Artikel erschienen am 10.11.2020
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Gefahrenquelle Arbeitsplatz

Arbeitspflicht in Zeiten von Infektionsrisiken

Von Lea Hausfeld, Gütersloh

Immer klarer wird: Losgelöst von akuten Krisen­situationen, die eine möglicherweise herannahende zweite Infektionswelle mit sich bringen mag, wird der Umgang mit Infektionsrisiken am Arbeitsplatz zur Normalität werden müssen. Wie also umgehen mit Mitarbeitern, die Risikopatienten sind, glauben, solche zu sein oder aus Sorge um ihre zu Risikogruppen gehörenden Lieben der Arbeit fernbleiben wollen oder müssen?

Das Problem ist nicht neu. Sei es der 5-Kilo-Schein, sei es die Schichtdienstuntauglichkeit – Fälle, in denen Arbeitnehmer zwar grundsätzlich arbeiten könnten, gesundheitliche Risiken aber bestimmte Arbeiten ausschließen, sind mannigfaltig. Neu ist das Risiko, dass dies bei dem ein oder anderen nun dazu führt, zu reklamieren, er sei zur Arbeit nicht verpflichtet. Das Infektionsrisiko macht Arbeit nicht insgesamt unmöglich, lädt aber dazu ein, nicht nur einzelne Tätigkeiten, sondern – da die Arbeit nun einmal zum Zusammentreffen mit Menschen führt oder zumindest den Aufenthalt in Räumen mit sich bringt, in denen sich schon andere aufgehalten haben – die Arbeit insgesamt für ausgeschlossen zu erachten. Unternehmen stehen vor der Herausforderung, Arbeit unter vertretbaren Bedingungen für Angehörige von Risikogruppen zu organisieren, andererseits aber auch mit Mitarbeitern umzugehen, die kategorisch mit Blick auf (vermeintliche) Risiken die Rückkehr an den Arbeitsplatz verweigern.

Der arbeitsrechtliche Rahmen ist schnell erklärt: Hauptpflicht des Arbeitnehmers ist die Pflicht zur Arbeitsleistung, der er grundsätzlich nachzukommen hat. Etwas anderes gilt nur in Fällen der Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit sowie in Fällen, in denen der Arbeitnehmer berechtigt Leistungsverweigerungsrechte ausübt. Objektiv unmöglich wird die Arbeit bei bloßen Infektionsrisiken kaum sein. Allerdings besteht die Leistungspflicht auch dann nicht, wenn die Arbeit zwar nicht objektiv unmöglich, aber unzumutbar ist. Hier aber hängen die sprichwörtlichen Trauben für den Arbeitnehmer hoch: Der Arbeitnehmer muss durch die Leistungserbringung Gefahr laufen, in bedeutsamen Rechtsgütern verletzt zu werden. Das abstrakte Risiko, sich am Arbeitsplatz mit einer Krankheit zu infizieren, dürfte dafür nicht ausreichen. Dass das Erscheinen am Arbeitsplatz konkrete Gefahren für Leib und Leben heraufbeschwören würde, wird meist nicht darstellbar sein. Kein verantwortungsvoll handelnder Unternehmer organisiert seinen Betrieb so, dass derart konkrete Gefahren auf der Hand liegen. Davon abgesehen ist die Kehrseite der Unmöglichkeit, die zum Freiwerden von der Leistungspflicht führt, dass auch der Arbeitgeber von seiner Pflicht zur Gegenleistung, also zur Entgeltzahlung frei wird, es sei denn, er hat die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung zu vertreten. In Fällen der Unmöglichkeit/Unzumutbarkeit wird der Arbeitgeber zwar auf eine möglicherweise benötigte Kraft verzichten müssen. Der Arbeitnehmer hätte aber nur die Hälfte gewonnen. Er müsste sich zwar keinen Gesundheitsrisiken aussetzen, verliert aber seinen Vergütungsanspruch. Der Wegfall des Vergütungsanspruchs als mögliche Folge lässt den Weg über die Unmöglichkeit nicht nur als rechtlich schwer begehbar, sondern vielfach auch als nicht interessengerecht erscheinen.

