Artikel erschienen am 20.05.2019
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Zinswende in der Eurozone: Ja – aber?!

Von Rainer Hißmann, Paderborn

30 Jahre Zinsrückgang in Europa liegen hinter uns. Das historische Zinstief wurde bereits 2017 durchschritten. Seitdem konnte zwar ein marginaler Anstieg der durchschnittlichen Umlaufrendite registriert werden, doch die in den vergangenen Mona­ten angezogene Inflation verstärkt den negativen Realzins. Dieser führt zu einer weiterhin schleichenden Enteignung des angelegten Kapitals über alle Laufzeiten hinweg. Es stellt sich die Frage, wann man wieder mit einem auskömmlichen Zinsniveau rechnen kann.

An dieser Stelle lohnt ein Blick auf die volkswirtschaftliche Großwetterlage. Hier wird schnell deutlich, dass sich diese Entwicklung in einem positiven wirtschaftlichen Umfeld abspielt. Die Weltwirtschaft ist heute, zehn Jahre nach Beginn der Finanzkrise, trotz aller handelspolitischer Störfeuer in einer guten Verfassung. Trotzdem sind wir auch eine Dekade nach Lehman noch weit von einer Normalisierung des Zinsniveaus entfernt. Der wirtschaftlichen Erholung des Euroraums steht weiterhin eine massive Verzerrung der Rentenmärkte gegenüber. Die unorthodoxe Notenbankpolitik der Europäischen Zentralbank hat ihre Spuren hinterlassen und bei Anlegern verstärkt Anlagealternativen zum Rentenmarkt in den Fokus gerückt.

Blicken wir über den großen Teich, lässt sich konstatieren, dass die amerikanische Notenbank die Zinszügel bereits angezogen hat. So ist in den USA eine Normalisierung der Geldpolitik bereits in vollem Gang. Die FED hat seit Dezember 2015 den Zinskorridor bereits auf über 2 % angehoben und nähert sich somit dem „neutralen Niveau“. Bewegung kam auch in das lange Laufzeitband. Die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen hat sich seit dem Tief im Jahr 2016 inzwischen mehr als verdoppelt. Hier können bereits Renditen von etwa 3 % erzielt werden.

Wie sieht der weitere Weg in den USA aus? Der Zinserhöhungszyklus dürfte auch auf Sicht der kommenden Monate kein Ende finden. Es spricht vieles dafür, dass die FED auch in 2019 den Leitzins weiterhin graduell anheben wird. Bereits in zwölf Monaten erscheint ein Leitzinskorridor von 3,00 % bis 3,25 % durchaus realistisch. US-Rentenanlagen gewinnen gegenüber amerikanischen Aktien mit 2 % Dividendenrendite zunehmend an relativer Attraktivität.

Auch in der Eurozone ist der geldpolitische Richtungswechsel mit dem zum Jahresende 2018 eingestellten Anleihekaufprogramm bereits vollzogen. Allerdings halten sich die Zinserhöhungsfantasien derzeit im Markt noch in Grenzen. Die EZB hat wiederholt erklärt, dass der Leitzins über den Sommer 2019 hinweg unverändert bei 0 % belassen wird. Erst zum Herbst dürften die Währungshüter erste Zinsanpassungen vornehmen. Hier ist zunächst mit einem moderaten Anstieg des EZB-Einlagensatzes zu rechnen, der derzeit bei -0,4 % liegt. Ein „echter“ Zinsschritt und somit eine Erhöhung des EZB-Leitzinses erscheint frühestens zum Jahreswechsel 2019/2020 wahrscheinlich. Inwieweit die EZB einen dann eingeschlagenen Leitzinsanhebungspfad nachhaltig weiterverfolgen wird, dürfte nicht unwesentlich vom neuen EZB-Präsidenten abhängen, der Ende Oktober 2019 die Amtsgeschäfte von Mario Draghi übernehmen wird.

Trotz der beschriebenen Zinswende sind für den Euroraum keine signifikant steigenden Zinsen zu erwarten und somit auch auf mittelfristige Sicht kein Zinsniveau, das zumindest die Inflation ausgleicht. Somit sollten Euroanleihen guter Bonität auch weiterhin zu einem realen Werteverzehr führen.

Die Probleme in der Eurozone scheinen zu groß. Hier genügt ein Blick auf die seit Ausbruch der Finanzkrise rasant angestiegene Staatsverschuldung. In der gesamten Eurozone stieg seit 2007 der Verschuldungsgrad von 65 % auf 86 % des Bruttoinlandsproduktes. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern sind dabei gravierend. Liegt die Schuldenquote in Deutschland bei „lediglich“ rund 61 %, so ist sie in Italien von 100 % auf nunmehr stattliche 131 % gestiegen. Dagegen sehen die Verträge von Maastricht bekanntermaßen eine Schuldenobergrenze von lediglich 60 % vor.

Dauerhaft tragfähig sind höhere Verschuldungsgrade nur über moderate Zinsniveaus. Denn nur der ultraexpansiven Geldpolitik der vergangenen Jahre ist es zu verdanken, dass sich die Zinsaufwendungen, insbesondere der hochverschuldeten Staaten, trotz dieser Entwicklung nicht deutlich erhöhten. Im Umkehrschluss würde ein massiver Zinsanstieg schnell zu Problemen in den Staatshaushalten vieler Eurostaaten führen. Darüber hinaus würde die zuletzt robuste Konjunktur in vielen Staaten beeinträchtigt – mit negativen Auswirkungen auf die Steuereinnahmen und somit zusätzlichen Belastungen für die Haushalte.

Mit dieser Hypothek ergibt sich für die EZB lediglich ein begrenzter Handlungsspielraum hinsichtlich möglicher Zinserhöhungen. Ein moderat aufwärts gerichteter Zinstrend, der auch für die Kapitalmärkte keinen allzu großen Stress bedeutet, sollte vor diesem Hintergrund der einzig sinnstiftende Weg sein. Alles unter der Voraussetzung, dass eine anhaltend stabile Konjunktur bei Inflationsraten unter 2 % (Zielwert der EZB) die Währungshüter in die Lage versetzt, ihre eingeschlagene Exit-Strategie aus der ultraexpansiven Geldpolitik fortzusetzen.

Was bedeutet dieses Szenario für Anleger beziehungsweise für Kreditnehmer? An den europäischen Rentenmärkten ist ein moderater Anstieg der Renditen eine logische Folge der abnehmenden geldpolitischen Unterstützung, die die erfreuliche realwirtschaftliche Entwicklung erst ermöglicht hat. Somit wird das Umfeld für Renteninvestments schwieriger. Ein Ende der Marktverzerrungen bedeutet das aber noch lange nicht. Der langfristig orientierte Rentenanleger muss sich in einer Phase moderat steigender Zinsen weiterhin mit überschaubaren Renditen zufriedengeben.

Geld parken und abwarten, dass die Zinsentwicklung in Deutschland wieder spürbar nach oben zeigt, kann nicht die Lösung sein. Es wird auch zukünftig wichtig sein, sich mit Alternativkonzepten zu festverzinslichen Anlagen auseinanderzusetzen. Somit behalten Sachanlagen (Immobilien) und Substanzanlagen (Aktien) ihre Bedeutung in einer gut strukturierten Vermögensanlage.

Gleichzeitig bedeutet dies aber auch, dass der kreditfinanzierte Unternehmer für seine langfristigen Finanzierungen auch noch in 2019 die Chance haben sollte, Kredite zu vergleichsweise günstigen Kondi­tionen abzuschließen.

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