Artikel erschienen am 29.05.2015
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Dranginkontinenz ist heilbar

Von Dr. med. (Univ. Belgrad) Branko Milkanovic, Braunschweig

Wollen wir über das Tabuthema „Harninkontinenz“ sprechen? Die Betroffenen verheimlichen ihr Leiden gegenüber ihrer Umgebung, weil sie sich schämen, inkontinent zu sein. Allein in Deutschland leiden Millionen Frauen darunter.

Die hier angesprochene Dranginkontinenz, eine Form der Harn­inkontinenz, kann verschiedene Ursachen haben. So können chronische Blasen­entzündungen, Blasensteine, Nerven­er­krank­ungen oder auch Stoffwechselstörungen Auslöser sein. Eine weitere Ursache können aber auch – durch Geburten, Operationen oder Übergewicht – gedehnte oder verletzte Becken­bodenbänder sein. Verlieren die Haltebänder, auf denen die Organe der Frau (Uterus, Vagina, Blase und Rektum) lasten, ihre Spannkraft, senken sich die Organe ab. Durch diese veränderte Anatomie, ausgelöst durch die verletzten oder überdehnten hinteren Haltebänder (Mutterbänder = Ligamentum sacrouterinum), wird die Blasen­funktion gestört und es kann zu einer Drangin­kontinenz kommen. Die Frequenz der Häufigkeit des Urinlassens ist dabei abhängig von der Blasen­kapazität und nervalen Regulation.

Die Dranginkontinenz ist nicht zu verwechseln mit der Stress- oder Belastungs­inkonti­nenz, unter der man den unkontrollierten Urinverlust bspw. beim Husten, Niesen, Treppensteigen oder abrupten Körper­bewegungen versteht. Für diese Form der Inkonti­nenz, bei der die vorderen Bänder in Richtung des Blasen­halses defekt sind, gibt es, anders als bei der Drang­in­kontinenz, seit längerer Zeit effektive Therapie­möglich­keiten, bspw. durch eine TVT (=Tension-free vaginal tape)-Operation.

In mehreren diagnostischen Schritten wird die Inkontinenzform abgeklärt, gesichert und versucht, zunächst konservativ zu therapieren (medikamentös, physio­thera­peutisch, ggf. mit Elektrostimulation). Erst wenn alle konservativen Maßnahmen ausgeschöpft sind und keine Besserung erzielt wurde, kommt das invasive Operations­verfahren CESA/VASA zur Behebung der Drangin­kontinenz für die Patientinnen infrage, bei denen die Haltebänder geschädigt sind. Aller­dings wird Patientinnen mit einer Kontraindikation wie bspw. starkem Übergewicht von dem Operations­verfahren abgeraten.

Die OP-Methode wird nach folgendem Prinzip durchgeführt: Da es nicht möglich ist, die beschädigten oder gerissenen Haltebänder zu straffen, werden diese durch spezielle künstliche, sog. textile Implantate, ersetzt. Diese Kunststoff­bänder werden exakt an der Stelle angenäht, wo die ursprünglichen Bänder saßen. Die Organe werden dadurch wieder in ihre vorherige, also korrekte Position gebracht, um die Funktion wieder­her­zustellen.

Bei den meisten Patientinnen ist es ausreichend, die hinteren Haltebänder zu ersetzen, um die Dranginkontinenz zu heilen. Ob dies der Fall ist, zeigt sich direkt nach der Operation.

Mit der Operations­methode CESA/VASA, die von Prof. Dr. med. Wolfram Jäger an der Universitäts­klinik Köln entwickelt wurde, kann Frauen, bei denen die Dranginkontinenz aufgrund einer Schädigung der Beckenbodenbänder aufgetreten ist, wirksam geholfen werden. Studien und medizinische Erfahrungen zeigen Erfolgsraten von 75 % – drei von vier Frauen können anschließend deutlich mehr Lebensqualität genießen. Zudem ist das Verfahren von den Krankenkassen offiziell anerkannt.

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