Artikel erschienen am 30.05.2017
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Insolvenz als Chance für den Neustart

Haftungsrisiken vermeiden und die Sanierung des Unternehmens ermöglichen

Von Silvio Höfer, Hannover | Florian Harig, Hannover

Es gibt viele Gründe dafür, dass ein Unternehmen in eine wirtschaftliche Krise geraten kann. Diese müssen nicht immer im Unternehmen selbst liegen. Die Ursachen finden sich oft auch in Kundenbeziehungen, dem Marktumfeld oder externen Faktoren wie der Entwicklung von Rohstoffpreisen. Auch wenn das Unternehmen hierfür nicht verantwortlich ist, hat die Geschäftsführung in der Krise dennoch die sich aus dem Vorliegen von Insolvenzgründen ergebenden Verpflichtungen zu beachten. Diese Belastung kann neben dem täglichen Geschäft und der Suche nach Wegen aus der Krise schnell dazu führen, dass bei Nichtbeachtung eine persönliche oder gar strafrechtliche Haftung droht.

Geschäftsführer befinden sich in der Krise typischer­weise in folgenden Spannungsfeldern:

  • Die Insolvenzordnung (InsO) verlangt, dass die Geschäftsführer umgehend einen Insolvenzantrag stellen, wenn die Insolvenzgründe Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vorliegen.
  • Die Gesellschafter erwarten den wirtschaftlichen Erhalt ihrer Geschäftsanteile.
  • Die Gläubiger fordern den zeitnahen Ausgleich sämtlicher offener Verbindlichkeiten.
  • Die Arbeitnehmer hoffen auf den Erhalt ihrer Arbeitsplätze.
  • Investoren wollen das Unternehmen möglichst günstig zu erwerben, falls sie „frische“ Mittel zur Verfügung stellen.

Ein Insolvenzantrag kann, wenn der Geschäftsführer ihn rechtzeitig stellt, jedoch auch neue strategische Möglichkeiten eröffnen und aus dem oben beschriebenen Spannungsfeld herausführen. In einem Insolvenzverfahren (Regelinsolvenzverfahren oder Eigenverwaltung) hat die Geschäftsführung gerade nicht mehr die Interessen der Gesellschafter, sondern lediglich die der Gläubiger zu vertreten. Darüber hinaus greifen unter dem Schutzschild des Insolvenzverfahrens Mechanismen wie der Vollstreckungsschutz oder der Anspruch auf Insolvenzgeld, die das Unternehmen wieder frei atmen lassen und vorübergehend die Lohnzahlungen sicherstellen.

Wann liegt ein Insolvenzgrund vor?

Geschäftsführer haben in der Krise laufend und dokumentierbar zu überprüfen, ob Insolvenzgründe vorliegen. Zum Insolvenzantrag verpflichtende Insolvenzgründe sind Zahlungsunfähigkeit gemäß § 17 InsO und Überschuldung gemäß § 19 InsO.

Nach § 17 Abs. 2 InsO ist ein Unternehmen zahlungsunfähig, wenn es nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Die Prüfung der Zahlungsunfähigkeit erfolgt zweistufig:

In der ersten Stufe wird ein insolvenzrechtlicher Finanzstatus aufgestellt, der die verfügbaren liquiden Mittel den fälligen Verbindlichkeiten gegenüberstellt. Können die fälligen Verbindlichkeiten mit den liquiden Mitteln erfüllt werden, liegt keine Zahlungsunfähigkeit vor.

Reichen die liquiden Mittel nicht aus, um die fälligen Verbindlichkeiten zu decken, ist die zweite Stufe der Prüfung notwendig. In dieser zweiten Stufe wird ein Finanzplan aufgestellt, der die Zahlungsmittelzuflüsse der kommenden Wochen und die Abflüsse erfasst. Ergibt der Finanzplan, dass die Liquiditätslücke innerhalb von drei Wochen beseitigt ist, liegt keine Zahlungsunfähigkeit vor. Ist die Lücke auch nach drei Wochen vorhanden und beträgt sie mehr als 10 % der fälligen Gesamtverbindlichkeiten liegt i. d. R. Zahlungsunfähigkeit vor. Auch bei einer Liquiditätslücke, die kleiner als 10 % ist, kann Zahlungsunfähigkeit vorliegen, wenn nicht davon auszugehen ist, dass die Lücke dauerhaft geschlossen werden kann.

