Artikel erschienen am 14.02.2023
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Probleme sind auch nur dornige Chancen

Wie Gewerberaummieter die Energie- und Wirtschaftskrise zur Restrukturierung von Gewerbemietverträgen und Filialportfolien nutzen

Von Dennis Lang, Stuttgart | Julian N. Schidelko, Stuttgart

Dabei lohnt es sich genauer hinzuschauen, da Wertsicherungsklauseln oftmals ungültig und langjährig abgeschlossene Mietverhältnisse wegen Schriftformmängeln nicht selten kurzfristig kündbar sind. Für Filialportfolien eignet sich das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung.

1. Betriebskosten

Nach der gesetzlichen Grundstruktur trägt der Vermieter die Betriebskosten. In der Regel werden diese jedoch vollständig vertraglich auf den Mieter abgewälzt. Ohne konkrete Vereinbarung ist der Mieter jedoch nicht verpflichtet, Vorauszahlungen auf die Betriebskosten zu leisten. Aktuell stellt sich sowohl für Vermieter als auch Mieter das Problem der sich vor Ende der aktuellen Abrechnungsperiode ergebenden enormen Preissteigerungen bei Energie. Im Gewerberaummietrecht sind die strengen Vorschriften des Wohnraummietrechts (z.B. § 560 BGB) zwar nicht anwendbar, allerdings erfordert jede Änderung der Betriebskostenvorauszahlung eine konkrete vertragliche Regelung. Für eine unterjährige Anpassung der Vorauszahlungen vor Ende der Abrechnungsperiode wird es deshalb oft an der vertraglichen Grundlage fehlen. Nur in absoluten Ausnahmefällen kann außerhalb der vertraglichen Regelungen eine Anpassung der Vorauszahlungen bei einem extrem krassen Missverhältnis zwischen tatsächlichen Kosten und den Vorauszahlungen bei Annahme einer Störung der Geschäftsgrundlage erfolgen. Dies setzt allerdings die wirtschaftliche Unzumutbarkeit des Status quo für den Vermieter voraus. Innerhalb der jeweiligen vertraglichen Anpassungsregelungen können die sich in Folge einer Abrechnung ergebenden tatsächlichen Preissteigerungen allerdings potenziell unbegrenzt weitergegeben werden, wobei der Vermieter verpflichtet ist, das Wirtschaftlichkeitsgebot zu beachten. Dies beinhaltet aber gerade nicht die Verpflichtung zum Umstieg auf andere ggf. günstigere Energieträger. Auch die Vereinbarung einer Betriebskostenpauschale ist im Gewerberaummietverhältnis möglich. Allerdings ist eine Pauschalierung der Heizkosten aufgrund der zwingenden Abrechnungsverpflichtung der HeizkostenVO in der Regel nicht möglich. Entgegenstehende vertragliche Abreden, die eine Gesamtpauschalierung auch der Heizkosten vorsehen, sind unwirksam.

2. Umgang mit Indexklauseln

Aufgrund der sehr hohen Inflation kommen zunehmend Indexklauseln wieder in den Fokus der Mietvertragsparteien. Eine Indexklausel sichert den Vermieter ab, indem die Änderung des vom statistischen Bundesamt veröffentlichten Verbraucherpreisindex (VPI) automatisch die Kaltmiete (meist bei Erreichung einer Schwelle von 5 oder 10 % Steigerung) im gleichen Umfang der Preissteigerung erhöht. Angesichts von zweistelligen Inflationsraten kann dies schnell zu einer unhaltbaren Belastung werden. Für eine wirksame Vereinbarung einer Indexierung der Miete ist nach den Regelungen des Preisklauselgesetzes aber erforderlich, dass der Vertrag einschließlich etwaiger Verlängerungsoptionen eine Mindestdauer von zehn Jahren vorsieht. Ist diese Mindestanforderung nicht erfüllt, ist die Klausel zwar unwirksam, bleibt allerdings solange in Kraft, bis der Mieter gerichtlich die Unwirksamkeit hat feststellen lassen. Ferner muss die Indexklausel auch eine Anpassung nach unten bei einem sinkenden VPI vorsehen, ansonsten ist sie formularvertraglich ebenfalls unwirksam. Für Vermieter lohnt es sich aktuell zu prüfen, ob eine Indexklausel wirksam vereinbart wurde und ob aufgrund der aktuellen Preissteigerungen eine Mietanpassung verlangt werden kann.

Ist der Unternehmer als Mieter mit einer solchen Index-Mietanpassung konfrontiert, ist es ebenfalls dienlich, die Wirksamkeit dieser Klausel überprüfen zu lassen. In Mietvertragsverhandlungen lohnt es sich aktuell mehr denn je, einen indexfreien Zeitraum zu vereinbaren, um die aktuelle Situation abzufedern. Oftmals kann auch eine nur teilweise Weitergabe der absoluten Erhöhung des Indexes (Spanne reicht von 50 – 90 %) vereinbart werden.

