Artikel erschienen am 01.05.2012
E-Paper

Das Zahnputztrauma

Zu viel oder zu wenig – wie viel Zahnpflege ist gut für die Zähne?

Von Andreas Ohnhäuser, Braunschweig

Das gesteigerte Mundgesundheitsbewusstsein und der Wunsch nach weißen Zähnen führen oft zu unbemerkten Schäden am Zahnfleisch und den Zähnen. Die längere Lebenserwartung und auch die mittlerweile längere Überlebensdauer der Zähne führen zwangsläufig zu einer über das Leben betrachtet höheren Putzdauer. Durch das öftere, intensivere und auch längere Putzen der Zähne kommt es häufig zu unwiederbringlichen Schäden der Zähne und des Zahnhalteapparates.

Warum eigentlich Zähneputzen?

Die anderen Säugetiere putzen sich schließ­lich auch nicht die Zähne und leiden trotzdem nicht unter nennens­werten Zahn­er­krankungen. Was ist bei uns Menschen anders?

Durch die kulturelle Entwicklung, vor allem der letzten 200 Jahre, hat sich auch unser Er­nähr­ungs­verhalten stark verändert. Zucker und in letzter Zeit auch säure­haltige Nahr­ungs­mittel haben einen wesentlich höheren Anteil als früher bei unserer Nahr­ungs­auf­nahme. Weiter­hin hat die Werbung den Wunsch nach Jugendlich­keit und strahlend weißen Zähnen gefördert. Hinzu kommt aufgrund der besseren medizinischen Versorgung eine fast doppelt so hohe Lebens­erwartung wie noch zu Beginn der menschlichen Entwicklung.

Plaque, ein Biofilm aus Bakterien, ist die Ursache von Karies und Parodontitis. Karies führt zu Zahnhartsubstanzverlusten und Parodontitis zum Abbau des Zahnhalteapparates. Beide Erkrankungen können zum Verlust der Zähne führen. Um die Lebenserwartung der Zähne an unsere gesteigerte Lebenserwartung anzupassen, ist es erforderlich, die Plaquemenge auf ein Maß zu reduzieren, das die Entstehung von Karies und Parodontitis gar nicht erst ermöglicht. Dies erreicht man langfristig nur über eine adäquate Mundhygiene. Nicht entfernte Plaque kann aber auch zu Mundgeruch (Halitositas) und zu Verfärbungen der Zähne führen. Um dies zu verhindern und das Wohlgefühl zu steigern, ist die Zahnpflege ein adäquates Mittel.

Was passiert beim Zähneputzen?

Das Ziel, die Plaquemenge dauerhaft ohne Nebenwirkungen auf eine nicht schädigende Menge zu reduzieren, können wir derzeit nur über die mechanische Entfernung des Biofilmes erreichen. Eine rein chemische Plaquereduktion ohne starke Nebenwirkungen ist zurzeit langfristig nicht möglich. In der Regel gebrauchen wir hierzu die Zahnbürste und Zahnpasta. Die Zahnpasta besteht aus Fettlösern, Putzpartikeln (Schleifkörper) und beigesetzten Wirkstoffen zum Schutz der Zähne. Mit der Zahnbürste und der Zahnpasta wird nun mechanisch die Plaque von der Zahnoberfläche gelöst, die Bakterien von den Fettlösern eingekapselt und danach mit dem Speichel aus der Mundhöhle befördert.

Symptome des Putztraumas

Es kommt vor allem zu Schäden am Zahnhalteapparat und den Zahnhartsubstanzen. Im Anfangsstadium sind häufig Mikroverletzungen des Zahnfleischsaumes und später auch Zahnfleischrückgang festzustellen. Dazu gehört meist auch ein nicht bakteriell bedingter Knochenabbau des Zahnhalteapparates. Es folgen Verluste von Zahnhartsubstanz an den Zahnoberflächen, die sich zu Mulden oder keilförmigen Defekten vergrößern. Überwiegend finden sich diese Defekte an den zur Wange geneigten Zahnaußenflächen. Später folgen oft Empfindlichkeitssteigerungen gegenüber Temperaturschwankungen und anderen Reizen wie sauren oder süßen Nahrungsmitteln und Getränken, da der Schutz durch Zahnhartsubstanz und Zahnfleisch des im Zahn befindlichen Nerven immer dünner wird. Gleichzeitig nimmt die freiliegende Zahnoberfläche zu und die Zahnpflege wird dadurch noch schwieriger. Das Risiko, an Karies oder Parodontitis zu erkranken, steigt.

Das Dilemma

Auf der einen Seite ist die Plaquereduktion wichtig, um bakteriell bedingte Erkrankungen und den Verlust von Zahnhartsubstanz und Zahnhalteapparat zu verhindern – aber ein Zuviel kann genauso zu nicht regenerierbare Schäden der Zähne und des Zahnhalteapparates führen. Die dadurch bedingten Putzmulden und verlängerten Wurzeloberflächen sind nun immer schwieriger zu pflegen. Die Folge: Man muss noch mehr putzen, ohne jedoch die Zähne noch mehr zu schädigen.

