konzipiert und kann von Unternehmen bereits vor dem Eintritt einer materiellen Insolvenz in Anspruch genommen werden. Der Zugang zu diesem neuen Sanierungsverfahren setzt daher weder die Zahlungsunfähigkeit (§ 17 Insolvenzordnung (InsO)) des Unternehmens noch dessen Überschuldung (§ 19 InsO) voraus. Ziel des Verfahrens ist es vielmehr, die Insolvenz des Unternehmens frühzeitig abzuwenden.

Restrukturierungsplan

Herzstück des präventiven Restrukturierungsrahmens ist der sogenannte Restrukturierungsplan. Dieser stellt – ähnlich einem Insolvenzplan im förmlichen Insolvenz­verfahren – einen Gesamtvergleich zwischen den beteiligten Gläubigern und dem Unternehmen dar und kann ein breites Spektrum an Maßnahmen beinhalten, die zur Sanierung des Unternehmens erforderlich sind. Nach dem Wortlaut der Richtlinie können diese Maßnahmen insbesondere „die Änderung der Zusammensetzung, der Bedingungen oder der Struktur der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten eines Schuldners oder jedes anderen Teils der Kapitalstruktur, etwa den Verkauf von Vermögenswerten oder Geschäftsbereichen“ zum Gegenstand haben.

Anders als bei einem Insolvenzplan hat der sanierende Unternehmer im Rahmen dieses Restrukturierungsplans jedoch die Möglichkeit, lediglich ausgewählte Gläubigergruppen (z. B. Banken, Lieferanten etc.) in den Plan einzubeziehen. Nur in die Rechte dieser wird eingegriffen; die Vertragsbeziehungen mit den nicht am Restrukturierungsplan beteiligten Gläubigern bleiben von diesem unberührt. Dadurch ermöglicht der Restrukturierungsplan eine für das jeweilige Unternehmen „maßgeschneiderte“ Restrukturierung.

Die Abstimmung über den Restrukturierungsplan erfolgt gruppenweise. Dabei werden die am Plan beteiligten Gläubiger jeweils in Gruppen mit übereinstimmenden Interessen eingeteilt. Der Plan ist angenommen, wenn in jeder Gruppe eine qualifizierte Summenmehrheit der Forderungen und – sofern ein europäischer Mitgliedstaat dies vorsieht – die Kopfmehrheit dem Restrukturierungsplan zugestimmt hat. Eine gerichtliche Planbestätigung ist – unter bestimmten Voraussetzungen – jedoch auch dann möglich, wenn der Plan nicht in jeder Gruppe eine Mehrheit gefunden hat. Die Wirkungen des Restrukturierungsplans gelten in diesem Fall auch für die obstruierenden Gläubiger.

Zahlungsmoratorium von bis zu zwölf Monaten

Um die Erfolgsaussichten der vorinsolvenzlichen Sanierung weiter zu erhöhen, sieht die EU-Richtlinie ein sogenanntes Moratorium vor, welches das Unternehmen im Zeitraum der Verhandlung bzw. Umsetzung des Restrukturierungsplans vor Zwangsvollstreckungsmaßnahmen einzelner Gläubiger schützt. Die Regeldauer des Moratoriums ist auf vier Monate begrenzt, sie kann auf Antrag des Unternehmens jedoch auf insgesamt bis zu zwölf Monate Gesamtdauer verlängert werden. Grundsätzlich entfaltet das Moratorium Wirkung für sämtliche am Verfahren beteiligten Gläubigergruppen. Besonderheiten werden voraussichtlich für Forderungen von Arbeitnehmern gelten, die einem besonderen Schutz unterfallen.

Unternehmer bleibt Herr des Verfahrens

Die EU-Richtlinie gibt explizit vor, dass der Unternehmer im Rahmen einer Sanierung unter dem präventiven Restrukturierungsrahmen „ganz oder zumindest teilweise die Kontrolle über seine Vermögenswerte und den täglichen Betrieb des Unternehmens behalten“ soll. Ggf. wird ihm ein sogenannter Restrukturierungsverwalter zur Seite gestellt, der aber lediglich eine überwachende Funktion einnehmen soll. Strukturell gleicht das Sanierungsverfahren unter dem präventiven Restrukturierungsrahmen damit einer Insolvenz in Eigenverwaltung.

Vorteile des neuen Sanierungsverfahrens

Eingriffe in Gläubigerrechte im Wege von Mehrheitsentscheidungen waren nach bisher geltender Rechtslage (außerhalb des begrenzten Anwendungsbereichs des Schuldverschreibungsgesetzes (SchVG)) ausschließlich durch einen gerichtlich bestätigten Insolvenzplan innerhalb eines förmlichen Insolvenzverfahrens möglich. Im vorinsolvenzlichen Bereich setzte der Abschluss eines Gläubigergesamtvergleichs bislang stets die Zustimmung sämtlicher Gläubiger des sanierungswilligen Unternehmens voraus. Dies bot sogenannten „Akkordstörern“ bis dato die Möglichkeit, eine im Interesse der Gläubigergesamtheit liegende Sanierung zweckwidrig zu blockieren, um sich einseitig Sondervorteile zu verschaffen. Eine frühzeitige Sanierung des Unternehmens wurde so häufig verzögert bzw. gänzlich unmöglich gemacht.

Hier setzt das neue EU-Sanierungsverfahren an. Es bietet dem Unternehmer die Chance, unter Schutz gegen Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen mit den maßgeblichen Gläubigern einen Restrukturierungsplan zur Entschuldung des Unternehmens auszuarbeiten und diesen Plan – unter gewissen Voraussetzungen – auch gegen den Widerstand obstruierender Gläubiger durchzusetzen. Dabei steht es ihm frei, einzelne Gläubigergruppen von den Plan-Wirkungen auszunehmen. Der Unternehmer bleibt während der gesamten Verfahrensdauer im „driver's seat“ und damit von Einwirkungen Dritter auf unternehmenslenkende Entscheidungen weitgehend unberührt.

Fazit

Mit der Einführung des präventiven Restrukturierungsrahmens hat der EU-Verordnungsgeber die Eckpfeiler für die Implementierung eines neuartigen vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens gesetzt. Da dem jeweiligen nationalen Gesetzgeber bei der konkreten Richtlinien-umsetzung jedoch ein erheblicher Ermessensspielraum zukommt, bleibt abzuwarten, wie sanierungsfreundlich das deutsche Umsetzungsgesetz tatsächlich ausfallen wird. Bei konsequenter Transformation kann das neue EU-Sanierungsverfahren eine erhebliche Erleichterung für sanierungswillige Unternehmer bedeuten und damit eine überaus willkommene Ergänzung des bestehenden „Sanierungsbaukastens“ darstellen. Anderenfalls droht eine neue Welle des „Sanierungstourismus“ in diejenigen EU-Nachbarländer, welche die bestehenden Spielräume effizient nutzen.

Bild: Unsplash/jorik-kleen

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