Artikel erschienen am 01.03.2014
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Die Kapitalflussrechnung

Ein Plädoyer für mehr Cashflow-Orientierung im Mittelstand

Von Dipl.-Kfm. Jürgen Richter, Hamburg

Der Jahresabschluss soll nach der Vorstellung des Gesetzgebers ein möglichst realistisches Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage vermitteln. Hierfür sieht das Handelsgesetzbuch in der Regel die Bilanz, die Gewinn- und Verlustrechnung sowie den Anhang vor. Wie es um die Finanzlage bestellt ist, kann nur mittelbar, d. h. aus den Informationen, die der Bilanz und dem Anhang entnommen werden können, abgeleitet werden. Die Pflicht zur Erstellung einer Kapitalflussrechnung besteht vor allem nur im Rahmen der Aufstellung eines Konzernabschlusses.

Defizite im Mittelstand

Die fehlende grundsätzliche Pflicht, eine Kapitalflussrechnung aufzustellen, hat im Mittelstand weitgehend zur Folge, dass dieses Instrument der Darstellung von Zahlungsströmen auch für die eigenen Analysen nicht oder nur unzureichend verwandt wird. Beachtenswert hierbei ist, dass die Cash-Betrachtung spätestens dann an Bedeutung gewinnt, wenn es – auch für die Haftung der Geschäftsführung – ernst wird: bei der Beurteilung der Unternehmensfortführung (Going-Concern-Frage), insbesondere bei der Feststellung drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit. Hier dominiert die reine Liquiditätsvorschau im Rahmen einer Fortbestehensprognose diese Fragestellungen. Auch seitens der Kreditinstitute ist festzustellen, dass deren Fokus bei der Jahresabschlussanalyse auf der Beurteilung der Fähigkeit der vollständigen Bedienung des Kapitaldienstes (Zins und Tilgung) und damit der Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz während der Kreditlaufzeit liegt. Zudem wird das Vertrauen in die Geschäftsführung schwinden, wenn sich ein Liquiditätsbedarf vermeintlich plötzlich ergeben hat und eine Kreditlinienausweitung erfordert.

Kann die zukunftsorientierte Liquiditätsbetrachtung als Kür angesehen werden, liegt die Pflicht in der Aufstellung und sachgerechten Interpretation der vergangenheitsbezogenen Kapitalflussrechnung. Der Charme dieser Liquiditätsrechnung liegt dabei auf der Hand: Sie ist unabhängig von Bewertungs- und damit von derartigen Ermessenspielräumen, die u. a. nicht nur im international verbreiteten Bewertungskonzept des Fair Values bestehen, sondern auch mit dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz verstärkt Eingang ins HGB gefunden haben.

Aufbau und Funktionsweise der Kapitalflussrechnung

Regeln und Gliederungsempfehlungen zur Kapitalflussrechnung finden sich im Deutschen Rechnungslegungsstandard Nr. 2 bzw. im neuen Entwurf Nr. 28 des Deutschen Rechnungslegungs Standards Committee e. V. (DRSC), Berlin (www.drsc.de). Ziel ist die Beantwortung der Frage, warum sich die liquiden Finanzmittel (sog. Finanzmittelfonds), die nur liquide Mittel (Regelfall) und Zahlungsmitteläquivalente enthalten dürfen, im Geschäftsjahr verändert haben. Sämtliche diesbezüglichen Cash-Zu- oder Abflüsse werden hierbei in die drei Kategorien Cashflow aus der laufenden Geschäftstätigkeit (operativer Cashflow), Cashflow aus der Investitionstätigkeit sowie Cashflow aus der Finanzierungstätigkeit eingeteilt. Da eine Einzelbeurteilung aller Kassenbestands- und Bankkontenbewegungen nicht praktikabel ist, wird die Kapitalflussrechnung indirekt aus den Bilanzpostenveränderungen abgeleitet und anschließend um nicht zahlungswirksame Bewegungen bereinigt. Dieser Vorgehensweise liegt der Gedanke zugrunde, dass aufgrund der doppelten Buchhaltung sämtliche Cash-Bewegungen einen Bilanzposten als Gegenposten haben.

Während die Kategorien vieler Bilanzpostenveränderungen, wie z. B. der Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten (Finanzierungstätigkeit) oder Anlagevermögen (Investitionstätigkeit) leicht bestimmbar sind, erfordern andere Postenveränderungen detailliertere Analysen nach dem Grund der Veränderung, wie z. B. beim Eigenkapital. Hier können sich Veränderungen aus der laufenden Geschäftstätigkeit (Jahresergebnis) oder aus der Finanzierungstätigkeit (Gewinnausschüttungen, Kapitalerhöhungen) begründen. Bestimmt man also – mit Ausnahme des Finanzmittelfonds – die Kategorien sämtlicher Bilanzpostenveränderungen, so erhält man im Ergebnis die betragsmäßige Aufteilung der Veränderung des Finanzmittelfonds in diese drei Kategorien.

