Moderne Kinder- und Jugendzahnheilkunde
Ein Überblick
Von Ramin Omidi, BraunschweigDieser Artikel befasst sich primär mit der Prävention und Behandlung der Karies, da sie im Kinder- und Jugendalter die häufigste Erkrankung der Zähne ist. Gerade im ersten Lebensabschnitt ist die Einflussnahme seitens der Eltern maßgeblich und der Grundstein für gesunde Zähne wird bereits zu diesem Zeitpunkt gelegt.
Idealerweise beginnt der Einsatz der Prophylaxe schon vor Geburt des Kindes mit der Aufklärung der werdenden Mutter. Inhalt dieser Beratung sollte unter anderem ein Überblick über präventive Maßnahmen sowie die Entstehung von Karies sein.
Da Karies eine Infektionskrankheit ist, also sich das Kind im Laufe der ersten Lebensmonate durch Speichelübertragung mit den Bakterien ansteckt, ist es wichtig, dass die engsten Bezugspersonen selbst eine möglichst geringe Konzentration von Kariesbakterien im Mund haben. Bei Bedarf sollte während der Schwangerschaft (2. Trimenon) eine Sanierung der Zähne, mindestens aber eine professionelle Zahnreinigung erfolgen. Auch über die zahngesunde Ernährung des Kindes sollten die Eltern aufgeklärt werden.
Zahnärztliches Behandlungszimmer speziell für Kleinkinder eingerichtet. Instrumente und Materialien befinden sich außerhalb des Blickfeldes, der Fernseher an der Decke unterstützt die kommunikativen Ablenkungstechniken.
Angelehnt an das Kinder-Untersuchungsheft vom Kinderarzt gibt es in Niedersachsen, wie auch in vielen anderen Bundesländern, den Zahnärztlichen Kinderpass. Ähnlich den U-Untersuchungen werden hier in bestimmten Intervallen Kontrolltermine vorgeschlagen. Die gesetzlichen Krankenkassen sehen erst für den 30. Lebensmonat die Erstuntersuchung vor, empfohlen wird der Besuch beim Zahnarzt aber beim Durchbruch der ersten Milchzähne (6. bis 9. Monat). Hier steht zunächst die Beratung im Vordergrund, da mit den ersten Zähnen auch die regelmäßige Zahnpflege einsetzen soll. Im Besonderen ist die Gefahr der Zahnschädigung durch dauerhaftes Nuckeln von zuckerhaltigen Getränken (Schorle, auch mit wenig Saft, Eistee, Limonade, Milch, Kakao) zu nennen. Denn für die Entstehung von Karies ist nicht die Menge an Zucker (egal, ob Haushalts-, Frucht-, Trauben- oder Milchzucker) entscheidend, sondern die Häufigkeit des Verzehrs. So kann in längeren Pausen zwischen den Mahlzeiten der Speichel die durch Bakterien gebildeten Säuren neu-tralisieren.
Mit Hilfe eines Speicheltests hat man zu diesem Zeitpunkt schon die Möglichkeit, einen Hauptkeim für die Entstehung von Karies im Mund des Kindes nachzuweisen. Ist dieser Keim (Streptococcus mutans) nicht im Mund vorhanden, kann man mit „normalen“ präventiven Maßnahmen das Kariesrisiko gering halten. Sind die Bakterien jedoch nachweisbar, so ist das Risiko einer Karieserkrankung deutlich erhöht und eine weitergehende Prophylaxe empfehlenswert. Diese beinhaltet kürzere Kontrollintervalle, die Anwendung von antibakteriellen Lacken, altersgerechte professionelle Reinigung der Milchzähne sowie eine Versiegelung der Milchbackenzähne. Alle genannten Behandlungen sind jedoch reine Privatleistungen und nicht durch die gesetzliche Krankenversicherung abgedeckt. Diese sieht zwischen dem 30. und 72. Lebensmonat drei Untersuchungen vor. Ab dem 6. Lebensjahr können und sollten neben den halbjährlichen Kontrolluntersuchungen weitere präventive Maßnahmen in Anspruch genommen werden. Diese beinhalten die Aufnahme der Mundhygienesituation, sowie eine entsprechende Mundgesundheitsaufklärung. Die Zähne können halbjährlich mit Fluorid lackiert und die bleibenden Backenzähne versiegelt werden. Gerade die Versiegelung ist maßgeblich für den Kariesrückgang bei den 12-Jährigen in Deutschland verantwortlich, da hier eine der Hauptstellen für Karies, die tiefen Furchen auf der Kaufläche der Backenzähne, verschlossen wird. Leider ist es mit einer einmaligen Behandlung nicht getan, die versiegelten Backenzähne müssen auch regelmäßig kon-trolliert werden.
Trotz aller zahnärztlichen Möglichkeiten: der Grundstein für eine gute Ausgangssituation wird in der täglichen, häufig mühsamen Zahnpflege und bei der Mundhygiene zu Hause gelegt.
