Artikel erschienen am 01.02.2012
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Wessen Mandant?

Das anwaltliche Vertrauensverhältnis nach einem Wechsel der Geschäftsführung einer juristischen Person

Von Prof. Dr. iur. Christian Wolf, Hannover

Das Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant ist weitreichend gesetzlich abgesichert. In allen Verfahrensordnungen ist das Zeugnisverweigerungsrecht des Rechtsanwalts umfassend geregelt. Sowohl die Handakte des Rechtsanwalts als auch die Korrespondenz zwischen ihm und seinem Mandanten unterliegt einem Beschlagnahmeverbot. Hintergrund der Regelung ist es, das Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant abzusichern, ohne das eine vernünftige Rechtsberatung nicht möglich ist. Der Rechtsanwalt bildet also das interne juristische Gewissen des Mandanten. Was zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten besprochen wird, soll nicht nach außen dringen, es darf nicht gegen den Mandanten verwendet werden. Die Kommunikation zwischen Mandanten und Rechtsanwalt stellt in diesem Sinne ein weiterhin internes Nachdenken des Mandanten dar.

Diese im Grunde einfache und schlichte Regelung kann sich bei Kapitalgesellschaften wie AG und GmbH leicht in ein juristisches Minenfeld verwandeln und selbst Einzelunternehmen sind im Insolvenzfall nicht vor derartigen Problemen gefeit. Die Problematik lässt sich an drei Fällen veranschaulichen:

Fall 1

Gegen ein deutsches Unternehmen, das an der Wall Street gelistet ist, ermittelt die amerikanische Börsenaufsicht, weil sich das Unternehmen angeblich Aufträge mit Bestechungsgeldern gesichert hat. Im Rahmen des Verfahrens werden große Teile des Vorstands und Aufsichtsrats ausgewechselt. Der neue Aufsichtsrat entbindet den Rechtsanwalt, der die Gesellschaft ursprünglich beraten hat, von seiner Schweigepflicht. Hintergrund der Entbindung sind die Verhandlungen des neuen Vorstands mit der SEC, um eine gütliche Einigung zu erzielen. Die SEC hat hierbei zu einer der Voraussetzungen gemacht, dass die Gesellschaft selbst aktiv an der Aufklärung mitwirkt.

Fall 2

Ein Einzelhandelskaufmann fällt in Insolvenz. Der Staatsanwalt ermittelt wegen verschiedener Delikte im Rahmen der Insolvenz. Der Insolvenzverwalter entbindet den Wirtschaftsprüfer von der Schweigepflicht.

Fall 3

Der Vorstand einer AG hat bestimmte riskante Finanzgeschäfte abgeschlossen. Der Aufsichtsrat will deshalb den Vorstand auf Schadensersatz verklagen. Zur Vorbereitung der Klage fordert er den Rechtsanwalt, der seinerseits den Vorstand bei den Geschäften beraten hat, auf, seine Handakte herauszugeben.

Alle drei Fälle zeigen die in diesen Konstellationen typischen Interessenkonflikte auf. Der Anwaltsvertrag wurde jeweils in dem ersten und letzten Fall zwischen der juristischen Person und dem Rechtsanwalt geschlossen, im zweiten Fall zwischen dem Kaufmann und dem Wirtschaftsprüfer. Zum Beratungszeitpunkt waren sowohl Einzelhandelskaufmann als auch Vorstand noch „Herr des Rechtsanwaltsvertrags“. In allen drei Fällen haben sie die Kontrolle über den Anwaltsvertrag verloren, entweder durch Abberufung als Organ der Gesellschaft oder durch die Insolvenzeröffnung.

Umstritten ist nun, in welchem Umfang damit gleichzeitig die Kontrolle über das Mandatsgeheimnis verloren gegangen ist. Grundsätzlich ist derjenige zur Entbindung des Mandatsgeheimnisses berechtigt, zu dessen Gunsten das Mandatsgeheimnis begründet wurde. Einigkeit herrscht auch darüber, dass der Begünstigte des Mandatsgeheimnisses nicht zwingend Partner des zivilrechtlichen Anwaltsvertrags sein muss. Schließt ein Unternehmen mit einem Strafverteidiger zur Verteidigung eines Mitarbeiters einen Anwaltsvertrag ab, ist zwar das Unternehmen aus dem Anwaltsvertrag verpflichtet, das Anwaltshonorar zu zahlen; Herr des Anwaltsgeheimnisses ist aber nicht das Unternehmen, sondern der Mitarbeiter. So klar ist aber die Trennlinie in Fall 1 nicht zu ziehen. Zwar hat das AG Bonn in einer vergleichbaren Konstellation entschieden, dass die Entbindung von der Schweigepflicht durch den jetzigen Aufsichtsrat nicht ausreichend ist und die Entbindung von der Schweigepflicht auch durch den ehemaligen Vorstand erfolgen müsse. Das AG Bonn stützte sich hierbei aber auf eine Aktennotiz des Rechtsanwalts, in der es hieß: „Der Vorstand X wünschte meinen Rat, wie mit dem betreffenden Aufsichtsratsmitglied zu verfahren sei …” Hieraus sei zu folgern, dass die rechtsanwaltliche Beratungstätigkeit auch gegenüber dem Vorstand X persönlich erbracht worden sei.

