Artikel erschienen am 22.07.2019
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Arbeitsrechtliche Restrukturierung in der Krise

Möglichkeiten zur Anpassung der Betriebsstrukturen vor und in einer Insolvenz

Von Manuel Sack, Braunschweig | Jan-Philipp Koslowski, Hannover

Befindet sich ein Unternehmen bereits in der wirtschaftlichen Krise, werden häufig Veränderungen in der Personalstruktur als erforderliche Sanierungsmaß­nahmen ausgemacht. Regelmäßig stellt sich dabei rückschauend neben anderen die Frage, ob die Unternehmenskrise hätte abgewendet werden können, wenn bereits früher Anpassungen der betrieblichen Strukturen vorgenommen worden wären. Ist die Krise aber eingetreten und gar ein Insolvenzantrag unausweichlich geworden, wird vorstehende Frage oft sogar aus der Belegschaft gestellt, insbesondere dann, wenn infolge der eingetretenen Krise nun mehr oder gar alle Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen.

Häufig meiden Unternehmen jedoch in dieser Situation die arbeitsrechtliche Auseinandersetzung mit Beschäftigten oder Betriebsräten und fürchten trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten eher neue, zusätzliche Probleme und Belastungen für das Unternehmen, als Lösungswege aus der Krise zu sehen. Doch meist ist genau diese Phase jene, in der durch einen offenen Dialog zwischen den Betriebsparteien konstruktive Verhandlungen zu einer betrieblichen Restrukturierung ermöglicht werden, die man zuvor für nicht erreichbar oder verhandelbar angesehen hatte. Denn eine sich abzeichnende Krise sollte alle Betriebsparteien dazu veran­lassen, auch Maßnahmen zur betrieblichen Restrukturierung in erforderlichem Umfang ernsthaft zu erwägen. Oftmals führen die Auslagerung (Outsourcing), Abspaltung oder Schließung von defizitären Betriebsteilen bzw. Fertigungsprozessen dazu, dass das Unternehmen im Kern erhalten und wirtschaftlich fortgeführt werden kann. Lässt sich die Krise dadurch abwenden, kann nicht nur der Weg in die Insolvenz vermieden, sondern meist auch eine größere Zahl der Arbeitsplätze erhalten werden.

Ist jedoch die Unternehmenskrise, die häufig auch von externen Faktoren bedingt bzw. beeinflusst ist, nicht mehr zu vermeiden, sollte ein Insolvenzantrag nicht nur erwogen, sondern auch als weitere Chance verstanden werden, um das Unternehmen durch ein Insolvenz­verfahren zu sanieren und zu erhalten. In welchem Umfang die Insolvenzordnung (InsO) hierbei mehr arbeits­rechtliche Flexibilität ermöglicht, ist oft nicht vollumfänglich bekannt. Es ist ratsam, sich die Besonder­heiten und Chancen, die ein geordnetes Insolvenz­verfahren bspw. in Eigenverwaltung des Unternehmens auch bei der arbeitsrechtlichen Restrukturierung bieten kann, abzuwägen.

Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens führt indes nicht zur Beendigung der Arbeitsverhältnisse. Auch ist die Insolvenz kein betriebsbedingter Kündigungsgrund. Es gelten allerdings ab Eröffnung des Insolvenz­ver­fahrens besondere Regelungen für den Ausspruch von Kündigungen und den Kündigungsschutz. Diese sind in den §§ 113, 121 ff. und §§ 125 bis 128 Insolvenzordnung (InsO) geregelt. Wenn im Betrieb ein Betriebsrat besteht, können mit diesem besondere Betriebsvereinbarungen geschlossen werden, die eine Sanierung erleichtern und personelle Maßnahmen schneller und rechts­sicherer durchführbar machen.

Nach § 113 S. 1 InsO können beide Arbeitsver­trags­parteien mit der anwendbaren Kündigungsfrist kün­digen. Um notwendige Kündigungen im Insolvenzverfahren zu beschleunigen, sieht §­113 S. 2 InsO für längere Fristen eine beiderseitige Verkürzung der Kündigungsfrist auf 3 Monate zum Monatsende vor. Diese gesetzliche Regelung geht in der Insolvenz anderen, längeren gesetzlichen, arbeits- oder tarifvertraglichen Kündigungsfristen vor und gilt auch für Änderungs­kün­digungen. In der Insolvenz können auch befristete Arbeitsver­hältnisse nach § 113 InsO gekündigt werden, selbst dann, wenn die ordentliche Kündigung vor Be­fristungs­ende arbeits- oder tarifvertraglich ausgeschlossen wurde. § 113 Abs. 1 InsO ändert allerdings nichts daran, dass auch bei Kündigungen durch einen Insolvenz­verwalter oder die Geschäftsleitung bei einer Insolvenz in Eigenverwaltung die Anforderungen des Kündigungsschutzgesetzes an den Kündigungsgrund und ggf. auch Sonderkündigungsschutz für bestimmte Personen­gruppen (z. B. behinderte, sowie schwangere oder in Elternzeit befindliche Arbeitnehmer) beachtet werden müssen. Eine Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers kann und muss auch hier binnen 3 Wochen nach Zugang der Kündigung erhoben werden. Nach § 126 Abs. 1 InsO kann jedoch beim Arbeitsgericht im Falle des Nicht­zustande­kommens eines Interessenausgleichs beantragt werden festzustellen, dass die Kündigung der Arbeitsverhältnisse bestimmter, im Antrag bezeichneter Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und sozial gerechtfertigt ist. Das Arbeitsgericht entscheidet sodann beschleunigt im Beschlussver­fahren. Wird den benannten Arbeitnehmern dann gekündigt, so ist die rechtskräftige Entscheidung aus dem Beschluss­verfahren bindend für die Kündigungsschutzklage eines betroffenen Arbeitnehmers.

