Artikel erschienen am 06.01.2014
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Die übertragende Sanierung im Insolvenzverfahren

Insolvenzrecht, Sanierung, Insolvenzverfahren

Von Dr. iur. Holger Theurich, Bielefeld | Dr. iur. Thorsten Fuest, Bielefeld

Die aktuelle Wirtschaftslage spült nach wie vor eine Vielzahl substanzreicher Verfahren in den Anwendungsbereich der Insolvenzordnung. Die Charakteristik der aktuellen Krise liegt dabei in den inter-
nationalen Verflechtungen der Finanz- und Warenmärkte und führt im Ergebnis dazu, dass es wesentlich schwieriger geworden ist, finanzstarke, markterfahrene Investoren zu finden und maßgeschneiderte Fortführungslösungen für in Schieflage geratene Unternehmen zu entwickeln. Indes hat der Gesetzgeber der Fortführung des krisenbehafteten Unternehmens den Vorrang vor seiner Zerschlagung eingeräumt und dem vorläufigen Insolvenzverwalter mit § 21 InsO einen bunten Strauß von Sicherungsmaßnahmen an die Hand gegeben.

Mit der übertragenden Sanierung besteht neben dem Planverfahren und der Eigenverwaltung ein gesetzlich zwar nur rudimentär geregeltes Fortführungsinstrument, das in seiner Wirkung jedoch dem gesetzlichen Auftrag entspricht und wegen seiner Flexibilität in der Praxis besonders häufig eingesetzt wird.

Begriffsdefinition

Der Begriff Sanierung hat in den letzten Jahren vor allem im Zusammenhang mit großen Restrukturierungsmaßnahmen und überregionalen Insolvenzverfahren weite Verbreitung gefunden. Dabei muss die übertragende Sanierung zunächst von dem häufig synonym verwendeten Begriff der Unternehmenssanierung abgegrenzt werden.

Mit Unternehmenssanierung wird allgemein die Gesamtheit aller Maßnahmen umschrieben, die geeignet und erforderlich sind, ein Unternehmen aus einer Situation herauszuführen, in der sein Fortbestand gefährdet ist. Betriebswirtschaftlich wird unter Sanierung die Wiederherstellung der Markt- und Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens verstanden.

Bei der übertragenden Sanierung geht es hingegen nicht um den Fortbestand der rechtlichen Form des Unternehmens. Vielmehr werden die gesunden Teile aus der insolventen Gesellschaft herausgelöst und auf einen anderen, hinreichend kapitalisierten Rechtsträger („Auffanggesellschaft“) übertragen. Der alte Unternehmensträger bleibt mit den nicht übertragenen Aktiva weiterhin Gegenstand der Insolvenzmasse. Die Veräußerung des Unternehmens stellt hierbei eine Spielart der Verwertung des schuldnerischen Vermögens dar und ist damit vom Zweck des Insolvenzverfahrens
(§ 1 InsO) gedeckt.

Anders als beim sogenannten „Share Deal“, der sich prinzipiell als ein Kauf- und Übertragungsvertrag verbunden mit einer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung am bisherigen Unternehmensträger (z. B. GmbH, AG) darstellen lässt, bleibt die Gesellschaftsstruktur des insolventen Unternehmensträgers unverändert. Die Verteilung der Geschäftsanteile und des Stammkapitals erfährt im Rahmen der übertragenden Sanierung somit keine Veränderung. Allein der Geschäftsbetrieb wird in eine gesunde Rechtsfigur überführt.

In Abgrenzung hierzu ist eine aus dem Rechtsraum des Common Law stammende Sanierungsmöglichkeit im Rahmen eines sogenannten „Dept Equity Swap“ zu nennen. Dieses Sanierungsprinzip unterscheidet sich von den vorgenannten Varianten vor allem dadurch, dass die Gläubiger der Gesellschaft ihre Forderungen gegen das (drohend) insolvente Unternehmen gegen eine Beteiligung eintauschen. Das Grundprinzip ist die Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital, wodurch eine Unterbilanz oder gar Überschuldung der Gesellschaft beseitigt und die Gesellschaft außerdem von Zinslasten befreit werden kann.

Altverbindlichkeiten, Haftungsfragen

Da das primäre Ziel der übertragenden Sanierung die Erhaltung des Unternehmens bzw. Teilen davon ist, hat sie nur mittelbaren Einfluss auf die Befriedigung der sogenannten Altverbindlichkeiten, d. h. Verbindlichkeiten des abgebenden Unternehmensträgers. Der insolvente Unternehmensträger bleibt weiterhin alleiniger Schuldner der bisherigen Gläubiger. Diese haftungsrechtliche Privilegierung des Erwerbers führt in der Praxis regelmäßig zur höheren Befriedigung der Altgläubiger. Denn die Übernahme der lastenfreien Aktiva eines werbenden Unternehmens vollzieht sich auf der Grundlage der sogenannten Fortführungswerte, welche die andernfalls erzielbaren Liquidationsansätze in aller Regel deutlich übersteigen.

An dem Ergebnis der Haftungsprivilegierung ändert auch die Vorschrift des § 25 HGB nichts, soweit der Erwerb aus einem Insolvenzverfahren heraus erfolgt. Zwar kommen bei der rechtlichen Ausgestaltung der Auffanggesellschaft grundsätzlich alle Rechtsformen der Personen- und Kapitalgesellschaften in Betracht, sodass aus handelsrechtlicher Sicht die Vorschrift des § 25 HGB entscheidende Bedeutung erlangt. Allerdings stellt der Erwerb vom Insolvenzverwalter keinen Erwerb im Rechtssinne des § 25 HGB dar, weshalb eine handelsrechtliche Haftung des Erwerbers sich daraus nicht entwickeln kann. Wichtig ist nur, dass sich das Kauf- und Übertragungsgeschäft nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vollzieht.

