Artikel erschienen am 23.10.2015
E-Paper

Der Regierungsentwurf zur Reform der Unternehmenserbschaftsteuer

Auswirkungen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf die Praxis der Unternehmensnachfolge

Von Prof. Dr. iur. Gerhard Kraft, Halle (Saale | Sven Hentschel, M.Sc., LL.M. oec., Halle (Saale

I. Einführung

Die deutsche Unternehmenslandschaft, welche sich durch zahlreiche mittelständische und inhabergeführte Unternehmen auszeichnet, hat sich in Krisenzeiten als stabilisierend für die Beschäftigung und damit für den Wohlstand der deutschen Gesellschaft insgesamt erwiesen. Um diese Unternehmensstrukturen vor kurzfristig hohen Belastungen, insbesondere beim Betriebsübergang, zu schützen, sieht der Gesetzgeber in §§ 13a und 13b ErbStG bestimmte Verschonungsregeln für betriebliches Vermögen vor. Mit Urteil vom 17.12.2014 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Verschonungsregeln jedoch in wesentlichen Regelungsbestandteilen wegen Unvereinbarkeit mit dem in Art. 3 Abs. 1 GG verorteten Gleichheitsgrundsatz für verfassungswidrig erklärt. Insbesondere wurde vom BVerfG kritisiert, dass

  • eine Verschonung von Betriebsvermögen unabhängig vom Bedürfnis des Erwerbers erfolgt,
  • Vorgaben des alten Rechts mit sehr geringem Aufwand umgangen werden konnten,
  • Betriebe mit bis zu 20 Mitarbeitern überhaupt keiner Prüfung des Schutzzwecks der Verschonung (Sicherung von Arbeitsplätzen) unterlagen.

Nachdem das BVerfG dem Gesetzgeber eine Frist für eine Neuregelung bis zum 30.06.2016 gesetzt hat, wurde der vom BMF erarbeitete Referentenentwurf für ein „Gesetz zur Anpassung des ErbStG an die Rechtsprechung des BVerfG“ nach Überarbeitung am 08.07.2015 vom Kabinett verabschiedet und in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Das neue Recht soll für Steuerstichtage nach seiner Verkündung gelten. Im Folgenden werden die Kernaussagen des Entwurfs vorgestellt und einer kritischen Erstanalyse unterzogen.

II. Das derzeitige Begünstigungskonzept

Das derzeitige ErbStG unterscheidet für das begünstigte Unternehmensvermögen zwischen zwei unterschiedlichen Begünstigungskonzepten. Nach dem Grundmodell der Regelverschonung wird eine Steuerbefreiung i. H. v. 85 % gewährt, falls das begünstigte Vermögen nicht zu mehr als 50 % aus Verwaltungsvermögen besteht (sog. Verwaltungsvermögenstest i. S. d. § 13b Abs. 2 ErbStG) und nach der Übertragung bestimmte Anforderungen an die Lohnsumme in dem entsprechenden Betrieb erfüllt werden (sog. Lohnsummentest, § 13a Abs. 1 ErbStG). Ferner darf zur Anwendung des Grundmodells das übertragene Betriebsvermögen über einen Zeitraum von 5 Jahren keiner schädlichen Verwendung i. S. d. § 13a Abs. 5 ErbStG zugeführt werden.

Nach dem sog. Optionsmodell der Vollverschonung bleibt das begünstigte Betriebsvermögen in vollem Umfang steuerbefreit. Voraussetzung hierzu ist, dass das Verwaltungsvermögen nicht mehr als 10 % beträgt und strengere Anforderungen an den Lohnsummentest eingehalten werden müssen. Die Behaltefrist i. S. d.
§ 13a Abs. 5 ErbStG verlängert sich auf 7 Jahre.

III. Beabsichtigte Neuregelungen

1. Neudefinition des begünstigten Vermögens

Das BVerfG hat in seinem Urteil das den Verwaltungsvermögenstest prägende „Alles-oder-nichts-Prinzip“ für unverhältnismäßig gehalten, wonach eine Verschonung auch dann eintritt, wenn das betriebliche Vermögen bis zu 50 % aus Verwaltungsvermögen besteht. Um zukünftig auch Vermögen zu besteuern, welches für nicht verschonungswürdig gehalten wird, sieht der Gesetzesentwurf in Abkehr von der derzeitigen Negativdefinition des Verwaltungsvermögenskatalogs eine Neudefinition des begünstigten Vermögens vor. Hiernach kann nur noch Vermögen begünstigt werden, das überwiegend einer gewerblichen, land- und forstwirtschaftlichen oder freiberuflichen Tätigkeit dient. Die Neudefinition führt dazu, dass der Umfang des begünstigungsfähigen Vermögens eingegrenzt wird und beugt somit missbräuchlichen Gestaltungen vor.

2. Anpassungen der Verschonungsregeln

Nach dem gegenwärtigen ErbStG gelten die Verschonungsregeln auch für die Übertragung von großen Betriebsvermögen, ohne dass es zu einer gesonderten Prüfung kommt, ob es im einzelnen Fall überhaupt einer Verschonung bedarf. Während das BVerfG bei kleinen und mittleren Unternehmen eine Verschonung im gegenwärtigen Umfang für ausreichend gerechtfertigt hält, begründet das betragsmäßige Ausmaß der derzeitigen Steuerbefreiung bei großen Unternehmen einen Gleichheitsverstoß. Zur Herstellung eines verfassungsmäßigen Zustands sieht der Gesetzesentwurf vor, dass für die bisherige Verschonung eine Förderhöchstgrenze von 26 Mio. Euro eingeführt wird, welche sich beim Vorliegen bestimmter für Familienunternehmen typischer gesellschaftsvertraglicher oder satzungsmäßiger Beschränkungen auf 52 Mio. verdoppelt.

