Artikel erschienen am 27.02.2017
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Schadenersatz für Kartellgeschädigte

Von Sebastian Oppolzer, Hamburg

Lkw, Baustoffe, Lebensmittel, Schienen, Chemikalien: Die Liste aktueller Kartellfälle ließe sich beliebig fortsetzen. Doch der Gegenwind für Kartellanten wird immer stärker: Neben staatlichen Bußgeldern in Millionen- bzw. sogar Milliardenhöhe müssen sie immer häufiger Schadensersatz an ihre geschädigten Kunden zahlen, die jahrelang überhöhte Preise für die kartellierten Produkte gezahlt haben.

Politisch gewünscht und gesetzlich gefördert, gewinnt dieser private Kartellschadensersatz immer weiter an Bedeutung. Die aktuelle EU-Kartellschadensersatzrichtlinie wird diese Entwicklung noch verstärken.

Verbotene Absprachen

Vereinbarungen zwischen Unternehmen und abgestimmte Verhaltensweisen, die den Wettbewerb verhindern, einschränken oder verfälschen, verstoßen gegen deutsches (§ 1 GWB) und europäisches Kartellrecht (Artikel 101 AEUV). Solche Kartellabsprachen – insbesondere über Preise, Quoten und Gebiete – sind verboten und werden von den Kartellbehörden mit hohen Geldbußen geahndet. Trotz der drastischen Strafen sind illegale Absprachen aber keine Ausnahmefälle, wie auch die in 2016 aufgedeckten bzw. bestraften Kartelle in nahezu sämtlichen Wirtschaftsbereichen wieder deutlich gezeigt haben. Mit weitreichenden Folgen für die Wirtschaft: Ökonomen beziffern den jährlich durch Kartelle verursachten volkswirtschaftlichen Schaden allein in Europa auf mehrere 100 Mrd. Euro. Die Zeche zahlen i. d. R. die Kunden der Kartelle, die für die abgenommenen Produkte zu hohe Preise gezahlt haben (Studien gehen im Durchschnitt von 10 bis 20 % Kartellaufschlag aus) – und das oft über Jahre oder sogar Jahrzehnte.

Schadensersatz

Die Kartellopfer sind aber nicht schutzlos: Sie können sich die Vermögenseinbußen, die sie durch den Bezug der überteuerten Waren oder Dienstleistungen erlitten haben, von den Kartellmitgliedern zurückholen, und zwar im Wege des privatrechtlichen Schadensersatzes. Die Durchsetzung solcher Kartellschadensersatzansprüche durch die Geschädigten hat sich mittlerweile neben den Bußgeldern als zweite Säule der Kartellbekämpfung fest etabliert und wird – als sog. Private Enforcement – durch den Gesetzgeber, die Gerichte und die Kartellbehörden ausdrücklich begrüßt und gefördert. Wohlgemerkt: Der Schadensersatz trifft die Kartellanten zusätzlich zu den verhängten Bußgeldern – und wird auch nicht angerechnet. Die Dimension der privaten Ersatzforderungen kann dabei leicht die Höhe der Bußgelder – zum Teil um ein Vielfaches – übersteigen, wie zum Beispiel der Fall des kürzlich entschiedenen Lkw-Kartells eindrucksvoll zeigt: Neben den Rekordbußgeldern von knapp 3 Mrd. Euro (!) steht den beteiligten Lkw-Herstellern jetzt eine Klagewelle der betroffenen Lkw-Abnehmer ins Haus – und zwar nach Schätzungen im zweistelligen Milliardenbereich.

Erleichterte Geltendmachung

Der Vorteil für die Geschädigten: Bei der Aufklärung und Durchsetzung ihrer Ansprüche profitieren sie mittlerweile von einer Reihe gesetzlicher Sonderregelungen. Scheiterten nämlich früher Ansprüche oft an Beweisanforderungen, Verjährungsfragen oder unklaren Rechtsgrundlagen, sieht das Kartellgesetz heute zahlreiche Erleichterungen zugunsten der Geschädigten vor, wodurch Hürden bei der Anspruchsdurchsetzung beseitigt und Geschädigte zur Geltendmachung ihrer Ansprüche motiviert werden sollen.

Wichtigste Erleichterung ist die sog. Bindungswirkung: Danach gilt der Kartellverstoß durch die Bußgeldentscheidung der Kartellbehörde auch für das Zivilverfahren vor deutschen Gerichten als bindend festgestellt. Das heißt: Der Geschädigte muss den Gesetzesverstoß nicht mehr – wie früher – aufwändig darlegen und beweisen; er kann hierzu schlicht auf den Bußgeldbescheid der Behörde verweisen. Weitere Erleichterungen betreffen die Verjährung, die für den Zeitraum der Bußgeldverfahren gehemmt ist. Dadurch droht auch bei längerer Dauer des Behördenverfahrens keine Verjährung der Ersatzansprüche im Zivilprozess. Schließlich sind Kartellschadensersatzansprüche ab dem Zeitpunkt ihrer Entstehung – und nicht erst ab Klageerhebung – zu verzinsen (in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz). Gerade bei länger zurückreichenden Kartellen kann sich hieraus über die Jahre ein erheblicher Zinsbetrag ergeben, der zu dem eigentlichen Ersatzanspruch noch hinzukommt.

