Artikel erschienen am 16.05.2014
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Das Sanierungskonzept in der Zahnheilkunde

Sinnvoll aufeinander abgestimmte regenerative, restaurative und präventive Maßnahmen

Von Andreas Ohnhäuser, Braunschweig

Das Ziel des Sanierungskonzeptes ist es, in einem ersten Schritt die verloren gegangene Mundgesundheit durch regenerative Maßnahmen wiederzuerlangen, danach – falls vorhanden – irreversibel geschä­digte Zahnsubstanz durch restaurative Maßnahmen zu ersetzen und im Anschluss daran, fortwährend diesen Zustand durch präventive Maßnahmen zu erhalten.

Erkrankung – eine Störung der biologischen Balance

Betrachtet man Erkrankungen einmal als eine Balancestörung zwischen dem eigene Körper mit seinem Abwehrsystem und den ihn umgebenden Umweltfaktoren bezogen auf ein Organ, so ergibt sich folgendes Bild: In dem speziellen Fall von Karies geht es um die Balance des Mineralisationsgleichgewichtes zwischen Zahnhartsubstanz und dem Speichel. Es beruht auf der Erkenntnis, dass Bakterien, die in Form von Plaque auf den Zähnen haften, Zucker und Kohlenhydrate (Umweltfaktoren) zu Milchsäure verarbeiten können. Diese Milchsäure führt dann zu einem Auflösen (Demineralisation) der Zahnoberfläche unterhalb der Plaque. Die Zahnoberfläche wird porös. Ist dieser Vorgang beendet und der Speichel (das körpereigene Abwehrsystem) umspült wieder den Zahn, dreht sich der Prozess um. Mineralstoffe aus dem Speichel werden nun wieder in die Zahnoberfläche eingebaut (vollständige Remineralisation = Heilung oder bei weiter fortgeschrittenen Defekten unvollständige Remineralisation = Reparatur-Narbenbildung) und nach einer gewissen Zeit ist die Wunde im Zahn wieder verschlossen. Liegt eine Fluoridionenschicht auf der Zahnoberfläche vor, beschleunigt diese die Remineralisationsvorgänge erheblich. Reicht die Zeit jedoch nicht für eine vollständige Remineralisation der Zahnoberfläche und kommt es aufgrund von erneuter Zuckerzufuhr zur nächsten Demineralisation, bevor der Defekt vollständig ausgeheilt ist, vergrößert sich der Defekt im Zahn. Es liegt einen Dysbalance im Mineralisationsgleichgewicht vor. Das Leitsymptom ist hier der fortwährende Mineralverlust. Bei der Zahnfleischentzündung führen Stoffwechselprodukte, die Bakterien aus der zahnfleischnahen Plaque absondern, zu einer verstärkten Abwehrreaktion des Zahnfleisches, die sich nach außen durch leichte Schwellung, Rötung und erhöhte Blutungsneigung äußert. Rezeptoren im Zahnfleisch registrieren die von den Bakterien abgegebenen „Giftstoffe“, und sorgen dafür, dass das Zahnfleisch besser durchblutet wird. Dadurch gelangen mehr Abwehrzellen des Immunsystems in die gefährdete Region und können so dem Angriff der Bakterien begegnen, mit dem Ziel, die Bakterien so weit zu reduzieren, dass ein Eindringen in die Zahnfleischfurche mit folgendem Knochenabbau (Parodontitis) nicht möglich ist. Ein Leitsymptom hier ist die Blutungsneigung.

Diagnostik und Therapieplanung

Ein Symptom ist ein Zeichen, das auf eine Erkrankung hinweist. Es hilft dem Arzt, die Erkrankung festzustellen und eventuell auch den Erkrankungsgrad zu bestimmen. Um die Erkrankung jedoch zu heilen, ist es wichtig, auch die am Krankheitsprozess (Balancestörung) beteiligten Faktoren zu ermitteln. Am Beispiel von Karies wäre z. B. das Symptom der fortwährende Mineralverlust der Zahnhartsubstanz und die beteiligten ursächlichen Faktoren wären Kohlenhydrate und Plaque auf der Seite der „angreifenden Faktoren“ und Speichel und Fluorid auf der Seite der „abwehrenden Faktoren“. Bei der Zahnfleischentzündung wäre ein Symptom die erhöhte Blutungsneigung und die Balance beeinflussenden Faktoren die zahnfleischnahe Plaque auf der Seite der angreifenden Faktoren und das zahnfleisch-eigene Immunsystem auf der Seite der abwehrenden Faktoren.

