Artikel erschienen am 10.05.2013
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Alkoholabhängigkeit – harmlose oder ernsthafte Krankheit?

Von Dr. med. Akram Iskandar, Königslutter am Elm

Die Alkoholabhängigkeit entwickelt sich chronisch und wird oft aufgrund der gesellschaftlichen Toleranz sehr spät erkannt. 7,4 % der gesundheitlichen Störungen und vorzeitigen Todesfälle gehen auf Alkoholabhängigkeit zurück; Alkoholabhängigkeit steht an dritter Stelle der Ursachen für einen vorzeitigen Tod. 50 % aller strafbaren Handlungen sind im Zusammenhang mit Alkohol zu sehen. Allein anhand dieser alarmierenden Daten ist zu erkennen, dass die Alkoholabhängigkeit eine ernst zu nehmende Erkrankung mit weitreichenden gesundheitlichen und gesellschaftlichen Folgen darstellt.

Wie wird Alkoholabhängigkeit definiert?

Alkoholkrank ist nur, wer sich durch Alkohol somatisch, psychisch oder sozial schädigt. Es wird zwischen Alkoholmissbrauch und Alkoholabhängigkeit unterschieden. Die Grenze zwischen Missbrauch und Abhängigkeit ist fließend. Unter Alkoholmissbrauch versteht man ein schädliches Konsumverhalten ohne physische oder psychische Abhängigkeit. Von Alkoholabhängigkeit nach der internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) spricht man, wenn mindestens drei der folgenden Kriterien erfüllt sind:

  • starkes Verlangen oder eine Art Zwang, Alkohol zu konsumieren,
  • verminderte Kontrollfähigkeit in Bezug auf Menge, Beginn oder Ende des Konsums,
  • körperliche Entzugserscheinungen bei Konsumstopp oder Konsumreduktion,
  • Toleranzentwicklung, d. h., immer mehr Alkohol ist nötig, um den Rauschzustand zu erreichen
  • Vernachlässigung anderer Interessen zugunsten des Alkoholkonsums,
  • anhaltender Substanzkonsum trotz eindeutig schädlicher Folgen (wie z. B. Leberschädigung, depressive Verstimmungen).

Die häufigsten Entzugssymptome des Alkohols sind Unruhe, Schlafstörungen, Schwitzen und Tremor. Bei schweren Verläufen kann es zu Krampfanfällen bis hin zum Delirium tremens mit Bewusstseins- und Orientierungsstörung, Wahn und anderen psychotischen Symptomen kommen.

Die Ursachen einer Alkoholkrankheit sind komplex. Wir gehen von einer multifaktoriellen Genese aus, wo neben der Alkoholwirkung u. a. auch soziale, biografische, persönlichkeitsspezifische, genetische und neurobiologische Faktoren eine Rolle spielen sowie Drogenwirkung, die sich angstlösend oder kontaktfördernd auswirkt. In konflikthaften und emotional belastenden Situationen versuchen einige Menschen, sich durch die angstlösende und enthemmende Alkoholwirkung rasche, aber bekanntlich nur kurz andauerende Hilfe zu verschaffen.

Verlauf der Alkoholkrankheit

  1. Präalkoholische Phase: gehäuftes Erleichterungstrinken
  2. Prodromalphase: heimliches Trinken, dauerhaftes Denken an Alkohol, gieriges Trinken, Vorratsammlung, Meidung des Themas Alkohol
  3. Kritische Phase: Stimmungsschwankungen, erfolglose Abstinenzversuche, Kontrollverlust, Interesseneinengung
  4. Chronische Phase: deutliche Schädigungsfolgen, Abnahme der Alkoholverträglichkeit, morgendliches Trinken, verlängerter Rausch, sozialer Abstieg und Persönlichkeitsabbau bzw. -veränderung

Formen des Alkoholismus

Es wurde immer wieder versucht, Subtypen der Alkoholabhängigkeit herauszuarbeiten. Eine große Bedeutung kommt der Definition durch Jellinik (1960) zu. Nach Jellinik werden folgende Formen des Alkoholismus beschrieben:

  1. Alpha-Alkoholismus: Problem- und Erleichterungstrinken
  2. Beta-Alkoholismus: Gelegenheitstrinken
  3. Gamma-Alkoholismus: süchtiges Trinken, zuerst psychisch, dann auch physisch abhängig, Kontrollverlust, kurze Abstinenzphasen
  4. Delta-Alkoholismus: Gewohnheitstrinken (Spiegeltrinker), kontinuierlicher Alkoholkonsum
  5. Y-Trinker (Quartalstrinker): periodisches Trinken, mehrtägige Exzesse mit Kontrollverlust, häufig verbunden mit psychischer Erkrankung, Depression oder Manie etc.

Behandlung der Alkoholabhängigkeit

Alkoholabhängigkeit ist eine schwere und multifaktorielle psychiatrische Erkrankung und bedarf deshalb multiprofessioneller Behandlungsmaßnahmen.

1. Zu Beginn steht die Entzugstherapie: In der Regel stationär, hier konzentriert man sich auf körperliche und psychische Folgeschäden des Alkoholismus. Es geht um die Diagnostik und Behandlung der körperlichen Komplikation wie die o. g. Entzugssymptome (Schwitzen, Zittern, Kreis­laufstörung, Wadenkrämpfe), Polyneuropathie (Schädigung des peripheren Nervensystems) mit Taubheitsgefühlen und andere Missempfindungen und Potenzstörungen, Leber-, Magen-, Gehirn- und Herzschäden. In der Entzugstherapie geht es auch darum, die Krankheitseinsicht und die Therapiemotivation zu stärken und die Betroffenen auf weitere therapeutische Maßnahmen vorzubereiten.

2. Entwöhnungsphase in dafür zugelassenen Fachkliniken, wo nicht die rein medizinische, sondern die psychotherapeutische und sozialtherapeutische Behandlung in Vordergrund stehen. Diese Maßnahmen sind auch ein wichtiger Bestandteil der Akutbehandlung, vor allem in der sogenannten „qualifizierten Entgiftung“.

3. Nachsorge durch Selbsthilfegruppen, Suchtberatungsstellen, Suchtambulanzen und ambulante Psychotherapie. In einigen Fällen sind Heimunterbringung und die Errichtung einer juristischen Betreuung nicht zu vermeiden.

Wie soll man mit Menschen mit Alkoholproblemen umgehen?

Bei so einer schweren und komplexen psychiatrischen Erkrankung wie der Alkoholabhängigkeit ist es schwierig, eine allgemeingültige Empfehlungen zu geben. Es kann formuliert werden, dass zunächst die Diagnose medizinisch gesichert wird; die Komorbidität (Begleiterkrankung) mit anderen psychischen Erkrankungen wie Psychose, Depression, Angst oder Trauma sollte nicht außer Acht gelassen werden. Respektvoller Umgang mit den Betroffenen entscheidet darüber, ob sie zu Verhaltensänderungen motiviert und therapeutisch erreicht werden können. Sachlicher, geduldiger, konsequenter, offener, kritischer, aber hoffnungsgebender und unterstützender Umgang mit den Betroffenen ist Voraussetzung für die Annahme der notwendigen therapeutischen Maßnahmen. Moralisieren, Stigmatisieren, Übertreiben oder Relativieren bzw. Verleugnen führen nicht zum Ziel. Mit Zustimmung der Betroffenen ist die Einbeziehung des sozialen Umfeldes sehr hilfreich.

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