Auf welch schwankendem Boden sich die Entscheidung des AG Bonn bewegt, zeigen die beiden anderen Fälle. Ursprünglich war die wohl herrschende Meinung der Auffassung, dass der Insolvenzverwalter nicht wirksam vom Verschwiegenheitsrecht entbinden könne. Neuere Entscheidungen aus 2001, 2004 und 2009 von Oberlandesgerichten – darunter das OLG Oldenburg und das OLG Hamburg – haben jedoch für das Zeugnisverweigerungsrecht der Wirtschaftsprüfer anders entschieden. Eine Entbindung von der Schweigepflicht, die den Interessenkonflikt des Zeugen entfallen lässt und eine mögliche Verletzung des Vertrauensverhältnisses ausschließe, stünde demnach ausschließlich demjenigen zu, der Auftraggeber des Zeugen war. Das AG Bonn hat zwar versucht, zwischen Wirtschaftsprüfern und Rechtsanwälten einen Unterschied zu konstruieren, um sich nicht näher mit den neueren Entscheidungen zu den Wirtschaftsprüfern auseinandersetzen zu müssen. Ob der Hinweis des AG Bonn, dass sich die Tätigkeit des Wirtschaftsprüfers im Gegensatz zum Rechtsanwalt an der objektiv überprüfbaren wirtschaftlichen Situation des Auftraggebers orientiere, wirklich trägt, scheint fraglich. Die hieraus abgeleitete Schlussfolgerung, dem Wirtschaftsprüfer werden im Rahmen seiner speziellen beruflichen Tätigkeit nur insoweit geheimhaltungspflichtige Tatsachen bekannt, als sie die juristische Person selbst betreffen, ließe sich jedenfalls auch auf den Rechtsanwalt mit der gleichen Begründung übertragen.

Schließlich verdeutlicht Fall 3 die Problematik noch aus einem anderen Blickwinkel: Grundsätzlich hat der Mandant gegenüber dem Rechtsanwalt (§ 667 BGB) einen Anspruch auf Einsicht und Herausgabe der Handakte. Aus einer ganzen Reihe von Gründen wird man dem zivilrechtlichen Vertragspartner und Mandanten dieses Recht schwerlich absprechen können. Schon allein im Fall des Anwaltswechsels bildet die Handakte die Grundlage der Fortführung des Mandats. Die Frage, ob die Herausgabe der Handakte an den Mandanten, also an die jeweilige juristische Person, gleichfalls der Zustimmung der ursprünglichen Organe bedarf, wurde bislang so gut wie nicht diskutiert. Soweit das Thema in der Literatur angesprochen wurde, ist allerdings ein Vetorecht der ehemaligen Organe gegenüber dem Herausgabeanspruch der juristischen Person abgelehnt worden. Genauso wenig, wie die Organe ihre nach AktG oder GmbHG bestehenden Auskunftspflichten mit dem Hinweis verweigern dürfen, sie würden bei Erfüllung des Auskunftsanspruchs der Gesellschaft die Grundlage für eine mögliche, gegen die Vorstände gerichtet Haftungsklage bilden, wird man ihnen ein Vetorecht bezüglich der Handakte einräumen können.

Was folgt hieraus für die Praxis?

1. Es klingt zunächst bescheiden. In der Praxis dürfte mit Folgendem aber schon viel erreicht sein: Bei allen Beteiligten ist das Bewusstsein zu schärfen, dass die Organe einer juristischen Person nur Verwalter fremden Vermögens sind. Diese Feststellung des BGH hinsichtlich des Untreuetatbestands bei der Entscheidung von Gratifikationen durch den Aufsichtsrat gilt auch hier. Rechtsanwälte und Organe sollten sich im Klaren darüber sein, dass der Mandant die juristische Person ist und im Zweifel die Interessen und Entscheidungen der juristischen Person Vorrang vor denen ihrer ehemaligen Organe haben.

2. Zum Problembewusstsein gehört, dass die beratenden Rechtsanwälte die Vorstände und Aufsichtsräte auch über die Problematik aufklären. Insoweit dürfte der mit der juristischen Person abgeschlossene Beratungsvertrag des Rechtsanwalts drittschützende Wirkung entfalten.

3. Schließlich sind im Bereich der Vorstands- und Aufsichtsratshaftung längst D&O-Versicherungen üblich geworden. Regelmäßig wird die Verpflichtung zum Abschluss einer D&O-Versicherung durch das Unternehmen zugunsten der Organe im Anstellungsvertrag vertraglich fixiert. Man sollte aber bei der D&O-Versicherung nicht stehen bleiben, sondern vielmehr den Organen das Recht einräumen, wegen derjenigen Verpflichtungen, die sie persönlich betreffen (z. B. § 43 GmbHG), auf Kosten der Gesellschaft einen Rechtsanwaltsvertrag mit einem von der Gesellschaft unabhängigen Rechtsanwalt zu schließen. Diese Trennung der Mandatsstruktur führt zwar nicht dazu, dass bezüglich des Firmenrechtsanwalts der Schutz der Organe verbessert wird, wohl aber dazu, dass sie in ihren haftungsrechtlichen und strafrechtlichen Fragestellungen eine das Anwaltsgeheimnis wahrende, intakte Beraterbeziehung haben.

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