Der stichtagsbezogene Finanzstatus und die Erstellung eines insolvenzrechtlichen Finanzplans sind nicht mit einer normalen Unternehmensplanung gleichzusetzten und erfordern eine genaue Prüfung der insolvenzrechtlichen Einordnung von Aktiva und Passiva sowie einer drohenden Liquiditätslücke. Mit Bordmitteln ist die Planung bei größeren Unternehmen praktisch kaum in der notwendigen Geschwindigkeit umzusetzen.

Der zweite zum Insolvenzantrag verpflichtende Insolvenzgrund ist die Überschuldung nach § 19 InsO. Überschuldung liegt nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO vor, wenn das Vermögen des Unternehmens die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.

Der insolvenzrechtliche Überschuldungsbegriff weicht vom handelsrechtlichen Überschuldungsbegriff ab. Zunächst wird die überwiegende Wahrscheinlichkeit der Fortführung des Unternehmens, die sog. Fortbestehensprognose geprüft. Diese ist gegeben, wenn das Unternehmen für das laufende und das folgende Geschäftsjahr, mindestens jedoch für 18 Monate, durchfinanziert ist, ohne das eine Liquiditätsunterdeckung eintritt. Ist eine positive Fortbestehensprognose gegeben – für deren Vorliegen der Geschäftsführer später beweispflichtig sein kann –, liegt keine insolvenzrechtlich erhebliche Überschuldung vor.

Bei Fehlen der positiven Fortbestehensprognose ist ein insolvenzrechtlicher Überschuldungsstatus zu erstellen. Darin ist das Vermögen des Unternehmens zu Liquidationswerten den Verbindlichkeiten gegenüber zu stellen. Es sind die tatsächlich realisierbaren Erlöse anzusetzen und auch Liquidationskosten zu simulieren. Reicht das Vermögen nicht aus, um die Verbindlichkeiten zu decken, liegt Überschuldung vor und es besteht eine Insolvenzantragspflicht.

Ausblick: Vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren

In anderen europäischen Rechtsordnungen sind – zur Vermeidung einer Insolvenz – in einer wirtschaftlichen Krise bereits vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren üblich, die Maßnahmen zur Sanierung und Einigung mit den Gläubigern außerhalb eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens ermöglichen.

Die Europäische Kommission hat in einem Richtlini­enentwurf zur Harmonisierung des europäischen Insolvenzrechts aus November 2016 daher Richtlinien für eine vorinsolvenzliche außergerichtliche Sanierung vorgegeben, die bei Ratifizierung von den Mitgliedsstaaten umzusetzen wären. Dieser Richtlinienentwurf enthält auch ein präventives Restrukturierungsverfahren, das der Erleichterung von Sanierungsverhandlungen mit den Gläubigern sowie der Durchführung von Sanierungsmaßnahmen dienen soll.

Es soll hierdurch ein zusätzliches Verfahren geschaffen werden, welches es ermöglicht, einen Vollstreckungsstopp für bis zu vier Monate, bei gleichzeitiger Suspendierung der Insolvenzantragspflichten zu erwirken, um einen Restrukturierungsplan mit den betroffenen Gläubigern verhandeln und verabschieden zu können. Dieser Richtlinienentwurf muss noch durch die weiteren EU-Gremien und dann in den Mitgliedsstaaten kodifiziert werden.

Dass ein solches vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren ein gefragtes Restrukturierungsinstrument sein kann, hat in den letzten Jahren die Restrukturierungspraxis in England und Frankreich bewiesen.

Insolvenzverfahren

Auch die derzeit vorgesehene Regelinsolvenz oder die Insolvenz in Eigenverwaltung nach der Insolvenzordnung hat die Sanierung fortführungsfähiger Unternehmen im Blick. Maßgebliche Aufgabe des Insolvenzverfahrens ist zwar die bestmögliche Gläubigerbefriedigung. Jedoch war es bereits bei Einführung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), das vor nunmehr fünf Jahren in Kraft trat, ausdrückliches Ziel des Gesetzgebers, die Fortführung sanierungsfähiger Unternehmen als „zweite Chance“ zu erleichtern und so auch den Erhalt von Arbeitsplätzen zu fördern.

Geschäftsführer können über eine Insolvenz somit nicht nur eine persönliche und strafrechtliche Haftung vermeiden, sondern auch insolvenzspezifische Sanierungsmöglichkeiten ausschöpfen. Auch nach Antragstellung werden Geschäftsbetriebe in vollem Umfang weitergeführt. Teilweise ist dies sogar unter deutlich besseren Rahmenbedingungen als außerhalb einer Insolvenz möglich, da die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr bedient werden, Löhne und Gehälter für bis zu drei Monate über das Insolvenzgeld bedient werden und Zinsen und Abschreibungen keine Rolle mehr spielen.