Weitere Vorteile durch neue Richtlinie

Frischen Wind bringt in diesem Zusammenhang die aktuelle EU-Kartellschadensersatzrichtlinie, die in Kürze in deutsches Recht umgesetzt wird. Sie verfolgt ausdrücklich das Ziel, dass Verbraucher oder Unternehmen, denen durch Kartelle ein Schaden entstanden ist, diesen Schaden schneller und einfacher vor Gericht ersetzt bekommen. So enthält die Richtlinie z. B. eine gesetzliche Vermutung, dass ein Kartell einen Schaden verursacht hat – weshalb es bei den Kartellanten liegt zu begründen, warum ihre Kunden – ausnahmsweise – keinen Schaden erlitten haben sollen. Geregelt sind zudem Offenlegungsansprüche der Parteien, die auf die Herausgabe von erforderlichen Beweismitteln und die Erteilung von Auskünften zielen, sowie großzügigere Verjährungsfristen. Schließlich bringt die Richtlinie auch Klarheit für viele bislang offene Fragen, u. a. zur Weiterwälzung des Schadens, die Anspruchsberechtigung von indirekten Abnehmern und zur gesamtschuldnerischen Haftung der Kartellanten.

Im Fokus: Schadenshöhe

Vor dem Hintergrund dieses rechtlichen Rahmens steht daher häufig vor allem die Höhe des erlittenen Schadens im Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Doch auch insofern werden die Geschädigten entlastet: Sie müssen im Prozess lediglich plausible Anhaltspunkte liefern, anhand derer das Gericht eine Schätzung des Schadens vornehmen kann. Hierfür haben sich anerkannte wettbewerbsökonomische Methoden eta­bliert, die auch von den Gerichten angewendet bzw. anerkannt werden. Dies gilt ebenfalls für die Beurteilung, ob bzw. in welchem Umfang der Abnehmer die kartellbedingten Preisüberhöhungen wiederum auf seine Kunden ggf. weiterwälzen konnte (sog. passing-on).

Ablauf der Durchsetzung

Wie sieht die Aufklärung und Geltendmachung im Einzelnen aus? Stellt sich heraus, dass ein Unternehmen Waren oder Dienstleistungen von einem Kartell bezogen hat, beginnt die Anspruchsklärung üblicherweise mit der Ermittlung der kartellbehafteten Bezugsmengen, -zeiträume und -preise, um im Wege einer überschlägigen Potenzialanalyse entscheiden zu können, ob möglichen Schadensersatzansprüchen weiter nachgegangen werden soll. Hierbei werden auch die rechtlichen Rahmenbedingungen (insbes. Gerichtsstand, Verjährung, anwendbares Recht) bewertet. Bei positiver Ersteinschätzung erfolgt eine genauere ökonomische Ermittlung und Aufbereitung der Schäden, um diese in Form eines Anspruchsschreibens gegenüber dem bzw. den Kartellbeteiligten geltend machen zu können. Hieran schließen sich üblicherweise Verhandlungen mit dem Kartellanten an, die entweder zu einem außergerichtlichem Vergleich und einer vereinbarten Schadensersatzzahlung führen oder in eine gerichtliche Durchsetzung der Ansprüche münden. Da die Geltendmachung oft mit einem nicht unerheblichen Aufwand einhergeht, kann es sinnvoll sein, das hiermit verbundene Kostenrisiko durch Einbeziehung eines Prozessfinanzierers zu begrenzen, der gegen eine prozentuale Beteiligung im Erfolgsfall einen Teil (oder sämtliche) der anfallenden Rechtsanwalts- und Gerichtskosten übernimmt.

Fazit

Insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen rechtlichen Entwicklungen im Bereich des privaten Kartellschadensersatzes sollten Unternehmen prüfen, ob sie als Abnehmer von einem der zahlreichen Kartelle betroffen waren bzw. sind und ihnen daher Schadensersatz zustehen könnte. Denn: Private Kartellschadensansprüche sind nicht nur ein wichtiger Teil der Kartellbekämpfung. Sie sorgen auch dafür, dass die hohen Preisaufschläge wieder bei denen ankommen, die Jahre lang als Abnehmer von Kartellen „draufgezahlt“ haben.

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