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Zum Zahnarzt mit Kopf- und Rückenschmerzen

Von Thomas Blumenberg, Braunschweig

Macht das Sinn? Ja, wenn andere Ursachen für Kopfschmerzen, wie z. B. Bluthochdruck oder Tumore, abgeklärt wurden. Rückenschmerzen und Zähne können in einem Zusammenhang stehen. Die moderne Zahnheilkunde hat sich von der symptomatischen und prophylaktischen Behandlung des Mundes zu einer Disziplin verändert, die auch ihre Verantwortung für den Rest des Körpers erkennt. Prof. Meyer, Greifswald: „Das Kauorgan ist mehr als eine Kiste voller Zähne.“

Der zentrale Begriff ist in diesem Zusammenhang die „craniomandibuläre Dysfunktion“, kurz CMD. Er bedeutet, dass das harmonische Zusammenwirken zwischen Zähnen, Muskeln und Kiefergelenken aus der Balance geraten ist. Am Beispiel einer typischen Situation sei der Zusammenhang zur Rückenproblematik dargelegt.

Auf einer Seite des Kiefers ist der Zahnkontakt verlorengegangen, z. B. durch Extraktion von Zähnen. Um nun beim Schlucken oder bei nächtlichem Zähneknirschen Zahnkontakt zu bekommen, müssen sich die für den Mundschluss verantwortlichen Kaumuskeln verkürzen. Ihre Grundspannung erhöht sich, weil sie mehr trainieren als die gleichen Muskeln der Gegenseite. Eine Kettenreaktion kann in Gang kommen. Die Mund­öffner der gleichen Seite brauchen nun mehr Grundspannung, weil sonst der Mund ständig geschlossen wäre. Die Mund­öffner der vorderen Halsmuskulatur ziehen nun einseitig den Kopf nach unten. Aus diesem Grund braucht nun auch die hintere Halsmuskulatur und die Nackenmuskulatur einen höheren Grundtonus. Sie verkürzt sich, damit der Kopf nicht nach vorn unten gezogen wird. Der Kopf wäre jetzt seitlich geneigt. Nun kommt das Gleichgewichtsorgan und lässt den Kopf so stellen, dass die Augen wieder horizontal stehen. Da die Erdanziehungskraft beide Beine auf dem Boden hält, muss die Wirbelsäule den einseitig verstärkten Muskelzug ausgleichen. Die fehlende einseitige Abstützung der Zähne wird so auf Kosten der Körperstatik durch eine s-förmige Wirbelsäule und einen funktionellen Beckenschiefstand kompensiert. Häufig bekommt der Patient dann die Aussage, das eine Bein sei kürzer als das andere. Da die Beinlänge im Liegen gemessen wird, wirkt die Gravitation nicht mehr auf die Füße und der funktionelle Beckenschiefstand zeigt sich – beide Beine sind aber gleich lang.

Viele Patienten haben einen funktionellen Beckenschiefstand und keine Beschwerden. Sie können die Situation kompensieren. Bei einigen, besonders wenn diese Kompensation länger besteht, kommt es zu einer Dekompensation. Die Rücken- und Spannungskopfschmerzen sind da. Diese kurze Schilderung eines möglichen Zusammenhanges zwischen Zahnstellung und Rückenschmerzen zeigt schon, dass es eines Netzwerkes an Behandlern bedarf, um dem Patienten zu helfen. Der Zahnarzt allein bekommt die Situation­ nicht in den Griff, weil auch die Rückenmuskulatur behandelt werden muss. Der Orthopäde / Manualtherapeut erreicht immer nur eine kurze Zeit Linderung, weil die fehlende Zahnhöhe ausgeglichen werden muss. Hier ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit nötig, um dem Patienten nachhaltig helfen zu können.

Die Symptome der craniomandibulären Dysfunk­tion sind vielfältig und schwer zu erkennen, da Ursache und Wirkort räumlich voneinander getrennt sind. Die CMD kann sich hinter Zahnschmerz, Zahnhartsubstanzverlust, Muskelschmerz, Kiefergelenk­problemen, Drehschwindel, Tinnitus, Augenproblemen, Kopf- und Nackenschmerzen, Schulterproblemen, Konzentrationsstörungen und anderem mehr verbergen. Sie erkennen, die Liste der möglichen Auswirkungen einer CMD ist lang. Die Betonung liegt auf dem Wort „kann“. Nicht alle Probleme lassen sich auf eine CMD zurückführen. Hier gibt es großen Kommunikationsbedarf zwischen Hausärzten, Orthopäden, Neurologen und Zahnärzten, die sich mit der Behandlung der CMD auskennen.

Fazit

Die Grundfrage ist, ob die Probleme des Patienten absteigender Natur sind, also im Sinne der geschilderten muskulären Kettenreaktion, oder ob eine aufsteigende Problematik vorliegt, wie z. B. ein Bandscheibenvorfall. Der Zahnarzt kann mithilfe der manuellen und instrumentellen Funktionsanalyse sehr schnell herausfinden, ob eine Beteiligung des Kausystems vorliegt. So kann das Problem des Patienten – wenn eine CMD beteiligt ist – grundlegend angegangen werden und die sonst rein symptomatische Behandlung kann nachhaltig wirken.

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