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Chancen und Risiken der Eigenverwaltung

Von Manuel Sack, Braunschweig | Dipl.-iur., Dipl.-Im Maik Wedemeyer, Braunschweig

Seit dem Inkrafttreten des „Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen“ (ESUG) am 01.03.2012 ist eine geradezu inflationäre Zunahme von sogenannten Eigenverwaltungsverfahren festzustellen. Gerade prominente Fälle wie beispielsweise der Suhrkamp Verlag haben diese Verfahrensart, die in der Vergangenheit eher ein Schattendasein gefristet hat, in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt. Durch das ESUG wurde der Zugang zur Eigenverwaltung wesentlich erleichtert, um nach dem Willen des Gesetzgebers die Eintrittshürde ins Insolvenzverfahren zu verringern und so die frühzeitige/rechtzeitige Antragstellung zu fördern. Damit einhergegangen sind aber auch neue Verantwortlichkeiten und Risiken, derer sich die handelnden Personen bewusst sein sollten.

Bei der Eigenverwaltung ist zwischen zwei Varianten zu unterscheiden (wobei die nachstehenden Ausführungen für beide Ausformungen Geltung haben):

„Schutzschirmverfahren“

Das in § 270b InsO normierte sogenannte „Schutzschirmverfahren“ wurde durch das ESUG neu in die Insolvenzordnung eingefügt. Dieses kann der Schuldner beantragen, wenn zum Zeitpunkt der Antragstellung lediglich drohende Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung vorliegen und eine Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist. Dies hat der Schuldner durch eine dem Antrag beizufügende Bescheinigung einer in Insolvenzsachen erfahrenen Person zu belegen. Liegen die genannten Voraussetzungen vor, ordnet das Insolvenzgericht die vorläufige Eigenverwaltung an und setzt dem Schuldner eine Frist von maximal drei Monaten zur Vorlage eines Insolvenzplanes, um das Unternehmen zu sanieren.

Gleichzeitig bestellt das Insolvenzgericht einen vorläufigen Sachwalter, der den Schuldner während der Eigenverwaltung überwacht. Schlägt der Schuldner einen bestimmten Sachwalter vor, hat das Gericht diesem Vorschlag zu folgen, soweit dieser nicht für die Übernahme des Amtes ungeeignet ist. Das Insolvenzgericht kann die Befugnisse des vorläufigen Sachwalters unterschiedlich gestalten. Häufig wird von der Übertragung der Kassenführung (§ 275 InsO) Gebrauch gemacht. Das Recht zur Begründung von (Masse-)Verbindlichkeiten im Rahmen der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit steht regelmäßig weiter dem Schuldner zu.

Entgegen verbreiteter Missverständnisse handelt es sich auch beim „Schutzschirmverfahren“ um ein Insolvenzverfahren, das regelmäßig in eine Eröffnung mündet. Soweit fristgerecht ein Insolvenzplan vorgelegt werden kann, wird das Insolvenzgericht mit Insolvenz­eröffnung regelmäßig die Eigenverwaltung beibehalten.

Da die Geschäftsführung das Unternehmen und den Markt i. d. R. besser kennt als der Insolvenzverwalter, kann die Eigenverwaltung eine Sanierung befördern. Sie setzt aber ein im Kern sanierungsfähiges Unternehmen voraus.

Wesentliche Vorteile des Schutzschirmverfahrens werden unter anderem in der positiveren Außendarstellung (der Schuldner ist bei Antragstellung eben nicht zahlungsunfähig) sowie in der weitgehenden Einflussnahme auf die Person des (vorläufigen) Sachwalters gesehen. Die Erfahrungen seit Inkrafttreten des ESUG zeigen allerdings eine erhebliche Verunsicherung auf Kunden- und Lieferantenseite, die mit dem neuen Instrument noch nicht hinlänglich vertraut sind und in der Vergangenheit oftmals den mit erheblichen Kompetenzen ausgestatteten (vorläufigen) Insolvenzverwalter als neutralen Gewährsmann für eine rechtssichere Abwicklung betrachtet haben. Diesen Bedenken wird in der Praxis zunehmend durch die Hinzuziehung von in Insolvenzsachen erfahrenen Personen als Sanierungsgeschäftsführer begegnet.

Eigenverwaltung

Nach altem Recht konnte die Eigenverwaltung erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens angeordnet werden. Im Antragsverfahren hingegen war zwingend ein vorläufiger Insolvenzverwalter zu bestellen. Die mit der Eigenverwaltung erhoffte Außenwirkung wurde dementsprechend durch die zwingenden Vorgaben für das Antragsverfahren konterkariert. Die praktische Bedeutung der Eigenverwaltung war folglich in der Vergangenheit minimal.

Das neue Recht ermöglicht gemäß § 270a InsO nunmehr bereits im Antragsverfahren eine (vorläufige) Eigenverwaltung. Anders als im „Schutzschirmverfahren“ kann diese Verfahrensart auch bei bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit gewählt werden. Einem Vorschlag des Schuldners für die Person des Sachwalters muss das Gericht jedoch nicht folgen. Hier wird aber regelmäßig durch einen vorläufigen Gläubiger­ausschuss Einfluss auf die Sachwalterauswahl genommen. Ansonsten gelten die obigen Ausführungen zum „Schutzschirmverfahren“ auch für die (vorläufige) Eigenverwaltung.

