Geschäftsleiterhaftung in der Krise
Wie Führungskräfte im Emergency-Modus die verschärften Haftungsgefahren managen
Von Manuel Sack, Braunschweig
Foto: Adobe Stock/Elnur
Pflicht zur Krisenfrüherkennung
Die Krise bewältigen kann nur derjenige, der die Krise rechtzeitig erkennt. Jedes Unternehmen hat über ein geeignetes Krisenfrüherkennungssystem zu verfügen. Die Ausgestaltung des Frühwarnsystems liegt im Ermessensspielraum der Geschäftsleitung und richtet sich wesentlich nach dem Geschäftsfeld, der Unternehmensgröße sowie der Unternehmensorganisation.
Das Krisenfrühwarnsystem sollte anhand vordefinierter Key Performance Indicator (KPI) aufgestellt, überwacht und dokumentiert werden. Empfehlenswert ist es, neben den Daten zu Aufträgen, Auslastung, Liquiditäts- und Ergebnisentwicklung, weiche KPI zu überwachen: Krankenstand, Fehlzeiten, Mitarbeiterfluktuation und Mitarbeiterbewertungen auf Jobportalen sowie Kundenzufriedenheit und Innovationskraft. Hieran zeichnet sich die Krise ab, bevor die Liquidität schwindet.
Grundsätzlich hat jedes Unternehmen zu jedem Zeitpunkt über eine Liquiditätsplanung zu verfügen. Spätestens mit Eintritt der Ergebniskrise ist eine wasserdichte Liquiditätsplanung unerlässlich zur Krisenbewältigung und der Vermeidung einer Geschäftsleiterhaftung im Rahmen einer (unerkannten) Insolvenzverschleppung. Nur mit einer verlässlichen Liquiditätsplanung, kann ein leistungsfähiges Liquiditätsmanagement betrieben werden. Betrachtet werden Zahlungseingänge mit der jeweiligen Eintrittswahrscheinlichkeit und sämtliche fälligen Verbindlichkeiten. Es empfiehlt sich, zusätzlich Best- und worst-case-Szenarien sowie, falls erkennbar, einen Disruption-case zu planen.
Pflicht zum Krisenmanagement
Die Feststellung der Krise hat keinen Mehrwert, wenn daraus keine Konsequenzen gezogen werden. Gegenmaßnahmen müssen erarbeitet und umgesetzt werden. Damit trifft die mit dem Alltagsgeschäft ausgelastete Geschäftsleitung auf die Herausforderungen des Projekt- und Umsetzungsmanagements. Zum Krisenmanagement gehört deswegen die Prüfung, ob die Krise eine Einbeziehung externer Beratung erforderlich macht oder noch mit Bordmitteln bewältigt werden kann. Eine Haftung der Geschäftsleitung kommt immer dann in Betracht, wenn keine Gegenmaßnahmen getroffen werden. Deren Erarbeitung und Umsetzung sollte deswegen auch sorgfältig dokumentiert werden.
Einleitung eines Restrukturierungsverfahrens (StaRUG)
Am 01.01.2021 ist das vorinsolvenzliche Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG in Kraft getreten. Das StaRUG bietet verschiedene Instrumente, um ein Unternehmen im Zeitraum der drohenden Zahlungsunfähigkeit zu sanieren. Kern des StaRUG-Verfahrens ist ein Restrukturierungsplan, mit dem sich der Sanierung verweigernde Gläubiger aber auch Gesellschafter durch Mehrheitsentscheid überstimmt werden können.
Der Geschäftsführer wird im Rahmen des Krisenmanagements prüfen müssen, ob die Einleitung eines Restrukturierungsverfahrens nach dem StaRUG zur Sanierung des Unternehmens erforderlich und geeignet ist. Dabei ist er dem Dilemma zwischen Gläubiger- und Gesellschafterinteresse ausgesetzt.
Eintritt der Insolvenzreife
Ein Unternehmen wird mit Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung insolvent. Zahlungsunfähigkeit heißt, dass die Verbindlichkeiten im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit nicht mit den verfügbaren liquiden Mitteln beglichen werden können. Die Zahlungsunfähigkeit lässt sich retrograd sehr einfach anhand der offenen Forderungen der Gläubiger feststellen.
Die Überschuldungsprüfung erfolgt zweistufig. Anhand der Liquiditätsplanung ist zu prüfen, ob ein Unternehmen eine positive Fortbestehensprognose hat. Ist in der Liquiditätsplanung zu erkennen, dass in den nächsten zwölf Monaten eine Unterdeckung eintritt, ist die Fortbestehensprognose negativ. Im zweiten Schritt ist ein Überschuldungsstatus zu bilden – ist dieser negativ, ist das Unternehmen überschuldet und insolvenzreif.
Insolvenzantragspflicht
Bei Eintritt der Insolvenzreife hat die Geschäftsleitung ohne schuldhaftes Zögern einen vollständigen und richtigen Insolvenzantrag zu stellen und die gemachten Angaben an Eides statt zu versichern.
Im Vorfeld des Insolvenzantrages hat die Geschäftsleitung zudem zu prüfen, ob sich ein Schutzschirm- oder ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung zur Sanierung der Gesellschaft anbietet.
Ein nicht rechtzeitig gestellter Insolvenzantrag ist nicht nur haftungs-, sondern auch strafbewehrt. Jede Unternehmensinsolvenz wird der Staatsanwaltschaft übermittelt, weswegen ein gut vorbereiteter Insolvenzantrag von hoher Bedeutung ist. Etwaige dem Insolvenzantrag entgegenstehende Gesellschafterbeschlüsse befreien nicht von der Haftung.
