Artikel erschienen am 01.05.2014
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Das neue EU-Einheitspatent

Günstigerer und besserer Patentschutz für das Gebiet der EU?

Von Dipl.-Ing. Joachim Gerstein, Hannover

Durch das neue Patent-Reform-Paket wächst Europa mit dem Ziel zusammen, Patente in der EU preiswerter zu machen. Zukünftig können mit einem einzigen einheitlichen Patentverletzungsverfahren Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche wegen Patentverletzung für das Gebiet der teilnehmenden Mitgliedsstaaten durchgesetzt werden. Wo aber steckt der Haken und welche Strategie empfiehlt sich?

Seit Ende der 1950er-Jahre wurde versucht, für die jetzige Europäische Union ein Gemeinschaftspatent zu schaffen. Streitpunkte waren die Schaffung eines gemeinsamen Gerichtssystems und die Frage, in welche Sprachen ein Gemeinschaftspatent übersetzt werden sollte. In den 1970er-Jahren schufen daher Mitgliedsstaaten der heutigen Europäischen Union (EU) zusammen mit Nicht-EU-Mitgliedsstaaten (u. a. der Schweiz) das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ) und das Europäische Patentamt (EPA). Ein europäisches Patent wird aber nicht automatisch in der EU wirksam, sondern zerfällt mit Erteilung in nationale Patente, die vom Patentinhaber jeweils „validiert“, das heißt aufrechterhalten werden müssen.

Territorial begrenzter Schutz

Grundsätzlich gilt, dass ein Schutzrecht nur in dem Land gilt, für das es erteilt wurde. Die Durchsetzung eines solchen Schutzrechts richtet sich nach dem Recht dieses Landes („Territorialitätsprinzip“). Das bisherige europäische Patent bietet nur die kostengünstige Möglichkeit, in einem einheitlichen Verfahren bis zum Patent zu gelangen. Nach der Patenterteilung durch das EPA beginnt die „Kleinstaaterei“.

Durch das neue Einheitspatent soll nun – vergleichbar mit einer EU-Marke oder einem EU-Geschmacksmuster – ein einziges Patent für die gesamte Europäische Union gelten. Das Einheitspatent bietet also eine einheitliche Wirkung in der EU nach den Vorschriften der EU. Dies gilt allerdings nicht für alle EU-Länder. Spanien, Italien und Polen nehmen bisher an der verstärkten Zusammenarbeit durch das sogenannte Patent-Reform-Paket noch nicht oder nur eingeschränkt teil.

Das Patent-Reform-Paket

Das Patent-Reform-Paket, das EU-Verordnungen zum Einheitspatent und zu Übersetzungsregelungen und ein Übereinkommen über ein Einheitspatentgericht (EPGÜ) enthält, will

  • einheitliche rechtliche Rahmenbedingungen bereitstellen, nach denen Unternehmen ihre Geschäftstätigkeit in Bezug auf die Herstellung und den Vertrieb von Produkten über nationale Grenzen hinweg anpassen können und die dem Unternehmer eine größere Entscheidungsfreiheit und mehr Geschäftsmöglichkeiten bieten;
  • einen leichteren, weniger kostspieligen und rechtssicheren Zugang zum Patentsystem schaffen und damit den wissenschaftlich-technischen Fortschritt und die Funktionsweise des Binnenmarktes fördern;
  • die Durchsetzung und Verteidigung von Patenten durch ein einziges einheitliches Patentgericht erleichtern, das über die Patentverletzung und die Nichtigkeit eines Einheitspatents für alle EU-Staaten entscheidet, in denen das Einheitspatent wirksam ist.

