Artikel erschienen am 15.11.2018
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Organspende?

Von Dr. med. Mohammad-Zoalfikar Hasan, Königslutter am Elm

Ich habe mich schon im Jahr 2013 in den Service-Seiten Gesundheit zum Thema Organspende aus Sicht des Psychiaters und des Psychotherapeuten geäußert und schon damals auf die Auswirkungen politischer und gesellschaftlicher Diskus­sionen auf die Bereitschaft zur Organspende eines Menschen hingewiesen. Kein Thema berührt unsere Gefühle und Ängste mehr als das Thema Organspende.

Denn die Beschäftigung mit diesem Thema zwingt uns dazu, uns mit dem eigenen Tod und dem Tod nahestehender Menschen, was wir verständlicherweise erfolgreich verdrängen, auseinanderzusetzen. Gerade jetzt, wo die medizinischen Fortschritte die Erfolgsquote von Organtransplantationen deutlich erhöhen, haben die in den letzten Jahren bekannt gewordenen Skandale in einigen deutschen Transplantationszentren die Bereitschaft zur Organspende wahrscheinlich
ne­gativ beeinflusst.

Die Motivation der Akteure, die diese Skandale verursacht haben, ist unbedingt juristisch aufzuklären. Die Zahl der Wartenden wird immer größer und die Wartelisten werden immer länger. Aus diesem Grund und wegen der politischen Diskussion bezüglich einer „Widerspruchslösung“ ist das Thema weiterhin sehr aktuell. Bei der „Widerspruchslösung“ geht es um die Frage, ob künftig hierzulande auch Verstorbenen ohne Spenderausweis jederzeit Organe entnommen werden können, sofern sie dem nicht zu Lebzeiten aktiv und nachweislich widersprochen haben. Die Entscheidung darüber muss sehr gut überdacht werden, duldet keine Missverständnisse und vor allem keinerlei Missbrauch.

Uns geht es an dieser Stelle in erster Linie darum, die Situation und die psychische Verfassung der Organempfänger zu beschreiben. Dabei werden vor allem normative, gesellschaftliche, psychologische und ethische Fragen aufgeworfen. Themen wie Chancengleichheit, Nutzen-Risiko-Abwägung, individuelle, kulturelle und religiöse Vorstellungen der Spender und Empfänger sollten hierbei berücksichtigt werden. Die Begleitung von Patienten vor und nach der Transplantation stellt für alle Behandler eine besondere Herausforderung dar: Viele Patienten befinden sich schon lange auf der Warteliste, sind nicht nur körperlich und psychisch extrem belastet, sondern auch widersprüchlichen Gefühlen ausgesetzt. Die Spannbreite reicht von Hoffnung bis Resignation, in dem Wissen, dass die Verlängerung des eigenen Lebens oftmals nur mit dem Tod eines anderen Menschen möglich wird. In dieser Phase sind Ängste, depressive Symptome sehr häufig und die Suizidgefahr hoch.

Aufgrund der körperlichen Beeinträchtigungen durch das erkrankte Organ kann es zu schweren körperlich begründbaren psychischen Komplikationen wie Delir, Depression und organischer Persönlichkeitsveränderung kommen. In der Phase nach der Transplantation können – i. d. R. vorübergehend und gelegentlich, abhängig von dem transplantierten Organ – verschiedene psychische Störungen wie Delir, Enzephalopathie, epileptische Anfälle, Depressionen usw. auftreten. Hinzu kommt, dass große psychische und soziale Anpassungsleistungen notwendig sind. Dazu gehören das Akzeptieren des neuen Organs und die Bewältigung der Angst vor dessen Abstoßung.

Auch die Immunsuppressiva (Medikamente zur Unterdrückung der Abstoßungsreaktion nach Transplantationen) mit deren ggf. schweren Nebenwirkungen müssen akzeptiert und vertragen werden. Auf der sozialen Ebene übernehmen die Betroffenen eine neue berufliche und familiäre Rolle. Nicht alle, aber viele, die eine Organspende erhalten haben, profitieren davon. Ihre Lebensqualität, körperliche, seelische und soziale Funktionsfähigkeit verbessern sich deutlich.