Bei Überschreitung dieser Grenze wird die Steuer zunächst für das gesamte begünstigte Vermögen in vollem Umfang festgesetzt. Der Erwerber kann hiernach jedoch einen Antrag auf Inanspruchnahme eines der beiden Verschonungsmodelle stellen:

Nach dem sog. „Erlassmodell“ (§ 28a ErbStG-E) wird die auf das begünstigte Vermögen entfallende Steuer insoweit erlassen, als der Erwerber nachweist, dass er persönlich nicht über ausreichend Mittel verfügt, die Erbschaftsteuer zu zahlen und insoweit als „erlassbedürftig“ einzustufen ist.
Nach dem sog. „Abschmelzmodell“ (§ 13c ErbStG-E) reduziert sich die Verschonung mit steigendem Wert des steuerpflichtigen Erwerbs. Sowohl im Grundmodell der Regelverschonung als auch im Optionsmodell der Vollverschonung reduziert sich der Verschonungsabschlag um jeweils einen Prozentpunkt für jede volle 1,5 Mio. Euro, die der Wert des begünstigten Vermögens den Betrag von 26 bzw. 52 Mio. Euro übersteigt. Die stufenweise Reduktion des Verschonungsabschlags endet bei 20 % und einem begünstigten Vermögen i. H. v. 116 Mio. Euro im Falle der Regelverschonung bzw. bei 35 % und einem begünstigten Vermögen i. H. v. 142 Mio. Euro im Falle der Vollverschonung. Ab 116 Mio. Euro bzw. 142 Mio. Euro gilt dann ein einheitlicher Verschonungsabschlag von 20 % bzw. 35 %.

3. Neuregelung zur Lohnsummenkontrolle

Die Lohnsummenkontrolle verlangt den Nachweis von Löhnen und Gehältern im Unternehmen, die 5 bzw. 7 Jahre nach Vermögensübergang gezahlt werden. Der bisherige Grenzwert, wonach die Lohnsummenkontrolle bei Betrieben mit bis zu 20 Mitarbeitern entfällt, wurde vom BVerfG verworfen. Nach dem Gesetzesentwurf wird die Beschäftigtengrenze, die zu einer Befreiung von der Lohnsummenkontrolle führt, auf 3 Beschäftigte reduziert. Bei mehr als 3 Beschäftigten steigen die Anforderungen an die Lohnsummenregelung. So ist bei einer Beschäftigungszahl von 4 bis 10 im Fall der Regelverschonung eine Mindestlohnsumme von 250 % bzw. im Fall der Vollverschonung eine Mindestlohnsumme von 500 % einzuhalten. Bei 11 bis 15 Beschäftigten erhöht sich die Mindestlohnsumme auf 300 % bzw. 565 %. Bei mehr als 15 Mitarbeitern soll auch weiterhin die bisherige Mindestlohnsumme von 400 % bzw. 700 % gelten.

IV. Fazit

Das bisherige System des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts war schon von einer kaum zu überbietenden Komplexität geprägt. Diese wird sich künftig nochmals deutlich erhöhen. Die geplanten Neuregelungen des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts im derzeitigen Gesetzentwurf führen bereits jetzt absehbar zu einer erheblichen Mehrbelastung für den deutschen Mittelstand. Auch die Finanzverwaltungen werden mit einem erheblich steigenden administrativen Mehraufwand konfrontiert. Der Planungs- und Gestaltungsaufwand für betroffene Steuerpflichtige wird signifikant steigen. Daher erscheint es unabdingbar, aufgrund der vorgesehenen Verschärfungen anstehende Betriebsübertragungen frühzeitig zu planen und in das unternehmerische Gesamtkonzept zu integrieren. Ohne spezialisierte steuerliche Beratung dürfte es nahezu unmöglich werden, ein mittel- bis langfristiges Vermögensnachfolgekonzept zu erarbeiten.

Hinweis

Auf der Website des BMF gibt es eine Übersicht über die Neuregelungen gemäß dem Gesetzentwurf vom 08.07.2015.

Foto: Panthermedia/Gunnar Pippel

Ähnliche Artikel

Finanzen Steuern Recht

Das Begünstigungskonzept für Betriebsvermögen im Erbschaftsteuerrecht

Das deutsche Erbschaftsteuergesetz eröffnet Betrieben für den Fall der Betriebsübertragung durch Schenkung oder von Todes wegen eine weitgehende Verschonung ihres in besonderer Weise dem Gemeinwohl dienenden unternehmerischen Vermögens. Hierdurch soll die Erbschaftsteuerbelastung sowohl planbar als auch verkraftbar gehalten werden.

Halle (Saale) 2014/2015 | Prof. Dr. iur. Gerhard Kraft, Halle (Saale | Elisabeth Schulz B.A., Halle (Saale

Finanzen Steuern Recht

Gestaltungsmodelle zur Sicherung der Begünstigungen für das Betriebsvermögen

Bislang vom Gesetzgeber nicht gestoppt!

Entgegen der ursprünglichen Absicht erfolgte im Rahmen der Abstimmung über das Jahressteuergesetz 2013 keine Verschärfung des Erbschaftsteuergesetzes. Damit verstoßen die bisherigen Gestaltungsmodelle zur Sicherung der Begünstigungen für das Betriebsvermögen auch weiterhin bei der Übertragung von Privatvermögen zumindest nicht gegen den Gesetzeswortlaut.

Braunschweig 2012/2013 | Dipl.-oec. Marco Reimann, Salzgitter