Artikel erschienen am 01.01.2012
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ESUG

Effizientere Sanierung durch mehr Gläubigerautonomie?

Von Dr. iur. Thorsten Fuest, Bielefeld | Dr. iur. Holger Theurich, Bielefeld

Am 27.10.2011 hat der Bundestag das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) beschlossen. Trotz anderslautender Empfehlung des Rechtsausschusses hat der Bundesrat von der Anrufung des Vermittlungsausschusses abgesehen und das Gesetz am 25.11.2011 gebilligt. Nach Ansicht von Bundes­justiz­ministerin Sabine Leutheusser-Schnarren­berger ermöglichen die nun zeitnah in Kraft tretenden Neuerungen leichtere und effektivere Unternehmens­sanierungen. Im Kern sind alle wesentlichen Modifikationen von der Bestrebung geprägt, die Gläubigerautonomie zu stärken. Insbesondere bei der Auswahl des Insolvenz­verwalters wird dies der Fall sein. Daneben soll das Insolvenz­plan­verfahren eine deutliche Straffung erfahren. Auch das in der bisherigen Praxis nahezu bedeutungslose Sanierungs­instrument der Eigenverwaltung wird vereinfacht.

Die weltweite Finanzmarktkrise hat nahezu keine Veränderung hervorgebracht, die heute als uneingeschränkt vorteilhaft gilt. Jedoch konnte sie zweifelsfrei das Bewusstsein dafür schärfen, dass gelegentlich auch gut geführte Unternehmen durch unvorhergesehene Ereignisse in eine Schieflage und somit in den Anwendungs­bereich der Insolvenzordnung geraten. Bereits das geltende deutsche Recht bietet für zahlungsunfähige, jedoch restruktu­rierungs­würdige Unternehmen eine große Zahl von Sanierungs­instrumenten an – man denke nur an die Möglichkeit des Insolvenzverwalters, sich von nachteiligen Verträgen zu lösen oder die Arbeitnehmerstruktur den veränderten Gegebenheiten anzupassen. Jedoch haben viele Regelungen, namentlich die des Planverfahrens und der Eigenverwaltung, augenscheinlich ein Imageproblem und spielen in der bisherigen Sanierungspraxis eine nur untergeordnete Rolle. Zudem hält sich die Tendenz, das Insolvenz­verfahren zum einen als letzte Lösung zu stigmatisieren und zum anderen die Sanierungswerkzeuge der englischen Rechtsordnung zu bevorzugen. Dies bringt neben dem Sonderproblem des „forum shopping“ die in der Praxis zu beklagende Neigung hervor, zur Gesundung von Wirtschaftseinheiten erforderliche Liquiditäts- und Vertrauensreserven schon im Vorfeld des Insolvenzantrages vollständig aufzuzehren. Gerade bei der in Sanierungsfällen besonders wertvollen Ressource „Zeit“ setzt das seit Inkrafttreten der Insolvenzordnung wohl umfangreichste Reformvorhaben des Gesetzgebers an. Dessen noch junge Geschichte ist rasch erzählt:

Die Bundestagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen nahm den wahrgenommenen Reformbedarf auf und brachte am 09.06.2010 einen entsprechenden Gesetzesantrag in die parlamentarische Debatte ein. Ein sodann in Umlauf gebrachter Diskussionsentwurf, welcher das Bundesministerium der Justiz (BMJ) als Urheber bezeichnete, von diesem jedoch nicht autorisiert war, forderte Wissenschaft und Praxis zu umfangreichen Stellungnahmen heraus. Ein fortentwickelter Referentenentwurf, zu dessen Urheberschaft sich das BMJ wiederum nicht offiziell bekannte, diente sodann als Grundlage eines Gesetzesentwurfes der Bundesregierung, welcher im März 2011 erstmals dem Bundesrat vorgelegt wurde. Inhaltlich trug das Vorhaben bereits zu dieser Zeit einer in Fachkreisen entbrannten Diskussion und ihren wesentlichen Strömungen Rechnung. Nach einer parlamentarischen Sachverständigenanhörung im Juni dieses Jahres konnten sich Bundestag und Bundesrat nun schneller als zunächst vermutet auf die endgültige Fassung des Reformgesetzes einigen.

