Artikel erschienen am 19.04.2016
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Digitalisierung der Geschäftsprozesse

Treibt die Finanzverwaltung die Weiterentwicklung kaufmännischer Prozesse voran?

Von Dipl.-Kfm. Nils-Frederik Ilse, Isernhagen

Mit ihrem Schreiben vom 14.11.2014 zu den GoBD hat die Finanzverwaltung die mittelständische Wirtschaft vor vollendete Tatsachen gestellt. Im Rahmen des Entstehungsprozesses dieses Schreibens wurden weder Vertreter der Wirtschaft, Berufsverbände oder sonstige Interessenvertretungen gefragt bzw. eingebunden. Der Zeitdruck gerade für kleine und mittlere Unternehmen war nach Veröffentlichung der Vorgaben der Finanzverwaltung denkbar groß, da bereits ab dem 01.01.2015 die Umsetzung der GoBD in der Praxis gemäß den steuerlichen Anforderungen zu erfolgen hatte. Wer ab diesem Zeitpunkt keine geeigneten Werkzeuge hatte, wie z. B. Dokumentenmanagementsysteme (DMS), unterlag dem latenten Risiko, dass seine Aufbewahrungspflichten für digitale Daten nicht mehr den aktuellen Anforderungen seitens der Finanzverwaltung entsprachen.

Getrieben durch diese Entwicklung werden verstärkt interne Projekte zur Einführung bzw. Überarbeitung einer DMS-Landschaft aufgesetzt und durchgeführt mit dem Ziel, eine GoBD-Konformität zu erreichen. Hierbei sollte beachtet werden, dass – wie so häufig – nicht nur eine steuerliche Vorgabenerfüllung im Vordergrund steht, sondern insbesondere eine kaufmännische Optimierung der gesamten Prozesslandschaft in diesem Zusammenhang ebenfalls im Blick stehen sollte, so­dass sich hierbei eine Möglichkeit ergibt, aus der Not eine Tugend zu machen. Die Definition eines internen Kontrollsystems („IKS“) im Rahmen der GoBD entspricht nicht den üblichen kaufmännischen Gepflogenheiten, da zu einem ordnungsgemäßen kaufmännischen IKS i. d. R. auch sinnvollerweise ein Risikomanagementsystem (RMS) sowie ein Management-Informationssystem (MIS) gehören. Das Ziel eines steuerlichen IKS basiert, wie es die GoBD fordern, insbesondere auf der Erreichung der Rechtssicherheit in der Abwicklung (Compliance) und soll dem steuerlichen Prüfer die Arbeit und Kosten zulasten des Steuerpflichtigen erleichtern. Soweit also die DMS-Projekte steuerlich motiviert und getrieben sind, sollte bei einer Überarbeitung auch gleich der gesamte kaufmännische Verwaltungsprozess einer Revision unterzogen werden.

Grundsätzlich gilt bei jeglichem Betrieb, der mit den Handelsbüchern und Dokumenten eines Unternehmens zusammenhängt, dass die Pflichten und Risiken auch bei Auslagerung, z. B. im Rahmen eines Shared Service Centers oder eines externen Dienstleisters, stets beim auslagernden Unternehmen verbleiben. Soweit also eine Auslagerung erfolgt, ist es sinnvoll, eine Verknüpfung mit der bestehenden IT-Landschaft insbesondere den ERP-Systemen sowie sonstigen Fach- oder Leistungsprogrammen herzustellen, um eine einheitliche Arbeitsweise zu gewährleisten. Dies setzt i. d. R. eine Umstellung der Arbeitsweise (Workflow) mit den inne­liegenden Vorteilen und Risiken voraus.

Die Chance hierbei besteht bei Hinterfragung der bisherigen Arbeitsweisen darin, „alte Zöpfe abzuschneiden“ sowie moderne Arbeitsprozesse in dem jeweiligen Unternehmen einzuführen, die an die aktuelle Unternehmensstruktur (z. B. Größe und Geschäftsmodell) angepasst sind. Dieses Vorgehen kann zu einer Beschleunigung der Prozessabläufe sowie einer höheren Qualität der Arbeitsergebnisse im kaufmännischen Verwaltungs-bereich führen. Daneben besteht die Chance, eine neue Form der Transparenz als Grundlage einzurichten und diese nach Wunsch in-/extern (z. B. Lieferanten, Kunden) ebenfalls zur Verfügung zu stellen. Weiterhin sollten sich auch die Kosten für eine Betriebsprüfung reduzieren, da im Rahmen einer Prüfung die internen Ressourcen der Mitarbeiter entlastet werden können.