Häufig findet man neben Zahnputzschäden sogar im gleichen Gebiss auch Stellen, an denen es aufgrund „vergessener“ Bereiche zu plaquebedingten Schäden wie Karies und Zahnfleischentzündungen gekommen ist. Hier sollte man tatsächlich intensiver reinigen.

Ursachen

Die Frage ist also, wo die Balance zwischen der Widerstandsfähigkeit der Zahngewebe und der auf sie einwirkenden, beschädigenden Kräfte bei der Zahnpflege liegt.

Ein entscheidender beschädigender Faktor ist der Anpressdruck beim Zähneputzen. Der Druck ist umso höher, je stärker die Kraft ist, mit der man drückt, je kleiner das Borstenfeld, je härter die Borsten und je axialer die Borstenneigung zur Zahnoberfläche ist. Ein weiterer Faktor ist die Abrasivität der Zahnpasta. Sie ist abhängig von der Größe der in ihr enthaltenen Putzpartikel. Weiter spielt natürlich die tägliche Putzzeit eine entscheidende Rolle und auch die Einwirkung von Säuren, die den Zahnschmelz entmineralisieren und so seine Widerstandskraft reduzieren.

Widerstand dagegen bieten die Menge und Härte des Zahnschmelzes, die Dicke des Zahnfleisches und des darunterliegenden, die Wurzeloberfläche bedeckenden Kieferknochen. Die Stellung der Zähne im Kieferknochen spielen hier eine wichtige Rolle.

Ziel

Heute könnte das Ziel sein, bis zum 90. Lebensjahr noch 20 eigene Zähne zu erhalten. Denn dann wäre kein herausnehmbarer Zahnersatz notwendig und eine ausreichende Funktion bezüglich Nahrungszerkleinerung, Sprache und Mimik gegeben.

Die Balance finden

Um dieses Ziel zu erreichen, ist eine individuell abgestimmte Zahnpflege in Abhängigkeit von der persönlichen Zahnfleischrobustheit, dem Knochenenangebot und der freiliegenden Zahnoberflächenhärte erforderlich. Die Zahnbürste sollte hierzu nicht zu hart und in einem Winkel von 45 Grad zu den Außenflächen geneigt sein. Besonders exponierte Zähne, wie z. B. die Eckzähne oder andere herausragende Zähne, sollten bewusst mit weniger Kraft gereinigt werden. Die Zahnpasta sollte nicht zu grob sein. Die Neubildung von Plaque ist ein langwieriger Prozess und dauert auf einer gut gereinigten Zahnoberfläche ca. 2 Tage. Die Vermehrung von beim Zähneputzen übersehener Plaque jedoch schreitet sehr schnell voran. Was hat dies für Konsequenzen? Es reicht, wenn alle Zähne einmal am Tag an allen Zahnflächen gründlich und gleichmäßig von der Plaque befreit werden. Bei korrekter Umsetzung dieser Maßnahmen kann es sogar zu einem leichten Zurückwachsen des Zahnfleisches kommen. Auch die Zahnhalsempfindlichkeit reduziert sich im Allgmeinen. Verlorene Zahnhartsubstanz ist jedoch unwiederbringlich verloren.

Weit fortgeschrittene Defekte – wie z. B. starker Zahnfleischrückgang – können danach mittels Zahnfleischtransplantaten gedeckt werden. Tiefe Putzmulden können heute rein adhäsiv ohne weiteren Zahnhartsubstanzabtrag restauriert und die darunterliegende weiche Wurzeloberfläche vor den Belastungen der Zahnbürste geschützt werden.

Foto: Panthermedia/Thomas Lammeyer

Ähnliche Artikel

Gesundheit

Das Sanierungskonzept in der Zahnheilkunde

Sinnvoll aufeinander abgestimmte regenerative, restaurative und präventive Maßnahmen

Das Ziel des Sanierungskonzeptes ist es, in einem ersten Schritt die verloren gegangene Mundgesundheit durch regenerative Maßnahmen wiederzuerlangen, danach – falls vorhanden – irreversibel geschä­digte Zahnsubstanz durch restaurative Maßnahmen zu ersetzen und im Anschluss daran, fortwährend diesen Zustand durch präventive Maßnahmen zu erhalten.

Braunschweig 2014 | Andreas Ohnhäuser, Braunschweig

Gesundheit

Neue Möglichkeiten in der zahnmedizinischen Diagnostik

Reparatur und dauerhafter Erhalt von Zahnsubstanz

Der Schwerpunkt der aktuellen zahnmedizinischen Befundung liegt zurzeit in der Entdeckung irreversibel geschädigter, restaurativ zu versorgender Zahnsubstanz. Die qualitative Differenzierung zwischen „ist noch nicht“ oder „ist restaurationsbedürftig“ liegt hier in einer Ja-/Nein-Entscheidung. Das Ziel ist die restaurative Versorgung der entdeckten Schäden.

Braunschweig 2016/2017 | Andreas Ohnhäuser, Braunschweig