Das jetzt beschlossene ESUG schreibt die Einsetzung eines vorläufigen Gläubiger­ausschusses bereits im Eröffnungsverfahren für mittelgroße Unternehmen zwingend vor. Die Frage, ab welcher Betriebsgröße die Neuregelung greifen soll, wurde intensiv und kontrovers diskutiert. Bei der nun umzusetzenden Fassung orientiert man sich an den Vorgaben des § 267 HGB, in denen mittelgroße Kapitalgesellschaften beschrieben werden. So hofft man, der Rechtsanwendung eine praktikable Lösung an die Hand zu geben, die den potentiell gegenläufigen Interessen gerecht wird – möglichst viele Anwendungsfälle auf der einen, effektives Bearbeiten eingehender Insolvenzanträge auf der anderen Seite. Die in Rede stehende Änderung wird somit nur einen Teil der künftigen Verfahren betreffen, es sei denn, Insolvenzrichter nehmen die ihnen vom Gesetzgeber eröffnete Option auf und bestellen auch dann verstärkt einen vorläufigen Gläubigerausschuss, wenn die neu zu definierende Mindestgröße unterschritten wird. Grundsätzlich kommt das Gremium dann nicht in Betracht, wenn der Geschäftsbetrieb des Schuldners eingestellt ist, die Einsetzung des vorläufigen Gläubiger­ausschusses im Hinblick auf die zu erwartende Insolvenzmasse unverhältnismäßig wäre oder die mit der Einsetzung verbundene Verzögerung zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage des Schuldners führen würde. In dem vorläufigen Ausschuss werden auch künftig die größten Gläubiger vertreten sein, namentlich also finanzierende Kreditin­stitute. Hervorzuheben ist die Beteiligung der Arbeitnehmer, und zwar unabhängig von der Frage des Gewichts ihrer im Verfahren geltend zu machenden Forderungen. Dem Schuldner ist vor diesem Hintergrund zu empfehlen, sich frühzeitig mit seinen Gläubigern abzustimmen, um den Insolvenzantrag ausreichend vorzubereiten und im Hinblick auf die stets anzustrebende Straffung des Verfahrens wichtige Weichen zu stellen.

Ein nach den vorgenannten Grundsätzen eingesetzter vorläufiger Gläubigerausschuss kann sich gemäß dem neuen § 56a InsO nicht nur zu denjenigen Anforderungen äußern, die an den künftigen Verwalter zu stellen sind. Er ist zudem befugt, eine konkrete Person vorzuschlagen. Da das Gericht von einem einstimmigen Vorschlag zur Person des Verwalters nur dann abweichen darf, wenn der Kandidat für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist, erfährt das Insolvenzverfahrensrecht eine nie dagewesene Stärkung der Gläubigerautonomie: Das zeitliche Stadium, in dem sich nach Ansicht vieler das Schicksal des gesamten Verfahrens entscheidet, ist zukünftig durch eine Verlagerung maßgeblicher Gestaltungsbefugnisse von den Gerichten auf die Gläubiger geprägt. Um nachteilige Verzögerungen zu vermeiden, wird den regelmäßig beteiligten Großgläubigern die Möglichkeit eingeräumt, beim Insolvenzgericht vorab die Bereitschaft zur Mitgliedschaft in Gläubigerausschüssen zu erklären und hierfür einen Ansprechpartner zu benennen. Die bisherige Praxis war im Hinblick auf eine derart qualifizierte Verfahrensteilhabe namentlich bei Insolvenzverfahren im Mittelstand von einer zurückhaltenden Bereitschaft geprägt. Im Zuge der Etablierung aller nun bevorstehenden Neuregelungen dürfte sich dies grundlegend ändern.