Für eine fundierte Planung im Sinne eines Sanierungskonzeptes ist es nötig, möglichst all diese Faktoren für mögliche Störungen der Mundgesundheit zu ermitteln. Weitere Beispiele wären Erosionsstörungen, Zahnputzschäden, Parodontitis und Überlastungen des Kausystemes durch Pressen oder Knirschen. Bei Erkrankungen, die zu irreversiblen Gewebeschäden führen können, hat auch die Dauer der Balancestörung einen Einfluss auf das Ausmaß der Schädigung. Die Stärke der Balancestörung mulipliziert mit deren Dauer ergibt hier das Ausmaß der Schädigung. Ein weiterer wichtiger Befund ist also auch die Dauer der Balancestörung.

1. Phase – Regeneration und Reparatur

Oberstes Ziel therapeutischer Maßnahmen ist die Wiederherstellung der verloren gegangenen Balance – entweder durch Reduktion der angreifenden Faktoren oder durch Verstärkung der Abwehrfaktoren, um die Gesundheit wiederzuerlangen und weitere Schädigungen zu vermeiden. Bei einer Zahnfleischentzündung bedeutet dies, die Menge an zahnfleischnaher Plaque auf ein Maß zu reduzieren, welches zu keiner Reizung des Zahnfleisches führt und somit ein Eindringen von Bakterien in die Zahnfleischfurche unmöglich macht (durch Optimierung der täglichen Zahnpflege). Denkbar wäre auch eine dauerhafte Verstärkung des zahnfleischeigenen Immunsystems. Hierfür stehen uns bisher jedoch noch keine therapeutischen Möglichkeiten zur Verfügung. Das Ergebnis wäre eine Heilung im Sinne der vollständigen Wiederherstellung der Zahnfleischgesundheit ohne irreversible Schäden am Zahnfleisch.

Befindet sich der Patient auf der demineralisierenden Seite des Mineralisationsgleichgewichtes (Karies) und will er gesund werden, so sind hier Maßnahmen, die dem Körper bei der Heilung und Reparatur der Schäden helfen, erforderlich. Eine Umkehrung der Balancestörung ist das Ziel. Eine Möglichkeit ist es, die demineralisierenden Vorgänge zu reduzieren, hauptsächlich durch seltenere Zuckerzufuhr und eine Verringerung der Plaquemenge. Aber auch die Remineralisation kann verstärkt werden. Die Speichelproduktion kann durch Kauen (z. B. Kaugummi) erhöht und das Fluoridangebot so oft optimiert werden. Bei sehr kleinen kariesbedingten Defekten ist die vollständige Remineralisation möglich (Heilung), bei weiter fortgeschrittenen Defekten ist ein Verschluss der obersten Defektschicht noch möglich, allerdings wird der Defekt nicht vollständig remineralisiert (Reparatur-Narbenbildung). Bei großen Defekten mit Einbruch der Zahnoberfläche ist keine Remineralisation mehr möglich und restaurative Maßnahmen sind erforderlich, um die verloren gegangene Zahnsubstanz zu ersetzen (Rehabilitation).

Als beispielhafte Maßnahmen zur positiven Beeinflussung der biologischen Balance in der Mundhöhle sei hier die Optimierung der Zahnpflege und das Anpassen der Ernährungsgewohnheiten bezüglich der Häufigkeit der Zucker-/Kohlenhydrataufnahme und der Umspülung der Zähne mit Säuren (Lebensmittel oder Magensäure bei Magensäurereflux oder Bulämie) genannt. Auch die Optimierung des Fluoridangebotes und die Reduktion der abrasiven Belastung (harte Zahnbürste, raue Zahnpasta, hoher Putzdruck) der Zahnoberflächen gehören dazu.

