Artikel erschienen am 16.05.2014
E-Paper

Tinnitus – Verlust der Stille

Von Andreas Posimski, Braunschweig

Jeder vierte Deutsche hatte schon mal ein solches Fiepen oder Klingeln im Ohr. Bei den meisten Menschen verschwinden die Geräusche nach kurzer Zeit wieder. Etwa 3 Mio. Menschen müssen allerdings damit leben, dass der Ton, den nur sie selbst wahrnehmen können, bleibt. Manche gewöhnen sich daran, andere leiden massiv.

In der Fachsprache wird zwischen einem kompensierten und einem dekomponierten Tinnitus unterschieden. Die Wissenschaft geht von zwei möglichen Ursachen aus: Zum einen könnte eine Schädigung oder ein Absterben der Haarsinneszellen dafür verantwortlich sein. Übermäßiger Lärm zum Beispiel nach einem Diskothekenbesuch oder einem Rockkonzert, ein naher Silvesterknaller oder ein großer Lärm bei einem Autounfall können einen schrillen Piepton als Höreindruck erzeugen. Ebenso können Mittelohrentzündungen, andere Infektionen oder ein Hörsturz die Sinneszellen schädigen und den Dauerton auslösen. Durch den Lärm oder die Erkrankung haben die feinen Sinneszellen im Ohr einen Schaden erlitten. Die Folge: Im Gehör kommen nicht mehr alle Töne von außen an. Das Gehirn versucht den akustischen Mangel mit eigenen Geräuschen auszugleichen – es entsteht der Tinnitus als eine Art Phantomgeräusch.

Zum anderen könnten Nervenzellen im zentralen Hörsystem Informationen „von ihren Nachbarn aufnehmen“, die nichts mit dem Gehör zu tun haben, z. B. bei Kiefer- und Muskelverspannungen.

Viele Tinnituspatienten leiden außerdem an fortschreitender Lärmempfindlichkeit, der sog. Hyperakusis (eine unverhältnismäßige Lautstärkewahrnehmung bei normalen Geräuschpegeln). Dieses kann unter anderem auch zu einer Verstärkung der Lautheitsempfindung des Tinnitus führen. Ein Tinnitus kann so zu einer zunehmenden psychischen Belastung werden und die Lebensqualität extrem beeinflussen.

Ob der lästige Ton wieder verschwindet, hängt auch davon ab, wie Betroffene mit dem Ton im Ohr umgehen. Wer den Tinnitus als besonders störend und beängstigend empfindet, dessen Gehirn interpretiert das Fiepen als Alarmsignal und ordnet an, noch genauer hinzuhören. Das Geräusch wirkt dadurch lauter und bedrohlicher.

Ein Teufelskreis setzt ein, den es möglichst zu unterbrechen gilt. Tönt es erst seit drei bis sechs Tagen im Ohr, geben Mediziner heutzutage Kortison gegen den inneren Lärm. Oft sind nach ca. zehn Tagen bei vielen Patienten die Beschwerden abgeklungen. Hält ein Tinnitus länger als sechs Monate an, gilt er als chronisch und ist nicht mehr heilbar. Medikamente bringen nur noch sehr selten eine Linderung.

Oft helfen Hörgeräte

Neun von zehn Tinnitus-Patienten sind schwer­hörig, oft ohne sich dessen bewusst zu sein, da eine Schwerhörigkeit meist ein schleichender Prozess ist. Vielfach kann ihnen mit einem Hörgerät unkompliziert geholfen werden. Umgebungsgeräusche und Sprache werden durch den ausgeglichenen Hörverlust wieder deutlicher wahrgenommen und der Tinnitus wird so in den Hintergrund gedrängt. Zahlreiche Erfahrungen haben gezeigt, dass in Fällen, in denen eine Hörminderung früh erkannt wird, auch eine Terzo-Gehörtherapie dazu beitragen kann, den nachlassenden Prozessen der Hörverarbeitung, die aus dem Hörverlust resultieren, ent­gegenzuwirken und eine Verschlechterung des Sprachverstehens aufzuhalten. Es gibt also die Hoffnung, dass auch beim Zusammenspiel von Tinnitus und Schwer­hörigkeit dadurch das Hören und Verstehen wieder deutlich verbessert und so das Ohrgeräusch in den Hintergrund gedrängt werden kann.

Empfehlenswert ist es für alle Tinnitus-Betroffenen, durch einen Hörtest eine eventuell vorhandene Hör­minderung feststellen zu lassen. Patienten ohne Hörminderung kann ein sogenannter Noiser (ein Rauschgerät) helfen, den Tinnituston in den Hintergrund zu drängen. Die Hörgeräteakustiker und Gehörtherapieberater eines Terzozentrums Ihres Vertrauens sind speziell im Bereich Tinnitus fortgebildet und beraten Sie gerne umfangreich. Es besteht so z. B. oftmals die Möglichkeit, kostenlos Hörgeräte und Tinnitusnoiser zu testen.

Prinzipiell ist es wichtig, gleich zu Beginn des Tinnitus eine HNO-fachärztliche Untersuchung vornehmen zu lassen, um eine mögliche Ursache zu finden bzw. Erkrankungen des Ohres auszuschließen.

Ähnliche Artikel

Gesundheit

Moderne Therapie der Schwerhörigkeit

Ist bei Schwerhörigkeit das Innenohr (Cochlea) betroffen, ist zunächst eine Verstärkung des Schalls mittels Hörgeräte notwendig. Bei kombinierter Schwerhörigkeit kommen implantierbare Hörgeräte zum Einsatz. Wenn so kein ausreichendes Sprachverständnis erzielt werden kann, insbesondere bei hochgradiger Schwerhörigkeit oder auch bei ein- oder beidseitiger Taubheit, werden Cochlea-Implantate als sinnvoll erachtet.

Braunschweig 2016/2017 | Prof. Dr. med. Omid Majdani, Wolfsburg

Gesundheit

Wer schlecht hört, baut früher ab

Zusammenhang zwischen Hörverlust, Demenz und Alzheimer

Wenn Senioren immer schlechter hören, leidet das Sozialleben. Aber nicht nur das, auch ihr Gehirn trägt Spuren davon: Bei den Betroffenen verringern sich die geistigen Fähigkeiten wesentlich schneller als bei gut hörenden Altersgenossen. Das ist das Ergebnis einer Studie der John Hopkins Universität in Maryland.

Braunschweig 2014 | Andreas Posimski, Braunschweig | Sylke Posimski, Braunschweig