Tatsächlich ist das Patentrecht bereits seit jeher ein international stark harmonisiertes Rechtsgebiet, das weitestgehend einheitlichen Standards folgt. Bereits 1883 wurden mit der Pariser Verbandsübereinkunft (PVÜ), der etwa 174 Staaten beigetreten sind, sowie mit den Standards der WTO (World Trade Organization) internationale Rechtsordnungen für gewerbliche Schutzrechte geschaffen. Durch die herausragende Stellung Deutschlands als Innovationsmotor mit seiner fortschrittlichen Gesetzgebung und international anerkannten Behörden war und ist Deutschland an der Entwicklung ausländischer Patentsysteme (z. B. in Japan, Korea und China) sehr aktiv beteiligt. Daher sind die patentrechtlichen Vorschriften und das Verfahren zur Erlangung und Durchsetzung von Schutzrechten in diesen Ländern mit deutschen Standards vergleichbar. Durch nationale Besonderheiten weicht zwar die Erteilungs- und Durchsetzungspraxis der Patentämter und Gerichte im Einzelfall bisweilen ab. Dies gilt aber auch für die hiesigen Ämter und Gerichte, deren Entscheidungen in Fragen mit Ermessensspielraum auch von den handelnden Personen abhängen.

Insoweit ist das erste gesetzgeberische Ziel der Schaffung einheitlicher rechtlicher Rahmenbedingungen im Patentrecht an sich bereits seit Jahrzehnten durch internationale Harmonisierung erfüllt. Das Einheitspatent bietet jedoch andere Vorteile für den Schutz von Innovationen im europäischen Raum.

Erlangung eines Einheitspatents

Das Einheitspatent kommt ohne neue Behörde aus, denn das Anmelde- und Erteilungsverfahren wurde dem Europäischen Patentamt (EPA) übertragen. Trotz seines Namens ist das EPA keine EU-Behörde! Für die Anmeldung eines Einheitspatents ist keine eigenständige Patentanmeldung erforderlich, das Anmeldeverfahren ändert sich nicht.

Durchsetzung des Einheitspatents: Einheitspatentgericht

Für die Durchsetzung und Vernichtung eines Einheitspatents wurde das Einheitspatentgericht geschaffen, das in der ersten Instanz eine Zentralkammer in Paris mit Außenstellen in München und London hat. Die Berufungsinstanz hat ihren Sitz in Luxemburg. Patentverletzungsklagen können in der ersten Instanz auch vor Lokal- und Regionalkammern am Ort der Verletzungshandlung sowie am Sitz des Beklagten erhoben werden.

Nach deutscher Praxis werden Patentverletzungsverfahren vor den Patentstreitkammern der örtlichen Landgerichte getrennt von Nichtigkeitsklagen behandelt, die in der Regel als Antwort auf einen Patentverletzungsstreit initiiert und vor dem Bundespatentgericht geführt werden.

Die Lokal- und Regionalkammern können nach Anhörung der Parteien selbst entscheiden, ob sie zusammen mit einer Patentverletzungsklage eine vom Beklagten erhobene Nichtigkeitsklage gegen das geltend gemachte Patent selbst behandeln, die Nichtigkeitsklage der Zentralkammer mit oder ohne Aussetzung des Verletzungsstreits überlassen oder sogar den gesamten Rechtsstreit an die Zentralkammer übertragen.

Für den Fall, dass eine Partei Nichtigkeitsklage vor der Zentralkammer erhoben hat, bleibt die Zuständigkeit der Lokal- und Regionalkammern für eine nachfolgende Verletzungsklage neben der Zuständigkeit der Zentralkammer bestehen. Der Patentinhaber kann somit wählen, ob er nach Angriff seines Patents durch eine Nichtigkeitsklage eine Patentverletzungsklage ebenfalls vor der Zentralkammer erhebt oder diese getrennt – wie bislang in Deutschland üblich – durch eine zuständige Lokal- oder Regionalkammer führen lässt.

Das Einheitspatentgericht ist multinational mit Richtern besetzt. Eine positive Besonderheit ist, dass den Spruchkammern vergleichbar zum deutschen Bundespatentgericht neben rechtlich qualifizierten Richtern auch technisch qualifizierte Richter angehören. Damit soll sichergestellt werden, dass die Verfahren auch ohne technischen Sachverständigen qualifiziert und zügig durchgeführt werden können.

