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Tax Compliance Management System

Von Thomas Dempewolf, Hamburg | Klaas Sperling, Hamburg

Das BMF (Bundesfinanzministerium)-Schreiben vom 23.05.2016 zu § 153 AO ist auf großen Widerhall gestoßen. Darin wird Unternehmen die Einführung eines Tax Compliance Management Systems (Tax CMS) nahegelegt. Die bereits laufende Diskussion um die Notwendigkeit eines Tax CMS ist dadurch nochmals intensiviert worden.

Schwierige Abgrenzung: Bloße fehlerhafte Erklärung vs. Steuerhinterziehung

In dem o. g. BMF-Schreiben wird die Auffassung der Finanzverwaltung zur Anwendung des § 153 AO dargelegt. Nach dieser Vorschrift sind Steuerpflichtige sowie insbesondere auch gesetzliche Vertreter von Kapital- und Personengesellschaften verpflichtet, nachträglich erkannte Fehler in Erklärungen beim Finanzamt anzuzeigen und zu berichtigen. Problematisch ist dabei die Abgrenzung eines nach § 153 AO zu berichtigenden Fehlers von solchen Tatbeständen, die als leichtfertige Steuerverkürzung oder Steuerhinterziehung zu würdigen sind. All diese Fälle sind gekennzeichnet durch den objektiven Tatbestand der unrichtigen Erklärung. In den beiden letztgenannten Fällen treten zusätzlich subjektive Tatbestände auf (Vorsatz bei Steuerhinterziehung; dabei reicht bedingter Vorsatz i. S. einer billigenden Inkaufnahme einer Steuerverkürzung aus!). Solche inneren Beweggründe zu erkennen bzw. auszuschließen ist in der Praxis erheblich schwieriger als die Feststellung, ob eine Erklärung objektiv fehlerhaft ist oder nicht. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass die Finanzverwaltung rigoroser im Umgang mit möglichen Steuerordnungswidrigkeiten und -straftaten geworden ist. Sowohl bei der Berichtigung von Steuererklärungen durch den Steuerpflichtigen als auch bei Feststellungen im Rahmen steuerlicher Außenprüfungen werden häufiger Steuerstrafverfahren eingeleitet als in der Vergangenheit. Teilweise geschieht dies schon bei relativ geringen Steuerbeträgen. Dabei spielen sicherlich die spektakulären Hinterziehungsfälle der letzten Jahre sowie die Reaktionen von Politik und Öffentlichkeit eine Rolle. Der Spielraum des einzelnen Finanzbeamten ist im Übrigen begrenzt. Auch ihm drohen bei Fehlverhalten wie Strafvereitelung im Amt empfindliche Sanktionen. Für den Steuerpflichtigen, der eine Unrichtigkeit in seiner Erklärung erkannt hat, stellt sich aufgrund der beschriebenen Entwicklung mehr denn je die Frage, ob eine bloße Berichtigung nach § 153 AO ausreicht. Diese gewährt ihm keine Strafbefreiung, falls es wider Erwarten zu einem Strafverfahren kommen sollte. Er muss abwägen, ob er nicht lieber vorsorglich eine strafbefreiende Selbstanzeige erstattet. Aufgrund der Gesetzesverschärfungen der letzten Jahre bedeutet eine strafbefreiende Selbstanzeige erheblichen Mehraufwand (Sicherstellung, dass alle Sachverhalte einer Steuerart der vergangenen zehn Jahre, die als Steuerhinterziehung ausgelegt werden könnten, in die Selbstanzeige mit einbezogen werden) sowie zusätzliche Kosten in Form von Strafzuschlägen. Da aber bei Weitem nicht allen Fehlern in Erklärungen Vorsatz oder Leichtfertigkeit zu Grunde liegen, erscheint es nicht sachgerecht, dass aus Rechtsunsicherheit ein Übermaß von Selbstanzeigen hervorgerufen wird.

