Artikel erschienen am 14.02.2023
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Die Rolle von M&A-Transaktionen in Zeiten der Stapelkrise

Von Dr. iur. Peter Ladwig, Stuttgart | Dr. iur. LL.M. Hermann Ali Hinderer, Stuttgart

Während unruhige Zeiten nicht außergewöhnlich sind, zeichnet sich die wirtschaftliche, gesellschaftliche und geopolitische Situation derzeit durch eine Vielzahl von quasi aufeinander gestapelten Krisen aus. Aus der Pandemie folgten gestörte Lieferketten, die zu erheblichen Produktionsschwierigkeiten geführt haben und führen. Hinzu kam der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, der zumindest in Teilen Europas eine Energiekrise samt Inflationsschock zur Folge hatte. Diese geballte Konzentration von Krisen verändert auch die Rahmenbedingungen für M&A-Transaktionen. Sie können allerdings eine wichtige Rolle bei der Krisenbewältigung spielen.

Inflation führt zu Marktbereinigung, vor allem in B2C-Märkten

Die Stapelkrise berührt viele Marktsegmente, aber wenige leiden so stark wie die am Konsum des Endverbrauchers hängenden Märkte. Mode und Handel leiden bspw. extrem. Die Übernahme- und Insolvenzwelle zeichnet sich bereits ab.

Distressed M&A

Zunächst – und vielleicht am naheliegendsten in krisenhaften Zeiten – kann ein existenziell bedrohtes Unternehmen oft aus eigener Kraft nicht saniert werden. Dann braucht es Hilfe von außen. Es müssen neue Investoren gefunden werden, die z.B. durch weiteres Kapital oder Nutzung von Synergien neue Spielräume für ein unter Druck geratenes Geschäftsmodell schaffen. Distressed-M&A-Transaktionen zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass sie sich im Vorfeld einer möglichen Insolvenz abspielen und der Käufer damit im Zusammenhang stehende Risiken, vor allem der Anfechtung, berücksichtigen muss. Natürlich ist auch denkbar, die modernen Mittel des deutschen Unternehmens- und Insolvenzrechts, z.B. in Form des vor kurzem eingeführten StaRUGs, zu nutzen, um erfolgreich eine M&A-Transaktion vorzubereiten und zu gestalten. Aber wichtig ist, die Suche nach einem Investor möglichst früh anzustoßen und nicht erst dann, wenn die Insolvenz vor der Tür steht.

Konzentration auf Kernkompetenzen

Schon vor der aktuellen „Stapelkrise“ bestand erheblicher Wandlungsdruck auf die deutsche Wirtschaft, sei es durch die digitale Transformation oder die Elektrifizierung der Mobilität. Die Krise verstärkt den Druck erheblich. Daher steigt die Zahl der M&A-Prozesse, die der Bereinigung der eigenen Geschäftsfelder dienen, sprunghaft an. Die Prozesse dienen dazu, Geschäftsbereiche, die kein ausreichendes Zukunftspotential besitzen, abzustoßen und damit alle Ressourcen auf die Kernkompetenzen des Unternehmens zu konzentrieren. Je nach Unternehmensstruktur bedeutet ein solcher Eingriff in der Regel die Durchführung eines Carve-outs, also der Separierung des jeweiligen Geschäftsbereichs im laufenden Betrieb. Diese sehr komplexe und aufwendige Maßnahme bedarf einer sehr guten Vorbereitung, um alle Schnittstellen zwischen zu veräußerndem Geschäft und Kerngeschäft zu identifizieren und sachgerecht aufzulösen. In der Regel werden erst im Laufe der Transaktion alle Verflechtungen und mögliche Rückbezüge sichtbar.

Modernisierung des Geschäftsmodells

Eine Strategie, um trotz erheblich gestiegener Energiepreise wettbewerbsfähig zu bleiben, kann die Modernisierung des Geschäftsmodells sein. Dazu gehören einerseits moderne Produktionsmethoden, die zu Energieeinsparungen führen und andererseits die Beschleunigung der Digitalisierung, um effizienter zu werden. Beides lässt sich auch durch M&A-Prozesse erreichen, indem neue Technologien eingekauft werden. Damit gelingt eine Modernisierung oftmals deutlich schneller als durch Eigenentwicklungen. Bei diesen Transaktionen ist es von entscheidender Bedeutung, im Rahmen der Due Diligence die Tauglichkeit der Technologien für das eigene Unternehmen des Käufers zu prüfen und die sogenannte Post-merger-Integration so gut wie möglich vorzubereiten.

Neuorganisation der Lieferketten

Schließlich dürfte eine Lehre aus der derzeitigen Situation sein, die Lieferketten robuster zu organisieren. Das beinhaltet unter anderem mehr Lagerhaltung und möglicherweise die Verlagerung von Produktionsprozessen. Auch diese Ziele lassen sich durch M&A-Prozesse erreichen, z.B. durch die Erweiterung eigener Logistik oder dem Erwerb von weiteren lokalen Produktionskapazitäten.

Besondere Herausforderungen von M&A-Prozessen in Krisenzeiten

Die Anforderungen an die Durchführung einer erfolgreichen M&A-Transaktion in krisenbehafteten Zeiten sind hoch. Zunächst müssen sich Verkäufer und Käufer auf einen Kaufpreis einigen. Da sich die Auswirkungen der verschiedenen Krisen allerdings deutlich in den Kennzahlen der meisten Unternehmen niederschlagen dürften, fallen Bewertungen aus Sicht von Verkäufern oft zu niedrig aus. Typische Instrumente, um sich auf einen Preis zu einigen, sind z.B. Earn-out-Modelle, die auf eine wirtschaftliche Erholung in der Zukunft abstellen. Earn-out-Modelle führen allerdings zu einer höheren Komplexität der Transaktion, da der Verkäufer versuchen wird, die Erreichung der Earn-out-Ziele so gut wie möglich abzusichern. Bei der Vertragsgestaltung sind die berechtigten Interessen des Verkäufers zu berücksichtigen, ohne den Handlungsspielraum des Käufers, der bei Vollzug ja bereits einen Kaufpreis zahlt, über Gebühr einzuschränken.

Typisch für krisenbehaftete Zeiten ist auch die restriktivere Vergabe von Krediten zur Finanzierung einer Akquisition. Es ist in jedem Fall mit erhöhten Finanzierungskosten zu rechnen, die wiederum die Preisdiskussion zwischen den Parteien erschweren. Die Käufer, die keine Fremdfinanzierung benötigen oder nur geringe Beträge finanzieren müssen, sind in Krisenzeiten bei steigenden Finanzierungskosten im Vorteil. Eine seriöse Kalkulation und die realistische Einschätzung von Synergien sind daher Grundlage für eine erfolgreiche Transaktion in schwierigem Umfeld.

Schließlich spielt die psychologische Komponente keine untergeordnete Rolle. Ein insgesamt krisenbehafteter Markt bremst das Momentum aus, das für eine erfolgreiche Transaktion wichtig ist, da viele Käufer das Gefühl bekommen können, in ein fallendes Messer zu greifen. Allerdings beinhaltet jede Krise auch eine Chance, die es zu erkennen und zu nutzen gilt.

Mit einer klaren strategischen Zielrichtung, einer guten Vorbereitung und einer seriösen Kalkulation lassen sich daher trotz Stapelkrise auch im derzeitigen Umfeld erfolgreich M&A-Prozesse durchführen, die dafür sorgen, dass Unternehmen gestärkt aus der Krise hervorgehen.

 

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