Die Lebensdauer der Milchzähne hat sich im Laufe der Menschheitsentwicklung nicht verändert. Sie fallen in der Regel zwischen dem 6. und 12. Lebensjahr aus und werden durch die bleibenden Zähne ersetzt. Aufgrund der deutlich gesteigerten Lebenserwartung in den letzten Jahrzehnten hat sich die Lebensdauer der bleibenden Zähne jedoch deutlich verlängert. Hatten die Zähne unserer Vorfahren eine Dauer von 30 bis 40 Jahren zu überbrücken, so hofft man heute, dass die Zähne idealerweise über 70 Jahre im Mund bleiben. Daher spielt neben der Vermeidung auch die frühzeitige Erkennung von Karies eine weitere wichtige Rolle. Denn je eher eine Karies entdeckt wird, desto schonender kann behandelt werden, und je später Zahnsubstanz verloren geht, desto länger kann der Zahn erhalten werden.
Zur frühzeitigen Erkennung von Karies steht uns heute eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Verfügung:
- Routinemäßig natürlich die visuelle Kontrolle, die mit einer Lupenbrille unterstützt werden kann.
- Für den Bereich der Zahnzwischenräume ist das Röntgen der Zähne eine zuverlässige diagnostische Methode. Ohne Röntgenstrahlung kommt die faseroptische Transillumination aus, bei der der Zahn mittels Licht durchstrahlt wird und die Karies als dunkler Fleck sichtbar ist.
- Für den Bereich der Kaufläche hat sich die Laserfluoreszenz als ergänzendes Hilfsmittel etabliert. Hierbei wird ein Licht bestimmter Wellenlänge ausgesendet und das „Echo“ am Gerät registriert. Das ist an kariösen Stellen anders als in gesunden Bereichen.
Wird nun an einem Zahn eine Karies diagnostiziert, muss eine Behandlungsplanung erstellt werden. Die hängt zunächst einmal vom Ausmaß der Karies ab.
Ist die Karies im Anfangsstadium und es ist noch kein „Loch“ im Zahn, muss mit dem Bohrer auch keins gemacht werden. Bakterien haben in dieser Phase Mineralien aus der Zahnoberfläche gelöst. Ziel der Behandlung ist es, dem Zahn vermehrt Mineralien zuzuführen. Dabei ist Fluorid in verschiedenen Konzentrationen und Darreichungsformen das Mittel der Wahl. Innovative Alternativen müssen sich noch in Langzeitstudien behaupten.
Ist die Karies bereits fortgeschritten, kann sie nur noch restaurativ, also mit einer Füllung behandelt werden. Dabei ist auf ein mikroinvasives Vorgehen – so viel wie nötig, so wenig wie möglich – zu achten. Auch bei der Kariesentfernung gibt es in Ansätzen mittlerweile vielversprechende Alternativen zum traditionellen Bohrer, z. B. einen Bohrer aus Polymer, der so hart bzw. weich ist, dass er nur kariöses Zahngewebe entfernen kann, oder die Anwendung bestimmter Laser, die zudem das lästige Bohrgeräusch durch ein leises Ticken ersetzen. Hohe Anschaffungskosten stehen einer breiten Anwendung jedoch zurzeit erschwerend im Weg.
Ist die Karies entfernt, muss die Kavität langanhaltend und dicht verschlossen werden. Auch hier steht mittlerweile eine Anzahl von Materialien zur Verfügung, je nachdem, wie gut das Kind bei der Behandlung kooperiert. Ist die Behandlung nur schwer möglich, setzt man Zemente ein, die sich relativ leicht einbringen lassen, aber nicht so haltbar sind. Komposite halten wesentlich länger, verlangen aber auch ein hohes Maß an Zusammenarbeit seitens des Kindes.
Bei allen hier erwähnten Behandlungsmöglichkeiten liegt die Entscheidung natürlich beim behandelnden Zahnarzt, der nach Auswertung der Befunde und Einschätzung der Situation die passende Option wählen kann.
Fazit
Die Vermeidung von Karies ist nur in enger Zusammenarbeit zwischen Eltern und Zahnarzt möglich. Im Vordergrund stehen umfassende Beratungen, die zahngesunde Ernährung und präventive zahnmedizinische Maßnahmen. Entscheidend ist die Etablierung einer regelmäßig guten und täglichen Mundhygiene, die bereits ab dem ersten Zahn einsetzten sollte.
Info
Laut Weltgesundheitsorganisation WHO ist Karies weltweit die am häufigsten verbreitete Infektionskrankheit sowie die häufigste Kindererkrankung. In den letzten Jahrzehnten sind in Deutschland enorme Anstrengungen unternommen worden, diese Krankheit flächendeckend zu minimieren. Vorläufiges Ergebnis ist laut der Mundgesundheitsstudie IV aus dem Jahr 2005, dass 70 % der 12-Jährigen keine Karies haben. Im Vergleich zur letzten Studie von 1997 ist der Kariesbefall in dieser Altersgruppe um fast 60 % zurückgegangen. Wesentliche Ursachen dafür sind regelmäßige zahnärztliche Kontrolluntersuchungen als auch die Inanspruchnahme von vorbeugenden Maßnahmen. Leider liegt die Quote der kariesfreien 16-Jährigen „nur“ noch bei 46 %.