Goldene Brücke der Finanzverwaltung

Entlastung in Bezug auf das beschriebene Dilemma könnte nun das BMF-Schreiben mit folgender Aussage in Abschnitt 2.6 bringen: „Hat der Steuerpflichtige ein innerbetriebliches Kontrollsystem eingerichtet, das der Erfüllung der steuerlichen Pflichten dient, kann dies ggf. ein Indiz darstellen, das gegen das Vorliegen eines Vorsatzes oder der Leichtfertigkeit sprechen kann, jedoch befreit dies nicht von einer Prüfung des jeweiligen Einzelfalls.“. Diese Aussage kann dem einzelnen Finanzbeamten als goldene Brücke dienen, zukünftig mit mehr Augenmaß zu agieren. Sie kann zudem dem Steuerpflichtigen Schutz vor dem Vorwurf einer Steuerstraftat bieten. Grundvoraussetzung ist, dass ein funktionsfähiges und lebendes Tax CMS vorhanden ist (zur Interpretation des innerbetrieblichen Kontroll­-systems als Tax CMS s. u.). Die Formulierung des BMF erscheint im Hinblick auf die wünschenswerte Rechtssicherheit recht offen. Das BMF-Schreiben enthält auch keine Aussagen zur Ausgestaltung und zum Umfang des Tax CMS. Dies kann allerdings nicht allzu sehr verwundern. Ähnlich wie bei der Verfahrensdokumentation, einem Kernelement der GoBD (Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff, BMF vom 14.11. 2014), kann es ein einheitliches, für jeden Steuerpflichtigen passendes Tax CMS nicht geben. Dessen notwendige Ausgestaltung hängt ab von der Größe des Unternehmens, von dessen Organisation, der IT-Landschaft, den wirtschaftlichen Betätigungen und vielen Aspekten mehr. Ist ein Tax CMS vorhanden, kann trotz grundsätzlicher Wirksamkeit nicht ausgeschlossen werden, dass ein Steuerpflichtiger im Einzelfall vorsätzlich eine unrichtige Steuererklärung abgibt. Die offene Formulierung des BMF ist im Hinblick auf die Rechtssicherheit des Steuerpflichtigen zwar unbefriedigend, aus den genannten Gründen aber nachvollziehbar. Im Übrigen sind die Gerichte an die Auffassung des BMF nicht gebunden. Ein funktionsfähiges Tax CMS dürfte aber auch im Fall eines Gerichtsverfahrens eine Indizwirkung zugunsten des Steuerpflichtigen haben.

Ist ein Tax CMS sinnvoll oder notwendig?

Unmittelbar aus den Steuergesetzen ergibt sich keine explizite Verpflichtung für ein Tax CMS. Aus der Gesamtheit aller Sorgfaltspflichten, die sich aus der AO sowie auch einzelnen Steuergesetzen ergeben, erscheint es aber naheliegend, dass zumindest ab einem bestimmten Organisationsgrad sowie einer bestimmten Vielfalt an Geschäftsfeldern und IT-Strukturen ein Tax CMS unumgänglich ist, um den steuerlichen Verpflichtungen nachkommen zu können. Wie anders kann sichergestellt werden, dass die immer größeren Anforderungen, beispielsweise auch im formalen Bereich (Meldepflichten, ordnungsmäßige Buchführung, Nachweis der Voraussetzungen für Steuerfreiheit und Vorsteuerabzug usw.) erfüllt werden? Davon abgesehen bestehen konkrete gesetzliche Verpflichtungen für ein CMS – und damit auch für ein Tax CMS – für den Vorstand von Aktiengesellschaften (§ 91 Abs. 2 AktG) und bei bestimmten Branchen. Bei GmbHs existiert eine entsprechend explizite Aussage nicht. Jedoch wird aus der Sorgfaltspflicht des Geschäftsführers gemäß § 43 GmbHG vielfach geschlossen, dass auch bei diesen, zumindest ab einem bestimmten Organisationsgrad, eine entsprechende Verpflichtung besteht. In der Praxis ist zudem § 130 OWiG von großer Bedeutung. Demnach muss der Inhaber eines Unternehmens bzw. dessen gesetzlicher Vertreter Aufsichtsmaßnahmen ergreifen, um Gesetzesverstöße im Unternehmen zu unterbinden. Anderenfalls handelt er bei Pflichtverstößen von Mitarbeitern ordnungswidrig; dies kann mit erheblichen Geldbußen geahndet werden. Davon unabhängig spricht viel dafür, dass aus der Aussage der Finanzverwaltung zur Indiz-Wirkung eines Tax CMS mehr werden wird als eine Hilfestellung für den Finanzbeamten und den Steuerpflichtigen. Sie dürfte einen neuen Standard setzen: Zukünftig ist zu erwarten, dass ein Steuerpflichtiger ohne Tax CMS von vornherein im Fokus der Finanzverwaltung stehen wird. Eine der ersten Handlungen eines Betriebsprüfers könnte in naher Zukunft die Frage nach einem vorhandenen Tax CMS und dessen Ausgestaltung sein. Auch dieser Aspekt bestärkt die Auffassung, dass ein Tax CMS zunehmend als notwendig anzusehen ist.