Sind alle erforderlichen Maßnahmen zur Wiederherstellung der biologischen Balance in der Mundhöhle eingeleitet, erfolgt nach einer Zeitspanne der Durchführung eine erneute Untersuchung der Mundgesundheit. Erst dann, wenn keine weiteren Balancestörungen mehr festzustellen sind, sind restaurative Maßnahmen dauerhaft erfolgversprechend und es erfolgt der Übergang in die zweite Phase (restaurative Phase).

2. Phase – Restauration / Rehabilitation

Das Ziel der restaurativen Phase ist es, irreversibel verloren gegangene Zahnhartsubstanz und verloren gegangenen Zahnhalteapparat durch Fremdmaterial zu ersetzen und die Funktion des Kausystems wiederherzustellen (Rehabilitation). Zur Funktion der Zähne gehören neben dem Kauen auch das Sprechen (Phonetik) und die Mimik (Ästhetik). Man kann die restaurativen Maßnahmen in festsitzende und herausnehmbare Konstruktionen unterteilen. Zu den festsitzenden Restaurationen gehören z. B. Kronen/Teilkronen und Brücken. Wenn aufgrund von Zahnverlust zu wenig Pfeiler/Zahnhalteapparat für Brücken zu Verfügung stehen, können diese durch im Kieferknochen verankerte Implantate (künstliche Zahnwurzeln) ergänzt werden. Diese Restaurationen können dann mit Zement, adhäsiv oder bei Implantaten auch mit Schraubverbindungen auf dem Pfeiler befestigt werden. Stehen zu wenig Pfeiler für eine festsitzende Restauration zur Verfügung und eine Pfeilervermehrung durch Implantate kommt nicht infrage, können die fehlenden Zähne auch durch herausnehmbaren Zahnersatz ergänzt werden.

3. Phase – Prävention

Ist nun die Mundgesundheit wiederhergestellt (Phase 1) und die Funktion des Kausystems rehabilitiert (Phase 2), schließt sich die Erhaltungsphase (Phase 3) an. Das Ziel ist es, die zurückgewonnene Mundgesundheit nun durch eine Stabilisierung der biologischen Balance dauerhaft zu erhalten.

Hilfreiche Maßnahmen sind hier die regelmäßige Überwachung und Dokumentation von Krankheitssymptomen und den an der Balance beteiligten Faktoren. Neben der Momentaufnahme eines Untersuchungsbefundes sind hier Verlaufsbeo-bachtungen der Befunde über einen längeren Zeitraum eine sehr wertvolle Ergänzung für die Diagnostik und Prognosebestimmung der Gesundheit/Erkrankung. Ist es doch zu einer erneuten Balancestörung in Richtung Erkrankung gekommen, müssen Gegenmaßnahmen rechtzeitig eingeleitet werden. Der Abstand der Untersuchungen sollte so gelegt werden, dass es auf keinen Fall zu irreversiblen Schädigungen der Zähne oder des Zahnhalteapparates kommt.

Weiterhin können Maßnahmen zur Risikosenkung durch Eliminierung von nicht direkt am Gleichgewicht beteiligten Risikofaktoren oder weitere Verschiebung der Balance zur gesunden Seite, mit dem Ziel eine größere Sicherheitsreserve für die Balance gefährdende Faktoren zu schaffen, durchgeführt werden. Hierbei handelt es sich um präventive Maßnahmen („Kann-Maßnahmen“), die nicht zwingend zur Erhaltung der Mundgesundheit erforderlich sind, aber stabilisierend auf die Mundgesundheit wirken. Ein Beispiel ist hier die professionelle Zahnreinigung. Ihr Ziel ist es raue, mineralisierte Plaque (Zahnstein) oberhalb wie unterhalb des Zahnfleischsaumes zu entfernen, um so dem Patienten die Zahnpflege auf den geglätteten Zahnoberflächen zu erleichtern. Hierzu zählen auch die Überarbeitung überstehender Restaurationsränder. Neben der Verlaufsbeobachtung, Gesundheitsempfehlungen und den präventiven Maßnahmen darf der motivierende Einfluss dieser Maßnahmen gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, denn die Gesundheit herstellen und erhalten kann nur der Patient selbst.

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