Geistig fit im Alter
„Der Herbst kann auch schön sein und uns wunderbare Früchte schenken“
Von Dr. med. Mohammad-Zoalfikar Hasan, Königslutter am Elm
In unserem Leben durchlaufen wir mehrere Entwicklungsphasen: Frühkindheit, Kindheit, Pubertät, Adoleszenz, Erwachsenenalter und Alter. Fehlentwicklungen in einer dieser Phasen können die nachfolgenden Phasen, einschließlich der letzten bzw. vorletzten (in diesem Fall ist der Tod die letzte Lebensphase) beeinträchtigen. Folgerichtig wäre davon auszugehen, dass der Grundstein des „Geistig-Fit-Seins“ im Alter in den vorangegangenen Phasen gelegt wird. Wir wissen, dass die Gehirnstrukturen und -netzwerke auch dynamisch sind und sich an Reize und veränderte Umweltbedingungen anpassen können. Auf Anforderungen und vor allem auf neue bzw. schwierige Aufgaben reagiert das Gehirn mit einer Steigerung der Hirnaktivität, Aktivierung anderer Hirnregionen und effektivere Beseitigung von Störfaktoren, um optimale Leistungen zu erzielen. Die Leistungen, Funktionen und Widerstandsfähigkeit des Gehirns scheinen durch Aktivität, Anforderungen und Training stärker zu werden. Es kommt zu einem Zuwachs entsprechender Gehirnnetzwerke und -regionen. Daraus kann man ableiten, dass alles, was das Gehirn und die geistige Tätigkeit fördert, die Erhaltung der geistigen Fähigkeit im Alter unterstützt.
Neben der Behandlung von körperlichen Erkrankungen, die die Gehirnstrukturen negativ beeinflussen können, wie z. B. Zuckerkrankheit, Bluthochdruck, Übergewicht, Durchblutungsstörungen etc., sind zur Erhaltung und Verbesserung der kognitiven Leistungen (kognitive Leistung sind die umfassenden Denkleistungen wie z. B. Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Orientierung, Handlungsplanung etc.) im Alter geistige, soziale, kommunikative, sportliche und andere körperliche Aktivitäten wichtig. An dieser Stelle ist die Bedeutung der sozialen Kontakte hervorzuheben. Die Einsamkeit des Menschen im höheren Lebensalter ist einer der Hauptgründe für dessen kognitive Leistungseinbußen. Soziale Kontakte reduzieren das Demenzrisiko, indem sie das logische Denken fördern, die sprachlichen Fertigkeiten und die Kommunikationsfähigkeit stärken sowie die Selbsthilfe mit entsprechender Verbesserung der Ziel- und der Handlungsorientierung unterstützen. Die medizintechnische Entwicklung z. B. in der Zahn-, Augen- und HNO-Heilkunde, in der Orthopädie, in der Ernährungs- und Sportmedizin und die moralischen und gesellschaftlichen Veränderungen in den letzten Jahren begründen die Hoffnung, dass die soziale Integration, die Lebensqualität, die Teilhabe an gesellschaftlichen Aktivitäten, die Mobilität, Vitalität und die geistigen Leistungen im Alter wesentlich länger als früher erhalten bleiben. Auch die bei vielen alten Menschen zu beobachtende Orientierung an der Vergangenheit kann durch Aufrechterhaltung der Selbstständigkeit einer Zukunft- und Gegenwartsorientierung weichen und das Selbstbild stärken. Gerade bei der Gestaltung der partnerschaftlichen Beziehungen sind alte Menschen glücklicherweise selbstbewusster geworden und gehen z. B. nach Verlust eines Partners viel häufiger als früher wieder eine neue partnerschaftliche Beziehung ein.
Fazit
In der Tat verändern sich im Alter die kognitiven Leistungen. Der alte Mensch ist aber in der Lage, diese Defizite durch Erfahrung, Zuverlässigkeit und Reife zu kompensieren. Wir alle wissen von Menschen mit hervorragenden kognitiven Leistungen im Alter. Wenn wir unser Gehirn beanspruchen, aktiv und kommunikativ bleiben, soziale Kontakte pflegen und notwendige Hilfen in Anspruch nehmen, dann haben wir gute Chancen, auch im Alter unsere Lebensqualität zu erhalten und Freude zu genießen. Denn das Alter ist der „Herbst des Lebens“ und „der Herbst kann auch schön sein und uns wunderbare Früchte schenken“.
Fotos: Panthermedia/Jeffrey van Daele, James Steidl