Artikel erschienen am 15.07.2019
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Digitalisierung, Automation, künstliche Intelligenz

Wie können kaufmännische Prozesse unterstützt werden?

Von Dipl.-Ök. Carsten Klingebiel, Isernhagen

Die Welle der Digitalisierung hat auch vor dem in jedem Unternehmen nötigen Rechnungswesen nicht haltgemacht. Die Zeiten haben sich dementsprechend durch neue Technologien extrem verändert, insbesondere sind davon die Arbeitsweisen im Rahmen der Verarbeitung der Finanzbuchhaltung betroffen. Während der Buchhalter früher alle Papierbelege manuell erfasst hat, werden heute die eingescannten Belege digital in „Unternehmen online“ der DATEV, einer der größten Softwareanbieter für den Mittelstand, gebucht. Die Ausgangsrechnungen und die Kontoauszüge der Bankkonten werden bereits seit einigen Jahren direkt digital zur Verfügung gestellt und zumeist automatisiert ohne weiteren Eingriff verarbeitet.

Doch die digitale Transformation geht hier rasant weiter. Durch die weitergehende Digitalisierung können in Zukunft wiederkehrende und standardisierte Geschäftsvorfälle wie Eingangsrechnungen, Ausgangsrechnungen, Zahlungen und Rechnungsausgleich von einem tech­nischen System durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz gebucht werden. Dieses System wird von der DATEV bisher als Finanzbuchhaltungs-Automat bezeichnet und befindet sich derzeit noch in der Pilotphase. Ab Herbst 2019 wird die DATEV das System seinen Kunden voraussichtlich zur Verfügung stellen.

Ziel einer weitergehenden Automatisierung der Finanzbuchhaltung

Neben den technischen Weiterentwicklungen im Bereich Hard- und Software und den Möglichkeiten der Massendatenverarbeitung ist der Arbeitskräftemangel – ausgelöst durch die demografische Entwicklung – die größte Herausforderung für die Unternehmen in Deutschland. Daher ist das Hauptziel der Automatisierung, die Finanzbuchhaltungsmitarbeiter zu unterstützen, indem sie von ermüdenden Routineaufgaben entlastet werden. Infolgedessen kann sich somit auf anspruchsvolle Buchführungsfragen konzentriert werden, bei denen eine Einzelwürdigung des Sachverhaltes und entsprechendes Wissen erforderlich ist.

Arbeitsplatzsicherheit durch die Automatisierung

Die weitergehende Digitalisierung und Automatisierung der Finanzbuchhaltung wird auf der einen Seite den Anteil der händischen Arbeit sinken lassen. Damit werden die Bearbeitungszeiten für einzelne Buchhaltungen zurückgehen. Auf der anderen Seite ist es für alle Unternehmen extrem schwierig, qualifizierte Bilanzbuchhalter zu gewinnen. Wenn durch die Automatisierung die einfachen, wiederkehrenden Arbeiten abnehmen werden, wird sich das Problem der Fachkräftegewinnung möglicherweise verringern. In der Gesamtsicht könnten sich diese beiden Effekte kompensieren. Im Ergebnis wird ein Mitarbeiter durch die Digitalisierung und Automatisierung der Abläufe in der Finanzbuchhaltung nicht seinen Job verlieren, vielmehr wird er mit interessanteren Aufgabenstellungen betraut werden.

Weitere Vorteile und Mehrwerte

Die Automatisierung der Finanzbuchhaltung löst daher mehrere Probleme gleichzeitig: Die Buchführung wird wegen der monatlichen Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung oft unter hohem Zeitdruck erstellt, da die Einreichung der notwendigen Informationen und Belege häufig erst sehr spät zum Steuerberater gelangen. Unnötiger Stress und eine zu hohe Arbeitsbelastung sind eine Folge dessen. Die Automatisierung der Bearbeitungsabläufe kann diese Belastung mindern, indem das Automatisierungstool jeden Beleg, sobald er übermittelt ist, automatisch verarbeitet. Darüber hinaus ergeben sich weitere Vorteile: Wenn die Belege und Zahlungen laufend automatisch gebucht werden, kann der Steuerberater dem Mandanten eine aktuelle Finanzbuchführung zur Verfügung stellen. Hierbei können ohne größeren Mehraufwand tagaktuelle Auswertungen, beispielsweise zur Entwicklung der Liquidität, zu offenen Posten und zum Finanzstatus, erstellt werden. Dies würde in den Unternehmen die Transparenz erhöhen und die Grundlage für unternehmerische Entscheidungen wäre aufgrund der höheren Aktualität der Buchhaltung deutlich fundierter.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

Die Veränderung der Arbeitsroutinen: Der Einsatz des Finanzbuchhaltungs-Automaten wird den Tagesablauf des Buchhalters extrem verändern. Der Finanzbuchhaltungs-Automat ist vergleichbar mit einem neuen Assistenzsystem in einem Auto. Solange sich der Mitarbeiter noch nicht auf das neue System verlassen mag, wird er zunächst vorsichtig und zurückhaltend mit dessen Einsatz sein. Sobald die ersten Nutzungen des Systems zu nachvollziehbaren und plausiblen Ergebnissen führen, wird das Vertrauen in die Technik steigen und es im Arbeitsalltag sowie -ablauf seinen festen Platz finden. Es ist wichtig, dass man das Zusammenspiel von System und Mensch individuell gestaltet und der maschinellen Verarbeitung nicht blind vertraut. Das bedeutet zwar, dass der Sachbearbeiter die Finanzbuchhaltung nicht mehr vollständig erstellen muss, allerdings nun zu prüfen hat, ob die Buchungen vom System korrekt übernommen worden sind beziehungsweise welche nicht verarbeitet werden konnten. Dies erfordert zukünftig weitergehende Kenntnisse und Kompetenzen der Mitarbeiter.

