Artikel erschienen am 03.04.2019
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Besteuerung im Mittelstand im Zeitalter der Digitalisierung

Von Dr. iur. Uwe Hohage, Bielefeld | Susann van der Ham, Bielefeld

Die digitale Betriebsstätte: Es stellt sich die Frage nach der wertschöpfungsgerechten Besteuerung im Zeitalter der Digitalisierung – auch und insbesondere im Mittelstand.

Die EU und auch die OECD haben Konzepte der Besteuerung der digitalen Wirtschaft erarbeitet. Während die EU-Kommission recht konkrete Vorschläge macht, werden solche der Task Force der OECD erst in 2020 erwartet. Es stehen jedenfalls aktuell drei Vorschläge im Raum, um die Besteuerungsrechte zwischen den verschiedenen Staaten, in denen ein Unternehmen tätig ist, ausgewogen zu verteilen: (1) die Einführung einer digitalen Betriebsstätte, (2) die Einführung einer Digitalsteuer auf digitale Dienstleistungen und (3) die Einführung einer Ausgleichssteuer auf bestimmte digitale Dienstleistungen. Diskutiert wird allerdings auch, ob überhaupt die Notwendigkeit einer speziellen Besteuerung der digitalen Geschäftstätigkeit besteht.

Die aktuellen Grundpfeiler des internationalen Steuerrechts wurden vor nahezu 100 Jahren entwickelt. Mit Blick auf Unternehmensgewinne wurde bestimmt, dass diese grundsätzlich in dem Land zu besteuern seien, in dem der Ursprung der Unternehmensgewinne liegt und die Wertschöpfung stattfindet. Ist das Unternehmen grenzüberschreitend tätig, können dies der Ansässigkeitsstaat, der andere Staat, in dem die Einkommensquelle liegt (Quellenstaat) oder auch beide Staaten zu angemessenen Teilen sein. Nun hat allerdings die Digitalisierung einen wesentlichen Einfluss darauf, wo und durch wen die Wertschöpfung eines international tätigen Unternehmens entsteht. Sind die genannten Grundprinzipien also zeitlich überholt? Gibt es überhaupt auf Basis der bestehenden Besteuerungssysteme die Gefahr von Besteuerungslücken? Wo wird denn ein Ungleichgewicht wahrgenommen?

Wahrnehmung eines Ungleichgewichts bei der Besteuerung bei drei Aspekten

Erstens: Im Vergleich zu den traditionellen Geschäftsmodellen erlauben es digitale und/oder digitalisierte Geschäftsmodelle, regelmäßig eine viel größere Zahl von Kunden anzusprechen. Im Grunde geht es aber noch weiter: Die technischen Möglichkeiten erlauben es, digitale Leistungen grenzüberschreitend anzubieten – und zwar ohne dass hierfür eine tatsächliche Präsenz physischer Natur in einem anderen Land – dem Marktstaat – notwendig wäre. Zweitens: Plattformtechnologien, Algorithmen und Softwarelösungen spielen hierbei eine sehr wichtige Rolle. Mit anderen Worten heißt das, digitale Geschäftsmodelle sind zu einem viel größeren Anteil als traditionelle Geschäftsmodelle abhängig von immateriellen Werten. Drittens: Die Nutzer und ihre Daten – digitale Geschäftsmodelle profitieren enorm von Nutzern, deren Interaktionen untereinander und den Daten, die hierbei gesammelt werden.

Lösungsmöglichkeiten – Konzept der digitalen Betriebsstätte

Den drei Aspekten des wahrgenommenen Ungleichgewichts stehen ebenfalls drei Lösungsmöglichkeiten gegenüber, um im Zeitalter der Digitalisierung eine ausgewogene Besteuerung der Wertschöpfung im Ansässigkeits- und im Quellenstatt sicherzustellen. Das sind einerseits die Einführung einer digitalen Betriebsstätte, andererseits die Einführung einer Quellensteuer auf bestimmte digitale Transaktionen und schließlich die Einführung einer Ausgleichssteuer auf bestimmte digitale Dienstleistungen.

Ansatz der OECD

Die OECD möchte umsatzbezogene und digitale Faktoren zur Grundlage einer Besteuerung der digitalen Betriebsstätte machen. Neben der Generierung von Umsätzen in einem bestimmten Markt soll es dann auf die benutzte lokale Domain (z.B. .fr oder .de), eine Website in lokaler Sprache oder die Nutzung lokaler Zahlungsoptionen ankommen. Konkreter kann das die OECD bislang noch nicht benennen, sodass es hier abzuwarten gilt.