Einen weiteren Problemkreis stellt die steuerliche Haftung gemäß § 75 AO dar. Durch die nicht hinreichende Beachtung dieser Norm kann sehr schnell ein hoher finanzieller Schaden für die Auffanggesellschaft entstehen. Absatz 1 der Vorschrift bestimmt nämlich die grundsätzliche Haftung des Betriebsübernehmers für bestehende Steuerschulden. Als solche kommen alle Betriebssteuern in Betracht, die seit Beginn des letzten vor der Übereignung liegenden Kalenderjahres entstanden sind, wie Gewerbe-, Umsatz-, Lohn- und sonstige Verbrauchsteuern. Keine Haftung besteht hingegen für Einkommen-, Körperschaft-, Erbschaft-, Grunderwerb-, Wechsel- und Kraftfahrzeugsteuer, soweit das Krisenunternehmen Steuerschuldner ist bzw. war. Erwirbt die Auffanggesellschaft Grundstücke oder Fahrzeuge vom Krisenunternehmen, so haftet sie als (neue) Steuerschuldnerin für die Grund- bzw. Kraftfahrzeugsteuer.

Aber auch hier schafft das Insolvenzverfahren Erleichterungen: § 75 Abs. 2 AO macht von der Haftung für Betriebssteuern insoweit eine Ausnahme, als diese beim Erwerb aus einer Insolvenzmasse nicht eintritt. Damit besteht Gleichlauf zwischen der Gesetzeslage gemäß § 75 AO und der ständigen Rechtsprechung zum § 25 HGB. Der haftungsfreie Erwerb vom vorläufigen Insolvenzverwalter ist ebenfalls möglich. Da es sich allerdings nicht um einen Erwerb aus der Insolvenzmasse handelt, bleibt die Haftung des § 75 Abs. 1 AO grundsätzlich bestehen. Der Haftungsausschluss des Abs. 2 greift in solchen Fällen nur dann, wenn das Krisenunternehmen mit Zustimmung des Insolvenzgerichts veräußert wird und sich die Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Veräußerung unmittelbar anschließt. Ist die Eröffnung des Insolvenzverfahrens demnach zu erwarten oder steht diese kurz bevor, empfiehlt es sich, Rücksprache mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter und dem Insolvenzgericht zu halten, um die Möglichkeit einer Übernahme ohne die Haftung des § 75 Abs. 1 AO zu erörtern.

Personalfragen

Eine große Bedeutung kommt im Rahmen des Betriebsübergangs dem § 613a BGB zu. Nach dieser Vorschrift gehen die Arbeitsverhältnisse mit allen Rechten und Pflichten auf den Erwerber über. Dies gilt grundsätzlich auch bei einem Betriebsübergang in einem Insolvenzverfahren. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) schränkt die Haftung des Betriebserwerbers im Rahmen des Insolvenzverfahrens jedoch ein. Es hat dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger den Vorrang vor einer umfassenden Haftung des Betriebserwerbers für Altverbindlichkeiten eingeräumt. Forderungen der Arbeitnehmer, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, können von diesen demnach nur zur Insolvenztabelle angemeldet werden und nehmen dann am Schluss des Verfahrens an der Quotenverteilung teil. Ausgenommen sind hiervon Urlaubsansprüche, die nach Auffassung des BAG nicht einem bestimmten Zeitraum zuzuordnen sind, sodass die Erfüllungspflicht mit dem Übergang des Arbeitsverhältnisses den Erwerber trifft. In den meisten Fällen ist die Sanierung mit einem Personalabbau verbunden. Die arbeitsrechtlichen Vorschriften behalten auch im Rahmen eines Insolvenzverfahrens ihre Gültigkeit, nur modifiziert durch die §§ 113 ff. InsO. Dies hat insbesondere die Verpflichtung des Insolvenzverwalters zur Folge, den auf der Grundlage eines Erwerberkonzeptes geplanten Personalabbau mit einem vorhandenen Betriebsrat verhandeln zu müssen. Sofern nämlich eine Betriebsänderung im Sinne der §§ 111 ff. BetrVG vorliegt, hat der Insolvenz­verwalter in Interessenausgleichsverhandlungen mit dem Betriebsrat einzutreten. Lediglich beim Scheitern dieser Verhandlungen sieht die Insolvenzordnung Erleichterungen vor, die allerdings in der Praxis kaum eine Rolle spielen. Denn auch die nach einem Scheitern der Verhandlungen vorgesehenen Alternativwege der Insolvenzordnung bringen einen Zeitverlust mit sich, der allgemein die Sanierungsbemühungen zum Scheitern bringt. Dieser auf beiden Betriebsparteien liegende Druck führt in vielen Fällen zu einer Einigung.

Fazit

Infolge der rechtssicher gestaltbaren Trennung des Unternehmens von seinem insolventen Rechtsträger ist die übertragende Sanierung für Investoren weiterhin attraktiv. Positive Erfahrungen mit den Möglichkeiten der Eigenverwaltung im Rahmen des neuen Schutzschirmverfahrens zeigen allerdings, dass die Bandbreite der Erhaltungsmechanismen zunimmt und den Beteiligten zusätzliche Gestaltungsspielräume eröffnet werden.

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