In diesem Zusammenhang wird es auch notwendig sein, die neuen und überarbeiteten Prozesse sowie das Organisationsmodell angemessen zu dokumentieren, wobei bereits von vornherein entschieden werden sollte, ob es sich um eine formale Dokumentation für externe Prüfungszwecke handelt (z. B. Betriebsprüfung, ISO etc.) oder diese Dokumentation auch für interne Zwecke im Rahmen der täglichen Arbeit durch die Mitarbeiter genutzt werden soll. Durch die Digitalisierung von sämtlichen Dokumenteneingängen auf eine Plattform, unabhängig ob sie in Papierform, als E-Mails oder sonstige elektronische Dokumente (z. B. über Schnittstellen) automatisiert ausgetauscht werden, kann bei frühzeitiger Einfädelung in den digitalen Workflow eine einheitliche Bearbeitungsweise einschließlich der Nachverfolgung (Transparenz) sichergestellt werden, dass alle Geschäftsvorgänge methodisch identisch abgewickelt werden können. Darüber hinaus ergibt sich die Möglichkeit, sämtliche Ausgangsdokumente in Papier- und elektronischer Form – hier insbesondere E-Mails, wenn es sich um rechtsverbindliche Schreiben handelt – einer systematischen Kontrolle und Dokumentation zu unterwerfen.

Durch die vollständige Digitalisierung von Arbeitsabläufen steigt jedoch auch das Risiko eines Schadens bei möglichen Ausfällen, sodass an die IT-Sicherheit ggf. neue, erhöhte Anforderungen gestellt werden und diese auch hinterfragt werden müssen. Die ganze IT-Organisation sollte in diesem Fall ebenfalls einer Prüfung unterzogen werden, da neben der Datensicherheit auch eine Synchronität mit den aktuellen Datenschutzbestimmungen erfolgen muss. Dazu sollte selbstverständlich auch im Rahmen des operativen IT-Betriebs neben der permanenten Verfügbarkeit der Abstimmung in sämtlichen Bereichen auch die Datensicherheit vor unbefugtem Zugriff (Datenabruf oder Manipulation) einer größeren Sorgfalt unterworfen werden, sodass insbesondere ein sinnvolles Nutzerberechtigungskonzept einschließlich auch gelebter Sicherheitsanforderungen (wie z. B. Passwortschutz, externe Zugänge etc.) eingerichtet wird.

Durch die Ablage digitaler Dokumente im Dateisystem, die i. d. R. nicht die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Archivierung – außer bei umfangreichen Zusatzmaßnahmen – erfüllt, muss sich ein DMS auch an weiteren Faktoren messen lassen. Vorteil hierbei ist insbesondere die parallele Bearbeitung eines Geschäftsvorfalls, wie z. B. eine sachliche und fachliche Prüfung sowie die kaufmännische Verarbeitung (inkl. möglicher Zahlungssperre), sodass Geschäftsvorfälle frühzeitiger in den Büchern erfasst und dargestellt werden können und das Risiko eines Ausfalls reduziert wird. Dies sind alles Nebenbedingungen für eine effiziente Verwaltung und zeitnahe Abarbeitung der Sachverhalte.

Fazit

Die Einführung eines DMS-Systems kann nur dann einen Mehrwert bringen und die kaufmännischen Prozesse auf den Stand des 21. Jahrhunderts bringen sowie für spätere Nutzung vielleicht auch Basis für einen Datenaustausch im Sinne der Industrie 4.0 sein, wenn eine einheitliche Integration über sämtliche Geschäftsbereiche erfolgt und keine Insellösungen geschaffen werden. Vorteil hierbei ist es, wenn ein solches System kein Add-on der bestehenden Prozesslandschaft ist, sondern zukünftiger integraler Prozessbestandteil wird. Die Zuordnung von Geschäftsvorfällen zu digitalen Dokumenten, besonders unter Nutzung interaktiver IT-Links, kann den Bearbeitungsprozess deutlich beschleunigen sowie transparenter gestalten und gestattet es, Dokumente und Daten unabhängig von der Form ihres Eingangs identisch zu bearbeiten sowie möglicherweise später Indexdaten (wie z. B. Zugpferd) ebenfalls automatisiert und somit effizient in die elektronische Welt zu überführen.

In diesem Fall kann die Anforderung der Finanzverwaltung an die Dokumentation der Geschäftsmodelle ein Katalysator für Weiterentwicklungen der kaufmännischen Prozesse werden, die in der Vergangenheit eher von den Herstellern von ERP-Systemen ausgegangen ist.

Info

Diese Chance sollten insbesondere die mittelständischen Unternehmen nutzen und das Heft des Handelns selbst in die Hand nehmen. Zwar bedeutet dies im ersten Schritt nicht unerhebliche Aufwendungen und Ressourcenbelastungen, jedoch wiegen die langfristigen Vorteile der internen Prozessoptimierung und Digitalisierung diese bei Weitem auf.

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