Das seit 1997 geltende Transplantationsgesetz fordert eine psychologische Mitbehandlung von Patienten. Schon lange ist bekannt, dass ein intaktes psychosoziales Umfeld, die psychische Stabilität und Stresstoleranz des Organempfängers sowie die Fähigkeit, das fremde Organ in das eigene Körperbild zu integrieren, den Verlauf nach einer Transplantation nachhaltig positiv beeinflussen.

Dennoch werden die psychischen Auswirkungen immer noch zu wenig berücksichtigt und bearbeitet. Im Vordergrund stehen zunächst die medizinisch-technischen Voraussetzungen und die Funktionstüchtigkeit des Organs unter immunsuppressiver Therapie.

Was geht in einem Menschen vor, der ein fremdes Organ von einem möglicherweise verstorbenen Spender erhält? Einige Organempfänger betrachten das Spenderorgan zunächst ganz nüchtern als eine Art Ersatzteil, das ihnen das Überleben ermöglicht. Nach der Transplantation sind sie anfangs entlastet und vielleicht auch euphorisch. Der Genesungsprozess ist allerdings sehr langwierig und anstrengend. Die Patienten müssen oft umfangreich intensivmedizinisch betreut werden und sie müssen sich auf Einschränkungen ihrer Lebensqualität sowie auf Nebenwirkungen der notwendigen Medikamente einlassen.

Viele Organempfänger entwickeln im weiteren Verlauf Schuldgefühle gegenüber den verstorbenen Spendern, Ängste, ihre eigene Identität durch das fremde Organ zu verlieren, sich in ihrer Persönlichkeit zu verändern, bis hin zu der Vorstellung, dass sich das Organ durch Abstoßung rächen könnte. Die vom Gesetzgeber vorgeschriebene Anonymhaltung der Spenderidentität scheint derartige Gefühle und Gedanken noch zu fördern. Es wird sogar von Patienten berichtet, die mutmaßliche Gewohnheiten des Spenders übernommen haben sollen, weil sie eine intensive innere Verbindung zum Spender entwickelten und sogar glaubten, dass der Spender in ihrem Körper weiterlebt. Theorien, dass das Transplantat Erinnerungen speichern oder die Persönlichkeit bzw. Identität verändern kann, sind wissenschaftlich hingegen in keiner Weise belegt.

Trotzdem ist es sehr wichtig, auf alle Fragen und Befürchtungen der Patienten, seien sie auch noch so irrational, einzugehen. Bei vielen Betroffenen halten die anfangs überlebensnotwendigen Schutz- und Verdrängungsmechanismen nur kurzfristig an und die Bedrohung der körperlichen Integrität durch eine erfolgte Transplantation wird bald zum Thema. Umso erforderlicher ist es, insbesondere denjenigen Organempfängern, die sich in einer dauerhaft belastenden Situation befinden, eine adäquate psychiatrische und psychotherapeutische Begleitung anzubieten.

Insgesamt sind Organtransplantationen ein Segen für uns alle. Potenzielle Organspender sind wir alle, wir müssen es nicht, können es jedoch sein. Potenzielle Organempfänger können wir ebenfalls alle werden, sind dann aber auch darauf angewiesen, dass für uns ein geeignetes Organ zum richtigen Zeitpunkt zur Verfügung steht. Obwohl der Eindruck entstehen kann, dass ethische Betrachtungsweisen den ökonomischen und rein medizinischtechnischen Zielen weichen müssen, ist das Thema viel zu sensibel, um es im Zusammenhang mit Kosten und wirtschaftlichen Zwängen des Gesundheitssystems zu diskutieren. Dieser Beitrag plädiert weder für noch gegen die aktuelle Diskussion bezüglich einer „Widerspruchslösung“ in der Organspende.

Bilder: Fotolia/anyaberkut

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