Wer ist verantwortlich?

Wie bereits in den vorherigen Ausführungen angesprochen, sind die Steuerpflichtigen selbst sowie insbesondere auch die gesetzlichen Vertreter, beispielsweise GmbH-Geschäftsführer, für das funktionierende Tax CMS verantwortlich. Diese persönlich treffen auch mögliche Sanktionen bis hin zu Haftstrafen bzw. erheblichen Bußgeldern im Fall der Steuerhinterziehung bzw. Unterlassungen im Sinne des § 130 OWiG.

Hinweise zur Ausgestaltung eines Tax CMS

Nähere Ausführungen zur Ausgestaltung eines Tax CMS sind nicht Gegenstand dieses Aufsatzes. An dieser Stelle soll aber darauf hingewiesen werden, dass das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) am 22.06.2016 den Entwurf eines Praxishinweises zur Ausgestaltung und Prüfung eines Tax CMS veröffentlicht hat. Dieser befasst sich ausdrücklich mit dem BMF-Schreiben vom 23.05.2016. Das IDW versteht unter dem Begriff innerbetriebliches Kontrollsystem „eine eingerichtete Organisation, die die Einhaltung von gesetzlichen Vorschriften und innerbetrieblichen Regeln sicherstellen soll, hier mit besonderer Ausrichtung auf das Steuerrecht“ und bezeichnet diese als Tax CMS. Nach den Ausführungen des IDW soll ein angemessenes Tax CMS sieben miteinander in Wechselwirkung stehende Grundelemente enthalten (Compliance-Kultur, -Ziele, -Risiken, -Programm, -Organisation, -Kommunikation sowie -Überwachung und Verbesserung). Die Implementierung eines Tax CMS kann in der Praxis mit einigem Aufwand und Kosten verbunden sein. Viele Unternehmen werden jedoch bereits über Elemente eines Tax CMS verfügen (zum Beispiel Festlegung von Zuständigkeiten und Kommunikationswegen, Arbeitsanweisungen, Fristenkontrolle, Vier-Augen-Prinzip). In der Regel muss die Implementierung daher nicht bei Null beginnen. Auf Basis der vorhandenen Elemente kann ein zeitlich und kostenmäßig begrenzter Quick Check zur Ermittlung des weiteren Handlungsbedarfs zielführend sein.

Fazit

Für bestimmte Rechtsformen und Branchen ist ein Tax CMS explizit vorgeschrieben. Darüber hinaus ergibt sich insbesondere aus § 130 OWiG das Erfordernis von Aufsichtsmaßnahmen (bei entsprechender Organisationsstruktur wohl in Form eines Tax CMS). Die entsprechende Verpflichtung trifft insbesondere auch die gesetzlichen Vertreter von Unternehmern. Diese haben bei Verstößen persönlich die möglichen Sanktionen zu tragen.

Darüber hinaus ist zu erwarten, dass die Auffassung der Finanzverwaltung zur Indizwirkung eines Tax CMS einen entsprechenden Standard schaffen wird: Steuerpflichtige, die nicht über ein Tax CMS verfügen, werden sich zukünftig von vornherein gegenüber der Finanzverwaltung in der Defensive befinden.

Bild: Fotolia/FoxysGraphic

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