Artikel erschienen am 01.05.2012
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Genetisch bedingte Herzmuskelerkrankungen

Beunruhigendes Erbe

Von Prof. Dr. med. Rolf Engberding, FESC, Wolfsburg | Dr. med. Birgit Gerecke, Wolfsburg

Dass ein gesunder Lebensstil die Herzgesundheit wesentlich beeinflusst, ist heute jedem bekannt. Wer gesundheitsbewusst lebt, achtet auf Ernährung und Bewegung, raucht nicht und nutzt Vorsorgeuntersuchungen, um Veränderungen an Blutdruck und Blutfettwerten rechtzeitig erkennen und behandeln zu lassen.

Aber es gibt auch angeborene Erkrankungen des Herzmuskels, die Lebensqualität und Prognose wesentlich beeinflussen können. Diese Herzmuskelerkrankungen, die sogenannten Kardiomyopathien, sind Erkrankungen, bei denen der Herzmuskel in seiner Struktur und Funktion beeinträchtigt ist. Sie sind wesentlich seltener als die koronare Herzerkrankung einschließlich des Herzinfarkts und sind zum Teil genetisch bedingt. Ein anderer Teil wird erworben und bei einem weiteren Teil ist die Ursache nicht bekannt. Bei angeborenen Kardiomyopathien kommt es meistens nicht schon bei Geburt, sondern erst im Laufe des Lebens zu Beschwerden.

Die häufigste Form der angeborenen Kardiomyopathien ist die hypertrophe Kardiomyopathie (HCM) mit einer Häufigkeit von 1 – 2 pro Tausend Einwohner. Die HCM ist durch eine Verdickung des Muskels der linken Herzkammer charakterisiert. Lokalisation und Ausmaß der Wandverdickung sind dabei variabel. Die HCM tritt in 50 % der Fälle familiär auf, wobei in derselben Familie unterschiedliche Schweregrade vorkommen können. Es sind mehrere Hundert Mutationen an mehr als 27 Genen bekannt. Das Spektrum reicht von symptomlos Betroffenen bis zu hochgradig eingeschränkten Patienten mit Luftnot und Angina-Pectoris-Beschwerden unter Belastung, Schwindel, Palpitationen und gelegentlich Bewusstlosigkeiten. Die dramatischste Symp-tomatik ist der plötzliche Herztod. Der Tod tritt dabei häufig bei jungen und bis dahin vollständig beschwerdefreien Patienten vorwiegend bei oder nach starker körperlicher Belastung durch gefährliche Herzrhythmusstörungen auf. So ist die HCM die häufigste Todesursache bei plötzlich verstorbenen Leistungssportlern. Eine positive Familienanamnese für einen HCM-bedingten plötzlichen Herztod findet sich in etwa 25 % der betroffenen Familien. Es wird in diesen Fällen ein Verzicht auf Leistungs-, Kraft- oder Wettkampfsport empfohlen.

Farbdoppler-Echokardiogramm (Ultraschallbild vom Herzen) mit Darstellung der von Blut durchströmten aufgelockerten Anteile des Herzmuskels bei Noncompaction Kardiomyopathie (Schwammherz)

Die arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie (ARVCM) ist eine andere seltene genetisch bedingte Herzmuskelerkrankung. Bei der ARVCM wird im Laufe der Zeit immer mehr Muskulatur der rechten Herzkammer durch Fettgewebe ersetzt, wodurch sich die rechte Herzkammer vergrößert und in ihrer Funktion gestört wird. Auch diese Kardiomyopathie kann zu plötzlichen Herztodesfällen führen. Die Diagnose wird mittels Kardio-MRT und Echokardiographie gestellt.

Im Jahr 1984 wurde die sogenannte Noncompaction Kardiomyopathie (NCCM) von Rolf Engberding und Franz Bender an der Universitätsklinik Münster mittels Echokardiographie als neues Krankheitsbild erkannt und erstmalig beschrieben. Die NCCM ist eine genetisch bedingte Störung im Verdichtungsprozess des Herzmuskels. Dies führt zu einer schwammartigen Auflockerung der Wand der linken Herzkammer, besonders der Herzspitze. Daher wird die NCCM umgangssprachlich „Schwammherz“ genannt. Auch bei dieser Erkrankung sind verschiedene Gene betroffen und in derselben Familie können unterschiedliche Schweregrade des Krankheitsbildes auftreten. Betroffene Patienten zeigen in einem hohen Prozentsatz Symptome einer Herzschwäche unterschiedlichen Ausmaßes und verschiedenste Herzrhythmusstörungen. Durch den schwammartigen Umbau der Herzwand kann es in diesen Bereichen auch zu Blutgerinnseln kommen, die zu Schlaganfällen und anderen embolischen Ereignissen führen können. Aufgrund der noch nicht bekannten Häufigkeit und Prognose der Noncompaction Kardiomyopathie wurde von der „Arbeitsgemeinschaft Leitende Kardiologische Krankenhausärzte (ALKK)“ das deutsche NCCM-Register initiiert, das seinen Sitz in Wolfsburg hat und das als Referenzzentrum für diese Krankheit gilt (Auskunft unter: 05361 801280).

Genetische Kardiomyopathieformen haben eine große Variabilität im klinischen Erscheinungsbild. Da sie familiär gehäuft auftreten, wird eine Untersuchung mittels Echokardiographie auch von symptomlosen Angehörigen 1. Grades empfohlen. Durch eine frühzeitige Diagnose können notwendige Behandlungen rechtzeitig eingeleitet und Komplikationen vermieden werden. Die genetischen Diagnosemöglichkeiten dieser Erkrankungen entwickeln sich rasch. Dadurch kann zum Teil heute schon der Nachweis einer Erkrankung noch vor Auftreten von Symp­tomen erfolgen. Bei all diesen Krankheitsbildern muss eine Risikostratifizierung für bösartige Herzrhythmusstörungen erfolgen. Aufgrund der relativen Seltenheit und der Komplexität der Erkrankungsbilder brauchen Patienten mit angeborenen Kardiomyopathien eine engmaschige Betreuung in einem spezialisierten Zentrum.

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