Risiken für die eigenverwaltende Geschäftsführung

Weitgehend ungeklärt und gerichtlich noch nicht entschieden sind bislang mögliche Haftungsrisiken, denen sich die Beteiligten im Eigenverwaltungsverfahren aussetzen. Nach den Erfahrungen des Verfassers, der bereits mehrfach Eigenverwaltungsverfahren in unterschiedlicher Funktion begleitet hat, ist es geradezu erschütternd, mit welcher Blauäugigkeit teilweise versucht wird, durch das Eigenverwaltungsverfahren zu gehen.

Folgendes zur Klarstellung und Orientierung: Im Regelverfahren trägt der (vorläufige) Insolvenzverwalter die Verantwortung dafür, dass eine gesetzeskonforme und dem Zweck des Insolvenzverfahrens entsprechende Verwaltung erfolgt. In der Eigenverwaltung trifft diese Verantwortung – jenseits der Überwachungsfunktion des (vorläufigen) Sachwalters – den Schuldner selbst bzw. seine Organe. Mit Antragstellung findet also eine Zäsur statt: Der Schuldner bzw. seine Organe haben sich ab diesem Zeitpunkt an den Verfahrenszielen der InsO – also insbesondere der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung – zu orientieren.

Dass die Verfahrensziele der InsO dabei häufig im Widerstreit zu den Interessen der Gesellschafter stehen, ist offensichtlich. Rechtlich hat der Gesetzgeber dies durch die Regelung des § 276a InsO gelöst, in dem eine Einflussnahme von Gesellschaftern, Aufsichtsräten u. Ä. auf die Geschäftsleitung ausgeschlossen wird. Auch die Abberufung von Geschäftsführungsorganen, die pflichtgemäß die Gläubigerinteressen über die der Gesellschafter stellen, ist ohne Zustimmung des Sachwalters ausgeschlossen.

Schwierig wird es jedoch spätestens dann, wenn Geschäftsführung und Gesellschafter auch nur teilweise personenidentisch sind. Nach dem gesetzgeberischen Konzept muss auch der Gesellschafter-Geschäftsführer seine Gesellschafterinteressen hinter die der Gläubiger zurückstellen. Es ist offensichtlich, dass hier fast Unmögliches verlangt wird. Doch damit nicht genug. Die eigenverwaltende Geschäftsführung erhält mit Antragstellung Aufgaben zugewiesen, die im Regelverfahren der (vorläufige) Insolvenzverwalter übernimmt. Es bedarf keiner tiefergehenden Erläuterung, dass in der weit überwiegenden Zahl der Fälle die Personen in der Unternehmensleitung weder über die Ausbildung noch über die Erfahrung verfügen, um diesen sich kurzfristig stellenden Anforderungen gerecht zu werden. Die Folge sind kaum kalkulierbare Haftungsrisiken – und zwar sowohl zivil- als auch strafrechtlicher Natur.

Die Lösung für dieses Dilemma liegt auf der Hand. In nahezu allen professionell vorbereiteten Eigenverwaltungsverfahren rücken Insolvenzrechtsspezialisten, häufig sogar erfahrene Insolvenzverwalter, in die Geschäftsführung auf, um eine gesetzeskonforme Verwaltung zu gewährleisten und Haftungsgefahren von der bisherigen Geschäftsführung abzuhalten. Dass dies nicht zum „Nulltarif“ erfolgt, versteht sich von selbst. Der vermeintliche Kostenvorteil der Eigenverwaltung (der Sachwalter erhält eine deutlich geringere Vergütung als ein Insolvenzverwalter) kann so im schlimmsten Fall ins Gegenteil umschlagen.

Risiken für die Gesellschafter

Auch aus Gesellschaftersicht resultieren aus den Regelungen des ESUG neue Risiken. Ein wesentliches Hindernis bei Sanierungen war in der Vergangenheit die fehlende Zugriffsmöglichkeit der Gläubigergesamtheit auf die Gesellschaftsanteile an dem Rechtsträger des insolventen Unternehmens. Ein Insolvenzplan gegen den Willen der Gesellschafter war damit in der Ver­gangenheit praktisch ausgeschlossen. Das neue Recht ermöglicht hingegen in § 225a InsO die Durchführung von Kapitalmaßnahmen im Rahmen eines Insolvenzplanes bis hin zum sogenannten „debt equity swap“ (Umwandlung von Verbindlichkeiten in Gesellschaftsanteile) auch gegen den Willen von (Alt-)Gesellschaftern. In der Vergangenheit wurde für die Gesellschafter bestehendes Blockade-/Verhandlungspotenzial so deutlich reduziert. Verbunden mit der oben dargestellten Entkoppelung von Gesellschafterinteressen und den Pflichten der Geschäftsleitung ergeben sich aus Gesellschaftersicht bedenkliche Szenarien. So sind heute bereits erste Verfahren bekannt, deren wesentliches Ziel die Bereinigung/Neuordnung der Gesellschafterstruktur war. Denkbar sind auch Konstellationen, in denen Gesellschafter und Geschäftsleitung einvernehmlich bei Antragstellung einen gemeinsamen Sanierungsplan verfolgen, im Laufe des Verfahrens dieses Einvernehmen entfällt und die Sanierung ohne die Gesellschafter stattfindet, diese „ihr“ Unternehmen also verlieren.

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