Während der nunmehr 13-jährigen Geschichte des Insolvenzrechts neuer Prägung spielte der Insolvenzplan gegenüber der übertragenden Sanierung eine stets untergeordnete Rolle. Um diesem Restruktu­rierungs­modus neues Leben einzuhauchen, führt der Gesetzgeber nun die Möglichkeit ein, Verbindlichkeiten in Gesellschaftsanteile umzuwandeln („Debt-Equity-Swaps“). Durch die Wandlung von Fremd- in Eigenkapital kann eine Überschuldung beseitigt werden. Zugleich erlöschen Zins- sowie Tilgungspflichten und Gläubiger erhalten die Chance, an künftigen Gewinnen des sanierten Unternehmens unmittelbar zu partizipieren. Die in der Praxis zu erwartenden Reibungen an der Schnittstelle zwischen Insolvenz- und Gesellschaftsrecht werfen eine Vielzahl von Fragen auf, die vermutlich zunächst Instanzgerichte und sodann wieder den Gesetzgeber beschäftigen werden. Als Beispiel seien Streitfragen bei der Bewertung ehemaliger Forderungen als Sacheinlage und bei der Zuordnung zum bilanziellen Eigenkapital genannt. Mit Interesse wird auch zu verfolgen sein, wie sich die neue Gesellschaftsstruktur auf künftige Entscheidungsprozesse im operativen Geschäft auswirkt. Vor dem Hintergrund vieler Unwägbarkeiten und angesichts der Tatsache, dass die Umwandlung von Schulden in Eigenkapital eine Zustimmung der betroffenen Gläubiger erfordert, prognostizieren zahlreiche Kritiker dieser Neuregelung keine Erfolgsgeschichte. Man wird sehen.

Ein weiteres Kernstück des Reformgesetzes ist die Einführung eines Schutz­schirm­verfahrens, welches bei einem Schuldner­antrag auf Eigenverwaltung eingeleitet wird. Hierdurch soll das betroffene Unternehmen nach amerikanischem Vorbild vor Vollstreckungsmaßnahmen geschützt werden, ohne durch die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters das Vertrauen in seine Handlungsfähigkeit zu gefährden. Die Gläubigerinteressen sind durch die Bestellung eines Sachwalters geschützt, dem umfassende Auskunfts- und Überwachungsrechte übertragen werden. Innerhalb von drei Monaten hat der Schuldner einen Insolvenzplan vorzulegen, der die Sanierung des Unternehmens regelt. Trotz der bleibenden Verfügungsbefugnis des organschaftlichen Vertreters steht dieses Verfahren unter einer insolvenzspezifischen Haube, welche die Rechte der Gesellschafter stark einschränkt. Insbesondere wird eine Abberufung der Geschäftsleitung nur noch möglich sein, wenn damit keine Nachteile für die Gläubiger verbunden sind und der Sachwalter im Einzelfall zustimmt. Um den Schutz dieses Verfahrensmodus zu erhalten, muss der Schuldner mit dem Antrag auf Eigenverwaltung die Bescheinigung einer vom späteren Sachwalter verschiedenen fachkundigen Person vorlegen, aus der sich ergibt, dass lediglich eine drohende Insolvenz, aber noch keine eingetretene Zahlungsunfähigkeit festzustellen ist. Zudem muss der Aussteller dieser Bescheinigung das Vorliegen von Sanierungschancen grundsätzlich bejahen. Der mit der Eigenverwaltung verbundene Schutzschirm steht und fällt jedoch mit dem Einvernehmen der Gläubiger. Zwar bedeutet die Kündigung der Kredite und die damit einhergehende Zahlungsunfähigkeit kein gesetzlich vorgeschriebenes Ende dieser Verfahrensart, aber eine Betriebsfortführung ohne Rückendeckung von Banken und Lieferanten ist kaum denkbar.

Die beschriebenen Änderungen der Insolvenzordnung sollen Unternehmenssanierungen effektiver gestalten und damit sowohl den Wirtschafts- als auch den Insolvenzstandort Deutschland stärken. Nehmen die beteiligten Kreise den Willen des Gesetzgebers auf, kann dies zu einer Besinnung auf das Gebot kooperativer Unternehmenssanierungen führen, an welchen vor allem die Gläubiger intensiver beteiligt wären als je zuvor. Die großen Wirtschaftskanzleien teilen diese Hoffnung und stellen sich schon heute auf einen höheren Beratungsbedarf ein.

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