In Verfahren vor den Lokal- und Regionalkammern können die Parteien zudem beantragen, dass ein technisch qualifizierter Richter mit Fachkenntnis auf dem betreffenden Gebiet als weiterer Richter hinzugezogen wird. Dies ist im Vergleich zu derzeitigen deutschen Verfahren, bei dem Patentverletzungsprozesse in den ersten beiden Instanzen in der Regel auch bei komplexer technischer Materie ohne Sachverständigen allein durch Juristen durchgeführt werden, ein positives Novum.

Die Verfahrenssprache vor dem Zentralgericht ist die Sprache des erteilten Patents. Vor den Lokal- und Regionalkammern ist die Verfahrenssprache regelmäßig die Amtssprache des Mitgliedsstaates, in dem sich die Lokal- oder Regionalkammer befindet. Die Parteien können jedoch auch die Sprache des erteilten Patents als Verfahrenssprache wählen, sofern das Gericht hiermit einverstanden ist. Ansonsten können die Parteien die Verweisung an die Zentralkammer beantragen.

Vorteile des Einheitspatents

Das Einheitspatent zerfällt nicht wie das bisherige europäische Patent in eine Anzahl von nationalen Patenten. Daher muss das Einheitspatent nicht in ausgewählten Ländern validiert werden. Damit wird der bisherige Aufwand für Übersetzungen der Patentansprüche und teilweise der gesamten Beschreibung gespart. Zudem können die Jahresgebühren für die einzelnen nationalen Patente eingespart werden. Stattdessen ist eine einzige Jahresgebühr zu zahlen, die im Vergleich zu einer statistischen Anzahl nationaler Patente voraussichtlich günstiger sein wird.

Für eine Übergangszeit von sieben Jahren muss lediglich ein begrenzter Übersetzungsaufwand betrieben werden. Ein in der deutschen Sprache erteiltes Einheitspatent muss in das Englische übersetzt werden. Ansonsten muss ein in englischer Sprache erteiltes Patent in eine andere Amtssprache (Deutsch oder Französisch) übersetzt werden. Dies gilt allerdings nur so lange, bis zuverlässige automatisierte Übersetzungen zur Verfügung stehen. Hieran arbeiten die Europäische Union und das Europäische Patentamt mit Hochdruck.

Der wesentliche Vorteil des Einheitspatents liegt damit in den erheblich reduzierten Kosten.

Ein weiterer Vorteil ist, dass das einheitliche Patent vor dem Einheitspatentgericht mit Wirkung für die gesamten teilnehmenden Mitgliedsstaaten in einem einzigen Verfahren durchgesetzt werden kann.

Mögliche Nachteile des Einheitspatents

Für den Patentinhaber ist es trotz der Kostenersparnis möglicherweise von Nachteil, dass über das Einheitspatent im Patentverletzungsverfahren und im Nichtigkeitsverfahren durch ein einziges Gericht mit nur einer Berufungsinstanz insgesamt entschieden wird. Ein Widerruf eines Einheitspatents führt damit zum vollständigen Verlust des Patentschutzes in allen teilnehmenden Mitgliedsstaaten. Derzeit hat ein nationales Patentverletzungsverfahren und ein nationales Nichtigkeitsverfahren nur Auswirkungen auf den nationalen Anteil eines europäischen Patents. Die weiteren nationalen Patentanteile eines europäischen Patents bleiben in den anderen Ländern im Falle eines Widerrufs eines nationalen Patentanteils in Kraft. Durch unterschiedliches nationales Recht und unterschiedliche Rechtspraktiken kann es in einzelnen nationalen Verfahren zu demselben Sachverhalt durchaus zu abweichenden Entscheidungen in den einzelnen Ländern kommen. Durch ein Patentverletzungsverfahren in einem Land aus einem nationalen Patentanteil werden derzeit somit nicht die anderen nationalen Patentanteile gefährdet.

Dies ist bei einem Einheitspatent grundlegend anders. Im Nichtigkeitsverfahren wirkt der Widerruf des Einheitspatents insgesamt auf das einheitliche Patent in allen teilnehmenden Mitgliedsstaaten.