Ansatz der EU-Kommission

Deutlich konkreter ist der Vorschlag der EU-Kommission: Wenn ein Unternehmen in einem Mitgliedsstaat mehr als 100 000 Nutzer seiner digitalen Dienstleistungen hat, die Anzahl abgeschlossener Verträge über die Erbringung digitaler Dienstleistungen die Zahl von 3 000 übersteigt oder der damit erzielte Umsatz in einem Mitgliedsland 7 Mio. Euro übersteigt, so soll eine digitale Betriebsstätte vorliegen. Die EU-Kommission nennt auch konkrete Beispiele, die von dieser Regelung erfasst werden sollen: Lieferung von Software und Softwareupdates, Software as a service und Cloud-basierte Dienste sowie die Gewährung des Zugangs oder das Herunterladen von Musik auf Computer und Mobiltelefone. Dabei fällt auf, dass die gewählten Mindestmengen tendenziell nur große Unternehmen treffen sollen, allerdings ist die Entwicklungsgeschwindigkeit so enorm, dass auch der Mittelstand und auch kleinere Unternehmen recht schnell in die genannten Größenordnungen geraten können. Details sind ohnehin noch zu klären.

Einschätzung der Lösungsvorschläge

Auch bisher gab es schon Marketing per Telefon oder den Katalog über die Grenze. Bestehen die Veränderungen nicht im Wesentlichen nur im Hinblick auf die erreichbare Anzahl an potenziellen Kunden?

Wenn beispielsweise ein mittelständischer Hersteller von Elektronikprodukten in der Vergangenheit seine Ware über Printwerbung u. ä. auch an Kunden in den Niederlanden vermarktet hat und dabei etwa eine kleine Anzahl niederländischer Kunden erreicht, so erlaubt ihm seine niederländische Website heute tendenziell den Zugang zu einem breiteren niederländischen Kundenkreis. Es ändert sich jedoch nichts an der Herstellung und der Vermarktung seiner Produkte als solches.

Oder warum soll es einen Unterschied machen, ob ein deutscher Maschinenbauer seine (innovativen) Maschinen in Deutschland entwickelt und in Ostasien verkauft oder ob er digitale Dienstleistungen in Deutschland entwickelt und diese in Ostasien vermarktet? In beiden Fällen wird in Deutschland die geistige Entwicklungsleistung erbracht, während der Umsatz z. B. in China generiert wird.

Verzicht auf Besteuerungsrechte könnte problematischer sein

Hätte es beispielsweise in den USA in der Vergangenheit ein strengeres Besteuerungssystem gegeben, so würde man heute möglicherweise nicht über die Steuerpraktiken der amerikanischen Internetkonzerne sprechen. Denn im Grunde sind nicht die digitalen Geschäftsmodelle, sondern der Verzicht eines Staates auf die Besteuerung von Unternehmensgewinnen relevant. Daher mehren sich die kritischen Stimmen zur Einführung einer digitalen Betriebsstätte auf verschiedenen Ebenen in Politik und Wirtschaft.

Ausblick und Zeitplan

Die von der EU-Kommission gemachten konkreten Vorschläge zur Einführung einer Digitalsteuer auf digitale Dienstleistungen und zur Einführung einer digitalen Betriebsstätte sollen durch die Mitgliedsstaaten bis Ende 2019 umgesetzt werden. Selbst wenn diese dann ab dem 01.01.2020 gelten, bleiben doch erhebliche konzeptionelle und praktische Unsicherheiten. Zudem bleibt fraglich, ob solche Regelungen für eine exportorientierte Volkswirtschaft wie die der Bundesrepublik Deutschland überhaupt vorteilhaft wären und ob hierdurch die Digitalisierung der Geschäftstätigkeit insbesondere auch des deutschen Mittelstandes nicht eher behindert wird. In den vergangenen Monaten waren daher die Entwicklungen in diesem Bereich wahrnehmbar langsamer geworden, durch die Ratspräsidentschaft von Österreich wird jedoch ein neuer Fokus auf das Thema digitale Besteuerung erwartet.

Bild: Fotolia/Sittinan

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