Anhand einer derartigen Kapitalflussrechnung sollten nun durch die Geschäftsführung u. a. nachfolgende Fragen zu beantworten sein – Bankanalysten zumindest stellen intern diese Fragen:

  • Kann der Kapitaldienst aus Zins- und Tilgungsleistungen aus dem operativen Cashflow bedient werden?
  • Erwirtschaftet die Gesellschaft ausreichend Cash, um die erforderlichen Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen durchführen zu können, oder wird aus Anlagenverkäufen Cash zum Stopfen von Liquiditätslücken generiert?
  • Werden durch die Kreditausweitung Investitionen oder Verluste finanziert?
  • Erfolgt die Gewinnausschüttung aus der freien Liquidität (Saldo aus operativem Cashflow und Cashflow aus der Investitionstätigkeit) oder aus der Kreditaufnahme?

Zinsen, Ertragsteuern und Inter-Company-Bewegungen in der Kapitalflussrechnung

In der Praxis stößt man bei der Beurteilung der drei Cashflow-Kategorien auf folgende typische Problembereiche:
Sind die geleisteten Zinszahlungen dem operativen Bereich oder dem Finanzierungsbereich zuzuordnen?
Wie stark ist der Cashflow aus der laufenden Geschäftstätigkeit durch Ertragsteuerzahlungen beeinflusst?
Sind die Zahlungsströme im Konzern Ausfluss laufender Geschäftstätigkeit oder Ergebnis der Konzernfinanzierung?

Die Frage der Zuordnung der geleisteten Zinszahlungen sowie der Ertragsteuerzahlungen hat der DRSC klar beantwortet. Ertragsteuerbedingte Zahlungen sind grundsätzlich der laufenden Geschäftstätigkeit zuzuordnen, jedoch gesondert in der Kapitalflussrechnung selbst oder im Anhang anzugeben. Bzgl. der Zuordnung der geleisteten Zinszahlungen schlägt das DRSC in seinem neuen Entwurf Nr. 28 als Regel vor, diese dem Finanzierungsbereich zuzuordnen, um damit den Charakter der Zinszahlungen als Finanzierungskosten besser auszudrücken. In dem derzeit noch gültigen Standard Nr. 2 werden diese Zahlungsströme der laufenden Geschäftstätigkeit zugewiesen. In beiden Standards müssen sie jedoch gesondert in der Kapitalflussrechnung selbst oder im Anhang angegeben werden.

Inter-Company-Beziehungen (Forderungen gegen bzw. Verbindlichkeiten gegenüber verbundenen Unternehmen) können sich auf Lieferungen und Leistungen begründen, sodass die entsprechenden Zahlungsströme der laufenden Geschäftstätigkeit zuzuordnen sind. Andererseits resultieren Zahlungsströme aufgrund bestehender Cash-Pooling-Vereinbarungen oder direkter Darlehensgewährungen aus der Finanzierungstätigkeit (aus Sicht der finanzierten Gesellschaft) bzw. aus der Investitionstätigkeit (aus Sicht der finanzierenden Gesellschaft). Bei der Analyse reicht hierbei allein der Blick auf die Bilanzpostenveränderung nicht mehr aus, vielmehr sind die Veränderungen auf Kontenebene zu betrachten.

Interpretation der Kapitalflussrechnung

Nach dem Gliederungsmuster des DRSC werden die Zahlungsmittelflüsse der Kategorien Investitions- und Finanzierungstätigkeit direkt dargestellt, sodass Aus- und Einzahlungen z. B. aufgrund von Investitionen in die Sachanlagen, aus Kreditaufnahmen oder auch Gewinnausschüttungen direkt aus der Kapitalflussrechnung ablesbar sind.

Demgegenüber wird der operative Cashflow nicht nur indirekt ermittelt, sondern auch indirekt dargestellt, indem ausgehend vom Periodenergebnis nicht zahlungswirksame Aufwendungen und Erträge korrigiert sowie Bilanzpostenveränderungen, soweit sie nicht dem Investitions- oder Finanzierungsbereich zuzuordnen sind, hinzugerechnet bzw. abgezogen werden.

Dies hat zur Folge, dass sich der operative Cashflow einer intuitiven Interpretation entzieht und weitergehende Aufbereitungen erfordert. Eine übliche, jedoch nicht vom DRSC vorgesehene Aufbereitungsform des operativen Cashflows besteht in der Unterscheidung desselben in den operativen Cashflow aus der ergebniswirksamen Geschäftstätigkeit (klassische Cashflow-Kennziffer) und in den operativen Cashflow aus der ergebnisneutralen Geschäftstätigkeit (Cashflow aus der Veränderung des Working Capital).

