Artikel erschienen am 20.07.2017
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Möglichkeiten des Kieferaufbaus

Im zahntragenden Bereich

Von PD Dr. med. Dr. med. Eduard Keese, Braunschweig | Dr. med. Christa Siemermann-Kaminski, Braunschweig

Knochenverluste und -defekte stellen Funktion und Ästhetik der betroffenen Kör­perregion infrage. Im Kieferbereich können sie durch Zysten, Abbau nach Zahnverlust, Druckstellen von Prothesen oder Paradontitis auftreten. Im zahntragenden Bereich muss der fragliche Knochendefekt wiederaufgefüllt, sofern er nach beseitigung der Ursache nicht selbst abheilt.

Ursachen für Knochendefekte am Kiefer

Im Kieferbereich sind folgende Ursachen häufig anzutreffen:

  • Zysten – angeboren, entzündlich (Abb. 1)
  • allgemeiner Abbau nach Zahnverlust, Ausdehnung der Kieferhöhle (Abb. 2)
  • Knochenabbau durch Protheseneinwirkung (Abb. 3)
  • Parodontitis – eine entzündliche Erkrankung des Zahnhalteapparates (Abb. 5).

Da der menschliche Knochen die Fähigkeit zur Regeneration besitzt, ist das Auffüllen von Knochendefekten nicht in jedem Fall notwendig. Die Größe allein ist dabei nicht ausschließlich entscheidend. Selbst mehrere Zentimeter große Kieferdefekte können ohne Aufbaumaterialien ausheilen, wenn die Ursache des Defekts behandelt wurde und das Knochenlager optimal ist (Abb. 1b).

Abb. 1a: Großer Knochen­defekt durch Zyste des Weisheitszahns
Abb. 1b: Komplette Regeneration ohne Defektauffüllung nach 6 Monaten

Im reduzierten Knochenlager bildet ein Knochenaufbaumaterial ein Gerüst, welches als Leitschiene (Osseokonduktion) für den sich neu bildenden Knochen (Zellen) dient und so die Verknöcherung (Osteogenese) des Defektes fördert (Abb. 2b).

Abb. 2a: Zahn- und Kieferverlust im seitlichen Oberkiefer
Abb. 2b: Kieferaufbau im Rahmen der Implantat­operation durch ein synthetisches Knochenersatzmaterial (Alloplast: β-Tricalciumphosphat)

Bei Einsatz von körpereigenen Transplantaten (Abb. 3b) kommt noch die Knochenbildung durch die transplantierten Knochenzellen hinzu (Osseoinduktion).

Abb. 3a: Knochendefekt im seitlichen Unterkiefer durch jahrelangen Prothesendruck
Abb. 3b: Knochentransplantate aus der Hüfte, fixiert mit Mikroschrauben.
Abb. 3c: Zwei Jahre nach Kieferaufbau durch Transplantate aus der Hüfte und Implantatversorgung

Abb. 4a: Knochendefekt mit Zahnimplantat
Abb. 4b: Membran­abdeckung
Abb. 4c: Regenerierter Unterkiefer, eingeheiltes Implantat

Abb. 5a: durch Parodontose bedingter Knochendefekt
Abb. 5b: Röntgendarstellung des Defekts vor der Regenerations­behandlung
Abb. 5c: Röntgendarstellung nach erfolgreicher Behandlung mit Amelogenin und einem alloplastischen Knochenersatzmaterial

Der Einsatz von sog. knochenbildenden, bioaktiven Substanzen (Bone-morphgenetic Proteins), die die Knochenbildung direkt durch Osteoinduktion unterstützen, ist noch nicht in die praxisreife Anwendung gelangt.

Mögliche Materialien für die Knochenregeneration

Doch welche Materialien stehen für die Regeneration von Knochen zur Verfügung?

  1. Knochenaufbau- und Knochenersatzmaterialien
  2. Membrane
  3. Bioaktive Materialien

Knochenaufbau und Knochenersatzmaterialien

Ein bewährter Weg, fehlendes Knochenvolumen zu ersetzen, ist die Verwendung von körpereigenem Knochenmaterial aus verschiedenen möglichen Spenderregionen. Körpereigener, autologer Knochen wird für kieferchirurgische Zwecke häufig aus dem Operationsgebiet selbst während der Operation gewonnen. Bei größeren Defekten kann auch ein Stück Knochen aus Entnahmestellen in der Mundhöhle oder am Beckenkamm entnommen werden. Die Akzeptanz und Regeneration zeigt hierbei die besten Ergebnisse. Häufig ist aber für die Entnahme eine gesonderte Entnahmestelle notwendig, was zusätzliche Beschwerden verursachen kann.

Eine Alternative wurde mit menschlichen Fremdknochen von Organspendern, dem allogenen Knochen, aus Knochenspenderbanken geschaffen. Der Spenderknochen zeigt im Erfolgsfall eine Knochendurchwachsung und eine Volumenstabilität, wobei ein Restrisiko an Krankheitsübertragung und Immunreaktion besteht. Ebenso bestehen ethische Bedenken bei Anwendern und Patienten.

In geeigneten Defekten sind tierische (xenogene) oder synthetische (alloplastische) Knochenersatzmaterialien einsetzbar. Das Prinzip der Knochenheilung ist hier, dass durch die hochporösen Strukturen des Ersatzmaterials der eigene Knochen durchwachsen und das Material mehr oder weniger abbauen und ersetzen kann. Allerdings sind bei tierischer Herkunft die Übertragung von Krankheiten und unspezifische Abwehrreaktionen nicht aus­zuschließen. Bei den synthetischen (allo­-plastischen) Knochenersatzmaterialien (α- oder β-Tricalciumphosphat) bestehen diese Bedenken nicht.

Membrane

Membrane werden als Schutzbarrieren für eine optimale Knochenregeneration im Bereich der Knochenheilung eingesetzt. Sie verhindern, dass schnell wachsendes Weichgewebe den Platz des nur langsam wachsenden Knochens einnimmt. Man unterscheidet zwischen resorbierbaren (tierisch oder synthetisch) und nicht resorbierbaren (vollsynthetischen) Membranen. Tierische Membrane bestehen aus natürlichen, dem Menschen ähnlichen Kollagen. Sie zeigen eine gute Umwandlung in körpereigenes Gewebe, sodass kein Zweiteingriff zur Entfernung wie bei den nicht resorbierbaren Membranen erforderlich ist. Allerdings bestehen bei Produkten tierischen Ursprungs die Möglichkeiten einer Übertragung von Krankheiten und unspezifische Abwehrreaktionen (s. o.).

Bioaktive Materialien

Bioaktive Wirkstoffe: Hier sind die sog. Schmelzmatrixproteine zu nennen, die in der Regenerativen Chirurgie von Parodontose bedingten Defekten eingesetzt werden (Abb. 5a – 5c). Die eingesetzte Substanz besteht aus 90 % Amelogenin, gewonnen von Schweineembryonen. Die Wirkung liegt in der Neubildung von Knochen und Wurzelzement sowie der Regeneration des Zahnhalteapparats.

Muss jeder Knochendefekt regeneriert werden?

Es muss eindeutig nicht jeder Knochendefekt regeneriert werden, zumal der Körper ein hohes Maß an Selbstheilungskraft besitzt. Im Rahmen jeder zahnärztlichen Versorgung sind Behandlungsziele festzulegen. Ob tatsächlich ein Kieferaufbau erforderlich ist, ist im Einzelfall zu klären.

Bilder: Praxisgemeinschaft – Ärzte für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie

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