Hat die Einführung der Abgeltungsteuer Aktienkurse beeinflusst?
Von Prof. Dr. rer. pol. Sebastian Eichfelder, Magdeburg | Mona Lau, M.Sc., BerlinEinleitung
Die ökonomische Theorie macht deutlich, dass Steuern nicht nur das Investitions- und Finanzierungsverhalten von Unternehmen beeinflussen, sondern auch Preise verzerren können. Hintergrund dieser Überlegung ist, dass Steuern mit dem Preis auf die Nachfrage überwälzt werden können, wie das etwa im Rahmen der Umsatzsteuer der Fall ist. Aus dieser Überlegung folgt, dass höhere Steuern auf Kapitalerträge einer bestimmten Art von Wertpapieren (z. B. Aktien) den Wert dieser Papiere aus Anlegerperspektive mindern und daher sowohl die Nachfrage nach diesen Papieren als auch deren Preis reduzieren können.
Dieser Zusammenhang wird von zahlreichen empirischen Untersuchungen bestätigt (Blouin, Hail und Yetman [2009] sowie Dai et al. [2008] mit weiteren Nachweisen). Ein potenzieller Schwachpunkt dieser Literatur liegt darin begründet, dass die vorhandenen Studien weitgehend vollständige Informationen der Marktteilnehmer über die steuerlichen Vorschriften voraussetzen. Damit wird vernachlässigt, dass steuerliche Vorschriften komplex sind und sich Steuern nur bei hinreichender Wahrnehmung durch die Marktteilnehmer auf Handelsaktivitäten auswirken dürften. In diesem Zusammenhang hat etwa der Beitrag von Chetty, Looney und Kroft (2009) unter dem Stichwort Salienz (= Auffälligkeit) der Besteuerung für große wissenschaftliche Aufmerksamkeit gesorgt.
Der vorliegende Beitrag konzentriert sich auf die Fragestellung, ob nicht allein die Ankündigung steuerlicher Regelungen (= vollständige Information), sondern auch der öffentliche Diskurs bei Einführung einer Regelung einen erheblichen Einfluss auf die Kursentwicklung und das Handelsvolumen an Börsen entwickeln kann. Die vorhandenen Ergebnisse deuten darauf hin, dass ein erheblicher Anteil der Anleger erst sehr spät auf die Einführung der Abgeltungsteuer reagiert hat und für diese späte Reaktion einen erheblichen Aufpreis zahlen musste.
Einführung der Abgeltungsteuer
Die Abgeltungsteuer wurde als Bestandteil der Unternehmensteuerreform 2008/2009 eingeführt, die insbesondere die Steuerbelastung deutscher Unternehmen senken sollte. Im Gegensatz zu den übrigen Maßnahmen des Reformpaketes wurde die Abgeltungsteuer nicht zur Jahreswende 2007/2008, sondern erst zum 01.01.2009 eingeführt (s. Abb. 1).
Abb. 1: Ablauf der Unternehmenssteuerreform 2008/2009
Die 2009 eingeführte Abgeltungsteuer beinhaltet mehrere Maßnahmen. Diese umfassen insbesondere einen reduzierten Einkommensteuersatz von 25 % (inklusive Solidaritätszuschlag 26,38 %) auf Einkünfte aus Kapitalvermögen (1) sowie eine generelle Besteuerung von Kursgewinnen aus Wertpapieren (2). Während die erste Maßnahme zu einer Senkung der Steuerbelastung auf Zinseinkünfte führte, folgte aus der zweiten Maßnahme eine erhebliche Erhöhung der Steuerbelastung auf Aktienkursgewinne, die nach der vorherigen Rechtslage bei einer Haltedauer von mindestens einem Jahr steuerfrei waren. Von dieser Kursgewinnbesteuerung waren ausschließlich Aktien betroffen, die nach der Einführung der Abgeltungsteuer zum 01.01.2009 erworben wurden. Damit schuf die Abgeltungsteuer einen starken steuerlichen Anreiz, Aktien noch vor dem 01.01.2009 zu erwerben.
Diese Informationen waren bereits lange vor Einführung der Abgeltungsteuer bekannt (s. Abb. 1). Bei hinreichender Kenntnis der Anleger sowie einer effizienten Informationsverarbeitung durch die Kapitalmärkte hätte die Abgeltungsteuer daher bereits vor ihrem Einführungszeitpunkt in die vorhandenen Aktienkurse eingepreist werden müssen (so etwa Fama 1998). Somit sollten sich zum Zeitpunkt der Einführung der Abgeltungsteuer keine unvorhergesehenen Kursbewegungen feststellen lassen. Empirische Befragungen deuten allerdings darauf hin, dass im Herbst des Jahres 2008 noch ein erheblicher Anteil der deutschen Privatanleger unzureichend über die Abgeltungsteuer informiert war und sich erst gegen Jahresende detailliert hiermit beschäftigen wollte. Dementsprechend wurde die Einführung der Abgeltungsteuer stark in den Medien diskutiert, was das Interesse der Anleger an einem Aktienerwerb vor der Jahreswende 2008/2009 zusätzlich gesteigert haben dürfte.