Der § 125 Abs. 1 InsO stellt eine Sondervorschrift für betriebsbedingte Kündigungen dar, wenn Insolvenzverwalter bzw. Eigenverwaltung und Betriebsrat in einem Interessenausgleich zu kündigende Arbeitnehmer namentlich bezeichnet haben. Die Vorschrift ordnet eine reduzierte Überprüfung der sozialen Auswahl an, nämlich dass diese im Hinblick auf Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltspflichten nur auf grobe Fehlerhaftigkeit hin überprüft werden kann. Weiter bestimmt § 125 Abs. 1 InsO, dass die Sozialauswahl auch dann als nicht grob fehlerhaft anzusehen ist, wenn eine ausgewogene Personalstruktur geschaffen werden soll. Sozialpläne, die außerhalb des Insolvenz­verfahrens oft große wirtschaftliche Ver­pflichtungen für Unternehmen mit sich bringen, sind im eröffneten Insolvenzverfahren nach § 123 InsO begrenzt auf ein maximales Gesamtvolumen von 2,5 Bruttomonatsgehältern der am Sozialplan teilnehmenden Arbeitnehmer. In der Insolvenz dürfen Leistungen aus Insolvenzsozialplänen auch nur dann und soweit ausgezahlt werden, als ein Drittel der für alle Insolvenz­gläubiger zur Verteilung stehenden Insolvenzmasse ausreicht.

Ein weiteres, bewährtes Mittel zur arbeitsrechtlichen Sanierung und zur Milderung der Nachteile der vom Arbeitsplatzverlust betroffenen Arbeitnehmer ist – auch im Vorfeld einer Unternehmenskrise – die sog. Transfer­gesellschaft, häufig auch als „Beschäftigungs- oder Qualifizierungsgesellschaft“ (BQG) bezeichnet. Der Übertritt in eine Transfergesellschaft erfolgt dadurch, dass die Arbeitnehmer durch dreiseitigen Vertrag mit dem bisherigen Arbeitgeber und der Transfergesellschaft aus ihrem bisherigen Arbeitsverhältnis ausscheiden und ein neues, befristetes Arbeitsverhältnis mit der Transfergesellschaft eingehen. Durch den Wechsel der von der Entlassung betroffenen Beschäftigten in die Transfergesellschaft werden Schwierigkeiten vermieden, die bei einer alternativen Kündigung oder einem Aufhebungs­vertrag auftreten können. Zudem gewährt die Agentur für Arbeit für die in die Transfergesellschaft gewechselten Arbeitnehmer Transferkurzarbeitergeld und unterstützt mit weiteren Mitteln die Qualifikation der Betroffenen. Gefördert werden können alle Maßnahmen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt, an deren Finanzierung sich der Arbeitgeber in gewissem Umfang zu beteiligen hat. Zwingende Voraussetzung einer Förderung ist das vorherige Beratungsgespräch zwischen den Betriebsparteien (Arbeitgeber und Betriebsrat) und der Agentur für Arbeit. Eine Transfergesellschaft darf zudem nur von einer zertifizierten Trägergesellschaft durchgeführt werden. Die einzelnen Maßnahmen, wie auch ihre finanzielle Sicherung werden in einem Transfersozialplan vereinbart. Sofern kein Betriebsrat existiert, genügt auch eine (transfer-) sozial­planähnliche Vereinbarung mit einer ausschließlich für die Errichtung der Transfergesellschaft gewählten Mitarbeitervertretung.

Risiken für den Arbeitgeber

Selbstverständlich birgt eine Restrukturierung zu Beginn einer Krise, wie auch im Insolvenzverfahren, arbeitsrechtliche Risiken für den Unternehmer. Insbesondere in mittelständischen Betrieben stellt sich oft die Frage, ob das geschulte Fachpersonal im Betrieb verbleiben, oder schlimmstenfalls zur Konkurrenz wechseln wird. Doch gerade eine proaktive, rechtzeitige betriebliche Restrukturierung schafft in aller Regel gesteigertes Vertrauen der Belegschaft in die Zukunft des Unternehmens. Wird eine Insolvenz doch notwendig, bieten Insolvenzgeld bzw. Insolvenzgeldvorfinanzierung zumindest für drei Monate eine finanzielle Sicherheit für die Arbeitnehmer, solange eine Betriebsfortführung im Insolvenzantragsverfahren sichergestellt ist und das Unternehmen im Kern sanierungsfähig erscheint.

In der Praxis lassen sich durch die skizzierten Möglichkeiten Unternehmenskrisen bestenfalls abwenden, insbesondere, wenn eine strukturierte Sanierung und Restrukturierung frühzeitig erörtert, vorbereitet und kommuniziert werden kann. Dabei stellen die in der Wahrnehmung zwar überschaubaren, aber im Zusammenspiel regelmäßig effektiven Gestaltungsmöglichkeiten eine erhebliche Erleichterung bei der Planung und Umsetzung von erforderlichen Sanierungsmaßnahmen dar.

Bild: Fotolia/Pixelshop

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