Haftung für verbotene Zahlungen bei Insolvenzreife
Insolvenzantragspflichtige Mitglieder der Geschäftsleitung dürfen gem. § 15b Abs. 1 InsO grundsätzlich keine Zahlungen mehr für die Gesellschaft vornehmen. Für jede pflichtwidrig geleistete Zahlung haftet die Geschäftsleitung grundsätzlich persönlich und ist gem. § 15b Abs. 4
InsO erstattungspflichtig. Nur Zahlungen, die unbedingt zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes erforderlich sind, können privilegiert sein vom Zahlungsverbot. Der Begriff der Zahlung ist weit zu verstehen. Dementsprechend sind eingezogene Forderungen auf ein debitorisch geführtes Konto als haftungsbewährte Zahlung zu qualifizieren.
Diese Vorschrift ist in der Praxis nicht nur enorm haftungsrelevant, sondern zugleich die größte Herausforderung im Krisenmanagement. Im lebenden Unternehmen sind täglich Zahlungen zu leisten – besonders bei Löhnen, Gehältern, Lieferanten und Spediteuren ist bereits ein Aufschub um wenige Tage beinahe unmöglich. Bei Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen drohen weitere Haftungsgefahrenvorschriften.
Haftung für Steuern und Sozialversicherungsbeiträge
Die Geschäftsleitung haftet gem. §§ 34, 69 AO für die Abführung von Steuern sowie gem.
§ 266a StGB für die Abführung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung. Gleichzeitig hat die Geschäftsführung die vorgenannten Zahlungsverbote zur Massesicherungspflicht zu beachten. Das Dilemma kann durch eine sorgfältige Planung der fälligen Zahlungen sowie des Zeitpunkts eines eventuell erforderlichen Insolvenzantrags aufgelöst werden.
Die Veräußerung des Tafelsilbers
Neben den vorgenannten krisenspezifischen Tatbeständen darf die allgemeine Haftung der Geschäftsleitung gem. §§ 43 GmbHG, 93 AktG nicht außer Acht gelassen werden. Besonders in der Krise kann es zur Sicherstellung der Liquidität notwendig sein, das Tafelsilber eines Unternehmens bspw. in Form eines Sale & Lease Back kurzfristig zu veräußern.
Der Geschäftsleitung steht hierbei der übliche Ermessensspielraum zu: Die unternehmerische Entscheidung muss auf einer angemessenen Informationsgrundlage zum Wohle der Gesellschaft getroffen werden. Dies bedingt eine ordentliche Dokumentation der Entscheidungsgrundlage für den Fall einer späteren Inanspruchnahme. Kaufpreise unter dem eigentlichen Wert sind entsprechend zu begründen.
Ressortaufteilung
Eine Ressortaufteilung zwischen den Geschäftsführern hat nicht zur Folge, dass sich ein Geschäftsführer der Haftungsrisiken eines von ihm nicht zu verantwortenden Ressorts entledigen kann. Im Rahmen der besonders relevanten Haftung wegen verbotener Zahlungen nach Insolvenzreife wird das Verschulden vermutet. Ein Geschäftsleiter kann sich nur dann entlasten, wenn er beweisen kann, dass es ihm unmöglich war, eine Insolvenzreife zu erkennen. Die Ressortaufteilung führt deswegen vielmehr zu einer Kontroll- und Überwachungspflicht für den nicht verantwortlichen Geschäftsleiter.
Prokuristen als faktische Geschäftsführer
Je nach Aufgabenverteilung können Prokuristen, wenn diese als faktische Geschäftsführer zu qualifizieren sind, analog zur eigentlichen Geschäftsführung haften. Faktischer Geschäftsführer ist derjenige, der nach außen wie ein Geschäftsführer die Geschäfte der Gesellschaft führt. Hierzu hat die Rechtsprechung verschiedene Fallgruppen geschaffen, insbesondere Bestimmung der Unternehmenspolitik, Unternehmensorganisation, Einstellung/Kündigung von Mitarbeitern, Gestaltung der Geschäftsbeziehung zu Vertragspartnern, Verhandlung mit Kreditgebern, Steuerung der Buchhaltung etc.
Eintritt einer D&O-Versicherung
Üblicherweise verfügen mittelständische und große Unternehmen über eine Organ-Haftpflichtversicherung für ihre Geschäftsleiter (D&O). Die Haftung der Geschäftsleitung im Rahmen einer Insolvenz führt immer wieder zum Streitfall über die Eintrittspflicht der Versicherung. Im ersten Schritt sollte geprüft werden, ob die Versicherung die Haftung für verbotene Zahlungen nach Insolvenzreife abdeckt. Falls nicht, ist dies sicherzustellen, da es der wahrscheinlichste Haftungsfall für die Geschäftsleitung in der Krise ist.
Erweiterte Hinweis- und Warnpflichten des Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers usw.
Im Rahmen der Krisenfrüherkennung treffen Wirtschaftsprüfer und Steuerberater ausdrücklich erweiterte Hinweis- und Warnpflichten. Diese müssen im Rahmen der Abschlusserstellung ausdrücklich auf mögliche Insolvenzgründe hinweisen. Schon zur eigenen Absicherung der Berater werden ausdrückliche Hinweise erfolgen. Für die Geschäftsleitung folgt hieraus ein erhöhter Handlungsdruck.
Fazit: Haftungsfallen durch rechtzeitige Reaktion ausschließen
Die aktuelle Wirtschaftskrise stellt an die Geschäftsleitung kurzfristig enorme Herausforderungen. Die Geschäftsleitung muss Prioritäten zur Krisenbewältigung setzen, geeignete Gegenmaßnahmen treffen und zugleich Haftungsfallen vermeiden. Reagiert die Geschäftsleitung rechtzeitig, besonnen und gut beraten auf die Krise, lassen sich persönliche Haftungsrisiken weitestgehend ausschließen.