Empirische Analyse
Aufgrund der erläuterten Hintergründe wurde empirisch untersucht, ob sich an der Jahreswende 2008/2009 ungewöhnliche Handels- und Kursbewegungen feststellen lassen. Als Datenmaterial wurde auf am deutschen Kapitalmarkt gehandelte Aktien der Datenbank DATASTREAM zurückgegriffen, wobei als Kontrollgruppe der französische und der britische Aktienmarkt sowie als Vergleichszeiträume die Jahreswende 2007/2008 und die Jahreswende 2009/2010 verwendet wurden. Mit diesen Daten wurde eine lineare Regression mit Vergleichsgruppen und -zeiträumen durchgeführt. Eine Erläuterung der Methodik findet sich bei Eichfelder und Lau (2014). Die Ergebnisse zu den durchschnittlichen abnormalen Kursbewegungen der 30 letzten Handelstage in 2008 und der 30 ersten Handelstage in 2009 sind grafisch in Abb. 2 dargestellt. Dabei werden statistisch erklärbare (= normale) Kursabweichungen zwischen den unterschiedlichen Vergleichsgruppen und -zeiträumen im Rahmen der Regressionsanalyse bereinigt.
Abb. 2: Bereinigte Aktienkurse 2008/2009
Es zeigt sich, dass die bereinigten Aktienkurse zwischen der Untersuchungsgruppe und der Kontrollgruppe annähernd parallel verlaufen. Dies spricht dafür, dass die Kontrollgruppe gut für Vergleichszwecke geeignet ist. Eine signifikante Abweichung ergibt sich allerdings in den letzten Handelstagen des Jahres 2008. Demnach steigen die deutschen Aktien zunächst stark über das Niveau der Kontrollgruppe (maximale Abweichung von ca. 10,6 % am letzten Handelstag nach aktuellen Ergebnissen), um dann nach der Jahreswende wieder auf deren Niveau zurückzufallen. Entsprechend zu diesem Resultat zeigt sich auch ein unerwarteter Anstieg der Handelsvolumina und der Tagesrenditen am Jahresende 2008 (aufgrund von Platzgründen nicht detailliert dargestellt).
Interpretation und Implikationen
Unsere Ergebnisse sprechen dafür, dass die Einführung der Abgeltungsteuer zur Jahreswende 2008/2009 zu einem temporären Anstieg der Aktienkurse von bis zu 10,6 % am letzten Handelstag 2008 sowie einem Anstieg des Handelsvolumens von 152 % (aktuelle Berechnungen) in den letzten beiden Handelstagen des Jahres 2008 geführt hat. Diese Ergebnisse erscheinen überraschend, wenn von einer vollständigen Information der Kapitalanleger über die Abgeltungsteuer (deren Einführung bereits im Jahr 2007 angekündigt worden war) sowie einer effizienten Informationsverarbeitung an Kapitalmärkten ausgegangen wird.
Allerdings zeigen Befragungsergebnisse, dass eine erhebliche Anzahl an potenziellen Anlegern Ende 2008 noch unzureichend über die Abgeltungsteuer informiert war. In Verbindung mit einer umfassenden Debatte dieses Themas in Tages- und Fachzeitschriften Ende 2008 bietet dies einen Erklärungsansatz, weshalb es – trotz der bereits frühzeitig vorliegenden Informationen über diese Steuer – im Zuge ihrer Einführung zu erheblichen Marktreaktionen kommen konnte. Die Anleger verzögern somit zunächst die Anpassung ihres Portfolios bis zu einem Zeitpunkt, in dem diese Entscheidung dringend wird (Einführungszeitpunkt der Abgeltungsteuer).
Die geballte Anpassung von Portfolios durch eine Vielzahl von Anlegern (Herdenverhalten) führt zu einer sprunghaften Zunahme der Handelsvolumina und Kurswerte. Im Falle der Abgeltungsteuer haben die Anleger für dieses Verhalten einen erheblichen Aufpreis von bis zu 10,6 % im Verhältnis zur Kontrollgruppe gezahlt. Von diesem – im Verhältnis zu einem frühzeitigeren Erwerb der Aktien suboptimalen – Verhalten dürften gut informierte institutionelle Anleger profitiert haben, die von der Einführung der nur für Privatanleger relevanten Abgeltungsteuer nicht betroffen waren und den starken Kursanstieg im Dezember 2008 zur Erzielung von Handelsgewinnen nutzen konnten.
Aus den vorhandenen Ergebnissen lassen sich interessante Implikationen für die Kapitalmarkttheorie ableiten. Es wird deutlich, dass Kapitalmärkte nicht in jeder Situation Informationen effizient verarbeiten müssen. Dies scheint etwa dann zu gelten, wenn relativ uninformierte Anleger durch ein ungewöhnliches Ereignis (Abgeltungsteuer) in ihren Anlageentscheidungen beeinflusst werden. Ein ähnliches Herdenverhalten dürfte auch in anderen Fallkonstellationen zu beobachten sein und verschafft dem Staat oder institutionellen Anlegern u. U. die Möglichkeit, Marktreaktionen gezielt zu beeinflussen.
Literaturhinweise
Blouin, J.-L., Hail, L., Yetman, M.-H. (2009), Capital gains taxes, pricing spreads, and arbitrage: Evidence from cross-listed firms in the U.S., in: The Accounting Review, Bd. 84, S. 1321-1361.
Chetty, R., Looney, A., Kroft, K. (2009), Salience and taxation: Theory and evidence, in: The American Economic Review, Bd. 99, S. 1145-1177.
Dai, Z., Maydew, E., Shackelford, D., Zhang, H. (2008), Capital gains taxes and asset prices: Capitalization or lock-in? in: The Journal of Finance, Bd. 63, S. 709-742.
Eichfelder, S., Lau, M. (2014), Capital gains taxes and asset prices: The impact of tax awareness and procrastination, Freie Universität Berlin, School of Business and Economics Discussion Paper (FACTS) No. 2014/17.
Fama, E.-F. (1998), Market efficiency, long-term returns, and behavioral finance, in: Journal of Financial Economics, Bd. 49, S. 283-306.