Nicht mehr benötigte Vertragsverhältnisse kann das insolvente Unternehmen leichter gegenüber seinen Vertragspartnern kündigen. In der Insolvenz können auch Maßnahmen der Restrukturierung umgesetzt werden, die außerhalb eines Insolvenzverfahrens erhebliche Ersatzforderungen begründen würden. Unter Nutzung dieser Effekte kann das Management gemeinsam mit einem (vorläufigen) Insolvenzverwalter oder in Eigenverwaltung mit sämtlichen Beteiligten die Sanierung verhandeln.

Soweit das Unternehmen fortführungsfähig ist und der Erhalt von Arbeitsplätzen in Aussicht steht, stimmt die Agentur für Arbeit i. d. R. einer sog. Vorfinanzierung des Insolvenzgelds zu. So ergibt sich ein Zeitraum von bis zu drei Monaten für die Investorensuche oder Eigensanierung mittels Insolvenzplan, in dem Personalkosten nicht zu berücksichtigen sind. Die Agentur für Arbeit meldet diese Forderungen zur Insolvenztabelle an.

Restrukturierung in der Insolvenz durch „übertragende Sanierung“ oder Insolvenzplan

In einem vorläufigen Insolvenzverfahren wird neben der Fortführung des Unternehmens unter den oben genannten Bedingungen parallel ein strukturierter Investorenprozess durchgeführt, mit dem Erwerber für den operativen Geschäftsbetrieb gesucht werden. Sind Interessenten gefunden und das höchste Angebot identifiziert, stellt sich die Frage, ob der operative Geschäftsbetrieb auf einen neuen Rechtsträger übertragen wird oder ob die bestehende Gesellschaft erhalten bleiben soll.

Bei der Übertragung auf einen neuen Rechtsträger, einem sog. Asset-Deal oder „übertragender Sanierung“, wird ein Kaufvertrag über sämtliche zu erwerbenden Vermögenswerte geschlossen und der Betrieb wird ab einem definierten Stichtag von einer neuen Gesellschaft fortgeführt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehen i. d. R. durch einen gesetzlichen Betriebsübergang nach § 613 a BGB auf die neue Gesellschaft über.

Sofern die insolvente Gesellschaft – etwa aufgrund wesentlicher Verträge – als Rechtsträger erhalten bleiben soll, kann die Entschuldung und Überwindung des Insolvenzverfahrens mittels Insolvenzplan erfolgen. Es handelt sich hierbei um einen mit den Insolvenzgläubigern zu schließenden Vergleich, der die Zahlung einer Quote und den Erlass der darüber hinaus gehenden Forderungen sowie die Beendigung des Insolvenzverfahrens vorsieht. Ein Insolvenzplan kann auch gesellschaftsrechtliche Maßnahmen, wie eine Kapitalerhöhung oder den Austausch von Gesellschaftern vorsehen.

Ein Insolvenzplan ist eine sinnvolle Alternative zu einem Asset-Deal, wenn die insolvente Gesellschaft z. B. über Lizenzen, Genehmigungen oder Mietverträge verfügt, die ein neuer Rechtsträger nach einem Asset-Deal nicht übernehmen kann oder neu verhandeln müsste. Der Insolvenzplan bietet viele gestalterische Möglichkeiten, die Gläubiger zu befriedigen, Investoren einsteigen zu lassen oder Haftungsansprüche im Einvernehmen mit Insolvenzverwalter und Insolvenzgläubigern zu regeln.

Fazit

Geschäftsführer haben in der Krise des Unternehmens ein besonderes Augenmerk auf die Prüfung von Insolvenzgründen zu legen und bei deren Vorliegen umgehend zu reagieren, um eine eigene Haftung zu vermeiden. Es bietet sich daher an, betriebswirtschaftliche und rechtliche Beratung in Anspruch zu nehmen, um persönliche Risiken zu identifizieren und notwendige Maßnahmen gemeinsam umzusetzen.

Sollte die Insolvenz nicht vermeidbar sein, bietet die Insolvenzordnung auch in ihrer aktuellen Ausgestaltung einen Werkzeugkasten verschiedener Sanierungsinstrumente, um die Insolvenz als zweite Chance zu nutzen und fortführungsfähige Unternehmen sanieren zu können.

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