3. Vertragsbeendigung trotz Festlaufzeit wegen Schriftformmängeln

Üblicherweise werden Gewerbemietverhältnisse auf eine bestimmte Dauer fest abgeschlossen. Der Vorteil einer langfristigen Planbarkeit wandelt sich insbesondere in Krisenzeiten in eine Handlungseinschränkung des Unternehmers. Insbesondere Filialisten wird es durch oft langfristige Bindungen erheblich erschwert, ihn Filialportfolio zu bereinigen. Ein Anspruch auf Vertragsanpassung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage durch die Veränderung der wirtschaftlichen Ausgangssituation des Unternehmens besteht auch bei Krieg oder Naturkatastrophen nicht. Im Mietrecht trägt grundsätzlich der Mieter das Ertrags- und Verwendungsrisiko bezüglich der Mietsache, es sei denn, die Parteien hätten etwas anderes vereinbart, was erfahrungsgemäß nahezu nie der Fall ist.

Bei einem Gewerbemietvertrag ist entsprechend § 550 BGB bei einer Laufzeit von mehr als einem Jahr zwingend die Schriftform einzuhalten und mit Originalunterschriften auszufertigen. Ist die Schriftform nicht eingehalten, läuft der Vertrag trotz vereinbarter längerer Laufzeit auf unbestimmte Zeit und ist nach den gesetzlichen Fristen (in der Regel zwei Quartale) kündbar. Die Einhaltung der Schriftform ist komplexer als es scheint und daher fehleranfällig. Es müssen dazu alle wesentlichen Vertragsbestimmungen (insbesondere zu den Vertragsparteien, der Vertragslaufzeit, zur Lage und Konkretisierung des Mietobjektes und der Miete) schriftlich festgehalten sein. Insbesondere bei Vermietungen „vom Reißbrett“ ist die Bezeichnung der konkreten Lage und Ausstattung des Mietobjektes vor Fertigstellung anspruchsvoll. Oft wird auch die Miete auf Zuruf reduziert oder erhöht, ohne dies in einem Nachtrag schriftlich festzuhalten. Auch die Vereinbarung von Umbauleistungen durch den Vermieter ist schriftformrelevant. Durch die bei längerfristigen Mietverhältnissen zunehmende Anzahl von Nachträgen und Zusatzvereinbarungen ergeben sich weitere Fallstricke für die Einhaltung der Schriftform. Auch wenn die Anforderungen an die Einhaltung der Schriftform durch die sogenannte Auflockerungsrechtsprechung des Bundesgerichtshofes in den letzten Jahren immer weiter abgeschwächt wurden, ist es immer sinnvoll, langlaufende unwirtschaftliche Mietverträge auf Schriftformmängel zu prüfen. In der Regel wird bei professionell agierenden Vertragsparteien bei ernstzunehmenden Indizien für Schriftformmängel eine gerichtliche Auseinandersetzung vermieden und eine wirtschaftliche Einigung angestrebt.

4. Gestaltungsmöglichkeiten durch Insolvenz und Eigenverwaltung

Bei einem Filialportfolio mit einer größeren Anzahl notleidender Mietverhältnisse ist die Restrukturierung über ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung meist der effektivste und sinnvollste Weg für den Unternehmer. Die Instrumentarien des Insolvenzrechts ermöglichen eine umfassende Bereinigung des Filialportfolios um notleidende Standorte, um den Kern des Unternehmens zu erhalten. Der Mieter kann im Rahmen eines Insolvenzverfahrens mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende jedes Gewerberaummietverhältnis trotz abweichender vertraglich vereinbarter Festlaufzeit nach § 109 InsO kündigen. Ein etwaiger Schadensersatzanspruch des Vermieters kann lediglich zur Insolvenztabelle angemeldet werden. Dadurch bietet sich dem Filialisten die Möglichkeit zur schnellen und effektiven Sanierung und Konsolidierung seiner Standorte. Zudem schafft allein die gesetzliche Möglichkeit enormes Verhandlungspotenzial bei der Neuverhandlung von Mietkonditionen, da unrentable Standorte im Zweifel mit sehr kurzer Frist abgewickelt werden können. Viele Vermieter werden bereits zur Vermeidung von Leerstand bereit sein, eine deutliche Anpassung der Miethöhe und der Laufzeit zu akzeptieren.

Bei einem Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung bleibt die Geschäftsführung gemeinsam mit einem Sanierungsberater vollumfänglich handlungsbefugt und wird lediglich durch den Sachwalter kontrolliert. Dies ist insbesondere gegenüber Geschäftspartnern und Kunden ein großer Vorteil in der Außendarstellung. Auch die Geschwindigkeit des Verfahrens, die in der Regel auf einen Zeitraum von lediglich zwei bis drei Quartalen ausgelegt ist, führt in der Regel dazu, dass die negativen Effekte im Verhältnis zu Kunden und Partnern deutlich reduziert werden können.

Neben der Möglichkeit, auf diesem Weg unrentable Filialportfolien zu bereinigen, bietet ein Insolvenzverfahren die Möglichkeit, die Verbindlichkeiten umfassend zu bereinigen, notwendige Personalmaßnahmen unter der Nutzung insolvenzrechtlicher Erleichterungen umzusetzen und auf Dauer für das Unternehmen nicht tragfähige Schulden zu bereinigen und mit auf rentable Standorte reduziertem Filialportfolio neu durchzustarten.

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