Für den Patentinhaber kann es daher unter Umständen insbesondere in der langen Übergangszeit strategisch interessanter sein, keinen Antrag auf einheitliche Wirkung zu stellen und die höheren Kosten nationaler Patentanteile in Kauf zu nehmen. Es ist zudem abzuwarten, ob die Richter des Einheitspatentgerichts nach Qualifikationen oder zumindest auch nach nationalem Proporz benannt werden.

Handlungsoptionen

Nachdem die bereits in Kraft getretenen Verordnungen über das Einheitspatent durch Inkrafttreten des EPGÜ anwendbar geworden sind – voraussichtlich in 2014/2015 – kann innerhalb eines Monats nach Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung eines europäischen Patents ein „Antrag auf einheitliche Wirkung“ gestellt werden.

Bei diesem Antrag ist insbesondere in der Übergangszeit genau zu prüfen, welche Mitgliedsstaaten der Europäischen Union bis dahin tatsächlich durch Ratifizierung Schutz für das europäische Patent mit einheitlicher Wirkung bieten. Für die übrigen Mitgliedsstaaten des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) einschließlich der Nicht-EU-Länder – wie der Schweiz, Norwegen und der Türkei – ist wie bisher eine Validierung erforderlich, falls dort Schutz begehrt wird.

Opt-out und Opt-in für das Bündelpatent

Die Zuständigkeit des Einheitspatentgerichts ist nicht auf die Einheitspatente beschränkt. Es ist auch für alle bereits zuvor erteilten europäischen Patente zuständig. Durch eine Opt-out-Erklärung ist es möglich, die Zuständigkeit des Einheitspatentgerichtes für die gesamte Laufzeit des Patentes auszuschließen und bei den bisherigen nationalen Zuständigkeiten der Gerichte zu bleiben.

Innerhalb einer Übergangszeit von sieben Jahren nach Inkrafttreten des Europäischen Patentgerichtsübereinkommens ist daher dringend anzuraten, dass Unternehmen ihr gesamtes Portfolio europäischer Patente sorgfältig darauf überprüfen, ob die Zuständigkeit des Einheitspatentgerichts ausgeschlossen werden soll (Opt-out) oder nicht. Eine solche gebührenpflichtige Erklärung wird in das Register des Einheitspatentgerichts eingetragen und kann jederzeit wieder zurückgenommen werden (Opt-in).

Die Opt-out- und Opt-in-Erklärung sind möglich, sofern noch keine Klage bei einem zuständigen Gericht eingereicht wurde. Somit ist es wichtig, den Zeitpunkt der Anwendbarkeit des Patent-Reform-Paketes (etwa 2014/2015) zu überwachen.

Fazit

Mit dem Einheitspatent wird in Zukunft eine vergleichsweise preiswerte Möglichkeit bereitgestellt, um für die meisten Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ein Patent zu erhalten, das dann in einem einzigen Verfahren mit Wirkung für die teilnehmenden EU-Mitgliedsstaaten durchgesetzt werden kann. Ungewiss ist, wie sich die Entscheidungspraxis des Einheitspatentgerichts entwickelt. Dies wird stark von dessen Besetzung abhängen. Inhaber europäischer Patente sollten daher sorgfältig abwägen, ob sie ihre bereits erteilten europäischen Patente dem neuen Einheitspatentgericht „ausliefern“ oder nicht (Opt-in/Opt-out). Nach der Erteilung eines europäischen Patents ist ferner abzuwägen, ob ein „Antrag auf einheitliche Wirkung“ zur Erlangung eines Einheitspatents gestellt werden soll oder ob dem bisherigen Bündelpatent mit seinen einzelnen nationalen Patenten der Vorzug gegeben wird. Aufgrund der unterschiedlichen Interessenslagen ist kein pauschaler Rat möglich. Vielmehr ist eine sorgfältige Abwägung der Vor- und Nachteile erforderlich. Das Einheitspatent und das Einheitspatentgericht bieten jedenfalls interessante Optionen.

Fotos: panthermedia/nazlisart

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