Artikel erschienen am 10.01.2025
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Wirtschaftsstrafverfahren

Warum braucht heutzutage jedes Unternehmen „Compliance“ und jeder Unternehmer eine Spezialrechtsschutz für Strafrecht?

Von Prof. Dr. iur. Michael Nagel, Hannover | Clemens Anger, Hannover

Foto: Adobe Stock/ YURIMA

In Zeiten von Finanzkrisen, die durch einen Rückgang der Vermögenswerte und der Zahlungsunfähigkeit zahlreicher Unternehmen gekennzeichnet sind, in denen allgemeine Verunsicherungen auf dem Markt herrschen, steigt das Risiko für jeden im Wettbewerb Tätigen, im Nachhinein sich als falsch herausstellende Entscheidungen getroffen zu haben. Hinzutreten sich durch Digitalisierung und KI verändernde Arbeitswelten, in denen es noch keine hinreichenden Erfahrungen gibt. Unternehmerische Entscheidungen ohne begleitende anwaltliche Beratung und Expertise sind risikobehafteter denn je. Prävention hat im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts daher Hochkonjunktur. Strafrechtlichen Risiken infolge fehlender sicherer äußerer Rahmenbedingungen muss deshalb unternehmensintern entgegengewirkt werden.

Haftung als Geschäftsführer, Vorstand oder Betriebsleiter setzt kein eigenes Handeln voraus

Ein Unternehmensstrafrecht haben wir zwar (noch) nicht. Die Zugriffsmöglichkeiten des Staates über die Verhängung unternehmensbezogener hoher Geldbußen aber seit jeher. Die bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit des Betriebsinhabers als Geschäftsherr für Zuwiderhandlungen beginnt dabei bereits, wenn diese bei Einhaltung einer „gehörigen Aufsicht“ in einem Betrieb verhindert oder auch nur wesentlich erschwert worden wären. Die Anforderungen an eine „gehörige Aufsicht“ sind umso höher, je größer in einem Betrieb der arbeitsteilige Einsatz von Mitarbeitern und von digitalisierten Arbeits- und Herstellungsabläufen ist. Erst eine Aufsichtspflichtverletzung ermöglicht aber eine Sanktionierung des Unternehmens selbst, wobei insoweit alle Organe, Vertreter oder spezielle Beauftragte dem Inhaber gleichstellt werden. In welchem Umfang Aufsichtspflichten bestehen, hängt hingegen von den Umständen des Einzelfalls und den tatsächlichen Verhältnissen ab. Diese Haftungsrisiken für die Geschäftsführung und über diese für das Unternehmen bedingen, sich nicht vor dem Aufwand der Implementierung eines ausreichenden Compliance-Systems zur Gewährleistung der „gehörigen Aufsicht“ zu scheuen. Denn ob ein Bußgeld verhängt wird, steht grundsätzlich im Ermessen der Behörde. Das Gleiche gilt für die Höhe des Bußgeldes. Ein eingerichtetes und funktionierendes Compliance-Programm wird in der Praxis stets im Rahmen dieser Ermessensentscheidungen (mildernd) berücksichtigt. Auch können Kosten interner Ermittlungen bei der Bemessung eines Abschöpfungs- und Geldbussenbetrags angerechnet werden. Schließlich besteht in den Fällen fehlenden Ermessens die Möglichkeit, sich auf eine unbillige Härte zu berufen, sofern das Unternehmen ein effektives Compliance-System implementiert hat. Die positiven Folgen auf den Verlauf eines straf- oder bußgeldrechtlichen Ermittlungsverfahrens sind folglich enorm.

Ein „Anfangsverdacht“ ist schnell in der Welt – mit teils unabsehbaren Folgen

In Zeiten eines harten Wettbewerbs, in denen um Markanteile, Kunden und Gewinne gekämpft werden muss und viele kleinere und mittelständische Betriebe und Unternehmen dem dadurch entstehenden Preisdruck kaum standhalten können, häufen sich nicht nur mangels hinreichend liquider Mittel Fälle, in denen die Sozialversicherungsbeiträge für MitarbeiterInnen tatsächlich nicht oder nicht rechtzeitig gezahlt oder Steuern hinterzogen werden. In solchen Zeiten wird schnell auch jedes Mittel recht, einen unliebsamen Konkurrenten loszuwerden. Es stellt heute keine Herausforderung mehr dar, eine Anzeige
anonym zu schalten und dadurch Ermittlungen auszulösen. In einer medial gelenkten Gesellschaft wird dieser Anzeige durch ein oder mehrere Anrufe eines interessierten Journalisten bei den Strafverfolgungsbehörden Nachdruck verliehen. Die rechtlichen Grenzen zulässiger Verdachtsberichtserstattung und insoweit insbesondere einer identifizierenden Berichterstattung sind in Anbetracht der „Neuen Medien“ praktisch häufig ohne Relevanz und können den Fokus der Ermittlungsbehörden auf bestimmte Unternehmen oder wirtschaftlich Tätige in der Öffentlichkeit nicht verhindern. Die unverhältnismäßigen Folgen medial zu frühzeitiger Berichterstattungen über ein möglicherweise strafrechtlich erhebliches Verhalten werden zwar heute schon in Schulbüchern thematisiert, hindern solche Fälle aber dennoch nicht.