Diese Unterscheidung ist insoweit interessant, als sie erkennbar macht, ob der etwaig positive operative Cashflow im abgelaufenen Jahr erwirtschaftet wurde oder beispielsweise lediglich das Ergebnis von im Vorjahr, durch den Aufbau von Working Capital, geparkten Liquiditätsreserven ist, die im Berichtsjahr abgebaut wurden. Umgekehrt wird hieraus aber auch ein aktuell negativer operativer Cashflow verständlich, der vor allem aus dem Aufbau von Working Capital, z. B. im Projektgeschäft, resultiert. Nachhaltigkeit erfährt diese Kennzahl, wie grundsätzlich alle Kennzahlen, erst im mehrjährigen Periodenvergleich.

Cashflow bei Financial Covenants

Die Kenntnis um die Zusammenhänge einer Kapitalflussrechnung erscheint nicht nur vor dem Hintergrund der Gewinnung von Informationen als Entscheidungsgrundlagen bedeutsam. Die Einbindung von Cashflow-bezogenen Kennziffern (z. B. Debt Service Cover Ratio = Free Cashflow/Kapitaldienst) in den Financial-Covenants-Regelungen üblicher Kreditverträge zwingt den kaufmännisch Verantwortlichen zu einem derartigen Verständnis, um nicht vermeidbare, konditionsverschlechternde Covenant-Brüche herbeizuführen. Im einfachsten Fall führt eben die vordergründig positiv erscheinende vorzeitige Begleichung von Lieferan-tenverbindlichkeiten kurz vor Ende des Geschäftsjahres zu einer Verschlechterung des operativen Cashflows und damit eventuell zu einem Bruch entsprechender Covenants.

Pflicht zum Beobachten der Finanzlage in der Krise

Noch bedeutsamer ist das Verständnis um die Liquiditätsrechnung in einer Krisensituation. Aus den allgemeinen Sorgfaltspflichten des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters leitet die Rechtsprechung die Pflicht der gesetzlichen Vertreter ab, die Lage des Unternehmens laufend auf Hinweise auf eine Insolvenzgefahr zu beo-bachten und bei Erkennen derselben ohne schuldhaftes Zögern zu handeln. Um das Risiko einer möglichen Haftung wegen Insolvenzverschleppung zu reduzieren, sollte die Geschäftsführung einen Nachweis erbringen können, dass sie u. a. eben die Lage des Unternehmens laufend beo-bachtet hat und – zukunftsbezogen – die Finanzplanung auf Basis plausibler, d. h. überwiegend wahrscheinlicher Annahmen erstellt hat.

Ableitung der insolvenzrechtlichen Fortbestehensprognose aus dem Finanzplan

Die insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose zielt ausschließlich darauf ab, eine Aussage darüber zu treffen, ob vor dem Hintergrund der getroffenen Annahmen im Prognosezeitraum, d. h. dem aktuell laufenden und dem nachfolgenden Geschäftsjahr, die Einzahlungen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Auszahlungen decken. Zur Sicherung der Liquidität geplante Maßnahmen, wie z. B. Darlehenszuführungen, können mit ihren Liquiditätseffekten in die Planung einbezogen werden, wenn sie, so das Institut der Wirtschaftsprüfer e. V. (IDW), hinreichend konkretisiert sind und deren Umsetzung hinreichend sicher erwartet werden kann.

Fazit

Die liquiditätsorientierte Rechnungslegung, wie sie in der Kapitalflussrechnung sowie zukunftsbezogen in der Finanzplanung zum Ausdruck kommt, hat, zumindest in der Beziehung zu Kreditinstituten und zum Insolvenzrecht, die Gewinn- und Verlustrechnung abgelöst. Das Missachten entsprechender Erkenntnisse kann über infrage gestellte Kreditlinienprolongationen bis zur Haftung wegen etwaiger Insolvenzverschleppung weitreichende Folgen für das Unternehmen und die gesetzlichen Vertreter selbst haben.

Das bewertungsfreie und damit nahezu willkürfreie Rechenwerk gibt bei sachgerechter Zuordnung der Zahlungsströme und deren Interpretation verlässliche Informationen über die Cashflow-Ströme im Unternehmen.

Das Verständnis um die Funktionsweise einer Kapitalflussrechnung ist Basis für die Einrichtung einer integrierten Finanzplanung, in der die Liquiditätsplanung rechtzeitig Finanzierungslücken identifiziert und entsprechenden Handlungsbedarf erst erkenntlich macht.

Ihr Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater hilft Ihnen bei der Einrichtung dieser Cashflow-orientierten Rechnungslegung.

Foto: panthermedia/radiantskies

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