Hauptzielgruppen der FIBU-Automatisierung

Der Finanzbuchhaltungs-Automat wird sinnhafterweise bei allen Unternehmen zum Einsatz kommen, die viele wiederkehrende Eingangs- und Ausgangsrechnungen haben und/oder bei denen Massendaten aus Internet-Plattformen wie z. B. Paypal oder Amazon zu verarbeiten sind. Bei denen ist eine manuelle Bearbeitung der Geschäftsvorfälle aufgrund des Umfangs nicht mehr sinnvoll.

Zukünftige Arbeitsweise zwischen Mandanten und Steuerberater

Grundlage für den Finanzbuchhaltungs-Automaten sind die digitalisierten Belege im Rechenzentrum der DATEV und der Zugang zu den digitalisierten Bankkontoinformationen. Dabei ändert sich in der Zusammenarbeit für den Mandanten nichts. Ob die Finanzbuchhaltung händisch oder automatisch erstellt wird, macht für den Unternehmer keinen Unterschied, außer dass er im Fall einer automatisierten Verarbeitung tagaktuelle Informationen erhält. Der zuständige Mitarbeiter des Steuerberaters wird dahingegen in seinen wiederkehrenden Routinetätigkeiten entlastet. Der Hauptunterschied und -vorteil liegt in der Buchungserzeugung und der Verknüpfung der Buchführungsinformationen mit den Beleginformationen sowie dem Belegbild.

Funktionsweise des Finanzbuchhaltungs-Automaten

Das System wird mit möglichst vielen Daten gefüttert, erkennt Muster in den Daten und erstellt aus diesen Mustern so etwas wie „Entscheidungsbäume“. Daraus werden Modelle entwickelt und trainiert, die dann angewendet werden. Der Beleg durchläuft diese intelligenten, dynamischen Modelle, die für den Beleg die korrekten Buchungssätze erstellen.

Das System der DATEV funktioniert nicht nach bestimmten Regeln, im Sinne von: „Wenn X dasteht, dann buche Konto Y“. Das System ist in einer speziellen Entwicklungsumgebung im Rechenzentrum in Nürnberg entwickelt und ist vergleichbar mit einem Trainingslager. Derzeit laufen die abschließenden Tests und das System wird, wenn es fit genug ist, in den Echtbetrieb gehen, um dann den Steuerberatern zur Verfügung zu stehen. Zudem wird das System in den nächsten Monaten immer weiter lernen. Hierfür gibt es sogenannte Rückkopplungsschleifen: Wenn das System eine Buchung vorschlägt, aber der Anwender das Sachkonto ändert, dann bekommt das System die Rückmeldung darüber, dass sich der Anwender anders entschieden hat und lernt daraus. Deshalb braucht man intelligente Feedbackschleifen. Dazu hat die DATEV in ihrer Testumgebung Echtdaten von über hundert Finanzbuchhaltungsbeständen in das System importiert und auf Basis von Parametern bestimmte Muster für die Verarbeitung der Datensätze festgelegt. Mit jedem neuen Datensatz lernt das System dazu, wodurch die künstliche Intelligenz stetig wächst.

Voraussetzung für einen erfolgreichen Einsatz der Automatisierung

Entscheidend für die erfolgreiche Umstellung auf die automatisierten Verarbeitungsverfahren sind die Größe und der Umfang der dem System zugrunde liegenden Datensätze. Je mehr Datensätze in der Datenbank gespeichert werden, desto größer sind die Einsatzmöglichkeiten der Buchhaltungs-Automaten und deren richtige Zuordnungsentscheidung. Dazu ist es notwendig, alle Belege der Unternehmen unter Zu­hilfenahme von Hochleistungsscannern einzuscannen und digital zu verarbeiten. Nur durch die Umstellung der Prozessabläufe auf ein weitestgehend digitalisiertes und automatisiertes Verfahren kann die digitale Transformation im Bereich des Rechnungswesens und somit die Basis für eine zukunftsorientierte Bearbeitung erreicht werden. Mit diesen veränderten Prozessabläufen werden die Unternehmen in der Lage sein, die notwendige Entlastung auf der Mitarbeiterseite zu erzielen, Kapazitäten für anstehende neue Aufträge bereitzustellen und den Mitarbeitern zeitgemäße Bearbeitungsprozesse zur Verfügung zu stellen.

Um den technischen Wandel hin zu einer digitalisierten Welt im Rechnungswesen zu ermöglichen, müssen alle Mitarbeiter, die mit Finanzbuchhaltungen beschäftigt sind, quasi zu Datenmanagern weiterentwickelt werden. Hierzu bedarf es eines umgehenden Umdenkens in der Aus- und Weiterbildung, damit die Mitarbeiter diesen technischen Wandel auch standhalten können.

Bild: Fotolia/Gorodenkoff

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