Entscheidend wird damit sein, ob Arbeitnehmer sich auf ein Leistungsverweigerungsrecht berufen können. Folge wäre, dass der Arbeitgeber in Annahmeverzug gerät und der Arbeitnehmer seinen Vergütungsanspruch behält. Dies kann zum einen der Fall sein, wenn der Arbeitgeber sein Direktionsrecht ermessensfehlerhaft ausübt, z. B. indem er Risikopatienten, die er mit geringeren Risiken beschäftigen könnte, Arbeitsplätze mit besonders hohen Infektionsrisiken zuweist. Das Bundesarbeitsgericht meint nämlich, dass Arbeitnehmer auch bloß ermessensfehlerhafte Weisungen nicht befolgen müssen und nicht erst dann zur Leistungsverweigerung berechtigt sind, wenn die zugewiesenen Aufgaben nicht mehr vom Arbeitsvertrag gedeckt sind. Zum anderen aber kann auch ein Verstoß gegen arbeitsschutzrechtliche (Neben-)Pflichten aus § 618 BGB in Verbindung mit den öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutznormen ein Zurückbehaltungsrecht auslösen.

Die vom Bundesministerium für Arbeit vorgestellten Arbeitsschutzstandards, von denen der zuständige Minister den Eindruck vermittelt, es handele sich um verbindliche Vorgaben, wecken dabei falsche Vorstellungen. Es handelt sich nach nahezu einhelliger Meinung nicht um eine verbindliche Rechtsnorm. Zwar liegt der Arbeitsschutzstandard nicht im „Niemandsland zwischen verbindlichem Recht und einem rechtlichen Nullum“, ist also mehr als eine bloße Empfehlung. Er ist die Richtschnur zur Auslegung des Arbeitsschutz­gesetzes sowie Bestandteil der Gefährdungsbeurteilung und gibt konkrete Anhaltspunkte, wie Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten gewahrt werden können.

Arbeitgeber sind gerade jetzt aufgerufen, ihrer Pflicht, Gefährdungsbeurteilungen durchzuführen, nachzukommen. Sie bieten die Grundlage für jede Argumentation gegen möglicherweise geltend gemachte Leistungsverweigerungsrechte. So gut Arbeitgeber aber beraten sind, den Arbeitsschutzstandard zu beachten, so wenig führt die aufgrund betrieblicher Gegebenheiten nicht mögliche Umsetzung unmittelbar zum Leistungsverweigerungsrecht. Das Bundesarbeitsgericht erkennt nämlich seit Langem, dass selbst bei einem Verstoß gegen Arbeitsschutzmaßnahmen, ein Zurückbehaltungsrecht ausscheidet, wenn es sich nur um geringfügige oder kurzfristige Verstöße handelt, die keinen nachhaltigen Schaden bewirken können. Deswegen verwundern auch die ersten nun vorliegenden gerichtlichen Entscheidungen zum Coronavirus nicht. Wie das Arbeitsgericht Mainz und der VGH Kassel erkennen, scheiden Zurückbehaltungsrechte, die an das durch das Zusammentreffen mit anderen Personen – z. B. als Lehrer im Schuldienst – bestehende Infektionsrisiko anknüpfen, regelmäßig aus.

Wer gleichwohl meint, aufgrund angeblicher Zurückbehaltungsrechte nicht arbeiten zu müssen, wird ins Risiko gehen müssen. Liegen deren Voraussetzungen nicht vor, stellt die Nichtleistung der Arbeit eine Pflichtverletzung dar, die abgemahnt oder – bei beharrlicher Weigerung – sogar zur außerordentlichen Kündigung führen kann.

Der sich aufdrängende Versuch, das Bestehen eines Zurückbehaltungsrechts vorab gerichtlich feststellen zu lassen, ist zum Scheitern verurteilt. Es ist, wie das LAG Köln und das ArbG Mainz zutreffend erkennen, nicht Aufgabe der Gerichte, im Rahmen von Feststellungsklagen Arbeitnehmer vor den Folgen möglichen Fehlverhaltens zu bewahren. Einseitige Gestaltungsrechte kann man nicht feststellen lassen. Man muss sie ausüben – dies dann aber auf eigenes Risiko.

All dies leitet auch und gerade in der derzeitigen Situation beide Arbeitsvertragspartner zur Vernunft an. Für diejenigen, denen sei es aus Angst oder Trotz diese Vernunft fehlt, gibt die Rechtsprechung verantwortungsvollen, den Gesundheitsschutz nicht vernachlässigenden Arbeitgebern eine ausreichende Handhabe. Die Voraussetzungen, unter denen Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen der Arbeit fernbleiben dürfen, hängen nach der Rechtsprechung hoch. Ob man vorschnell Kündigungen aussprechen sollte, steht auf einem anderen Blatt.

Foto: Adobe Stock/rexandpan

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