Hinzutritt das Risiko voreiliger Sicherung nur möglicherweise inkriminierter Vermögenswerte, insbesondere der „Einfrierung“ der Konten und der Sicherstellung weiteren Vermögens. Dazu reicht ein „einfacher Anfangsverdacht“. Derartig einschneidende Maßnahmen erfolgen in der Regel parallel zu einer Durchsuchung, die allein durch das häufig aufgewandte Polizeiaufgebot unmittelbare Öffentlichkeit erzeugt. Spätestens ab diesem Zeitpunkt ist in vielen Fällen nicht nur die öffentliche Aufmerksamkeit gewiss, sondern auch eine gute anwaltliche Vertretung unabdingbar. Strafrechtliche Ermittlungsverfahren können trotz der viel beschworenen Unschuldsvermutung nicht nur unangenehm sein, sondern schnell existenzbedrohend wirken.

Spezialisierte anwaltliche Vertretung unabdingbar – Strafverfahren folgen speziellen Grundsätzen

Wirtschaftsstrafrechtliche Verfahren betreffen in der Regel umfangreiche wirtschaftliche und finanzielle Sachverhalte, die ein tiefgreifendes Wissen erfordern, um diese angemessen bearbeiten zu können. In Strafverfahren ist die Wahrheitsermittlungspflicht der Strafverfolgungsbehörden zu beachten. Tatsächlich geht es insoweit „nur“ um eine strafprozessuale Feststellung tatsächlicher Geschehnisse äußerer und innerer Natur, auf die ein Strafgesetz angewendet werden kann. Die ermittelte „Wahrheit“ beruht dann auf einer strafprozessualen Gewichtung gewonnener Tatsachen sowie deren Beweisen. Komplexe Lebenssachverhalte des Wirtschaftslebens erfordern daher nicht nur einen enormen Ermittlungsaufwand, die gewonnenen Erkenntnisse können auch unterschiedlichen Deutungen und Schlussfolgerungen unterliegen. Es liegt deshalb auf der Hand, dass versierte Strafverteidigung bereits frühzeitig auf strafprozessuale Ermittlungen Einfluss nehmen muss, um die damit verbundenen Belastungen und das Risiko „fehlerhafter Schlussfolgerungen“ abzumildern. Denn was ist wahr und passiert, wenn die Strafverfolgungsbehörden zu anderen, den Erinnerungen des Unternehmers entgegenstehenden strafprozessualen Schlüssen bzw. Feststellungen gelangen? Die Erfahrung vieler unserer Mandanten als Verantwortliche eines Unternehmens ist der Verlust ihres bis dahin ungebrochenen Glaubens an die deutsche Justiz, doch hilft das wenig. Wahrheitssuche im Strafprozess ist schwierig und ermöglicht in vielen Fällen sogar den Rückgriff auf „Schätzungen“, die nichts mit der im Steuerrecht möglichen „tatsächlichen Verständigung“ gemein haben. Viele rechtlich zu beachtende Normen und höchstrichterliche Entscheidungen entziehen sich einer praktischen Nachvollziehbarkeit für den juristischen Laien.

Nur ein Rückgriff auf spezialisierte StrafverteidigerInnen sichert deshalb eine kompetente anwaltliche Vertretung. StrafverteidigerInnen in Wirtschaftsstrafsachen rechnen aber grundsätzlich nur nach Stundensätzen ab. Deshalb wird von einer „Zweiklassenjustiz“ im Wirtschaftsleben gesprochen. Dieser kann aber entgegengewirkt werden. Eine für ein Unternehmen und deren Mitarbeiter abgeschlossene erweiterte Strafrechtsschutzversicherung akzeptiert auf den jeweiligen Fall angemessene Stundensätze. Darüber hinaus sollte jedes Vorstands-, Aufsichtsratsmitglied oder anderweitig in der Geschäftsführung eines Unternehmens Tätige darauf drängen, dass für ihn/sie eine D&O-Versicherung abgeschlossen wird. Eben, weil es realiter „nur“ auf eine prozessuale Wahrheit ankommt.

Unser Rat

Dem nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts allgemeinen Lebensrisikos, Beschuldigter strafrechtlicher Ermittlungen zu werden, ist im Wirtschaftsleben durch effektive Compliance-Maßnahmen und die Sicherung kompetenter anwaltlicher Vertretung entgegenzuwirken. Dazu zählt unter finanziellen Risikoaspekten auch der Abschluss spezieller Versicherungen.

 

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