Depressionen
Von Dr. med. Mohammad-Zoalfikar Hasan, Königslutter am Elm | Christiane Stein, Königslutter am ElmDepressive Erkrankungen manifestieren sich in ganz unterschiedlicher Gestalt und es besteht bis jetzt nicht die Möglichkeit, sie nach Ursache, Erscheinungsbild und Verlauf befriedigend zu differenzieren. Die frühere Einteilung in endogene Depression, deren Herkunft genetisch-biologisch ist, sowie in reaktive Depression, die auf externe, belastende Umweltfaktoren zurückzuführen ist, hat sich nicht weiter durchsetzen können. Es hat sich nämlich gezeigt, dass bei beiden Formen keine wesentlichen Unterschiede hinsichtlich der Ursachen, Symptome, Häufigkeit, Verlauf und Therapieansprechbarkeit nachzuweisen sind. Die aktuell geltenden internationalen Klassifikationssysteme der Krankheiten orientieren sich deshalb mehr an den Symptomen, am Schweregrad, an der Krankheitsdauer sowie am Rückfallrisiko der Depression. Wie bei vielen psychischen Erkrankungen lässt sich keine eindeutige Ursache feststellen. Man geht von multifaktoriellen Erklärungsmodellen aus. Unterschieden wird zwischen depressiven Episoden, die leicht, mittelgradig oder schwer ausgeprägt sein können und mit oder ohne körperlichen oder psychotischen Symptomen (z. B. Versündigungswahn) einhergehen können. Hinsichtlich des Verlaufs erfolgt eine Einteilung zwischen einzelnen depressiven Episoden und rezidivierenden depressiven Episoden, die sich in unterschiedlichen Zeitabständen wiederholen. Rezidivierende depressive Episoden können ebenfalls leicht, mittelgradig oder schwer ausgeprägt sein. Anhaltende depressive Störungen werden heute als Dysthymie bezeichnet. Hierbei handelt es sich um leichtere, länger als zwei Jahre fortbestehende depressive Symptome. Ältere Bezeichnungen für diese Zustandsbilder sind die depressive Persönlichkeitsstörung und die depressive Neurose. Ferner ist es wichtig, auch die sog. bipolare affektive Störung zu erwähnen. Dies ist eine sich wiederholende, episodisch verlaufende psychische Erkrankung, bei der sich depressive Phasen und manische Zustände abwechseln.
Hauptsymptome der Depression sind gedrückte, depressive Stimmung, Interessenverlust, Freudlosigkeit und Antriebsmangel. Bezeichnend für die Schwere einer Depression sind auch Hoffnungslosigkeit, negative und pessimistische Zukunftsperspektiven, der Verlust der Affektmodulation (mangelnde Fähigkeit auf z. B. freudige Ereignisse emotional zu reagieren) und das „Gefühl der Gefühllosigkeit“. Betroffene beschreiben oft, dass sie weder weinen noch lachen können. Der Gesichtsausdruck ist oft verhärmt und die Sprache ist ebenso wie der Bewegungsablauf verlangsamt und monoton. In einigen Fällen zeigt sich die Antriebsstörung auch in Form einer quälenden Unruhe bis zur Getriebenheit mit anhaltendem und sich wiederholendem Klagen. Die Patienten ziehen sich zurück, soziale Bindungen und Kontakte bleiben auf der Strecke und es kommt in manchen Fällen zur Entwicklung von ausgeprägten Schuld- und Verarmungsgefühlen, an denen die Erkrankten oftmals hartnäckig und unkorrigierbar festhalten. Sie erleben sich hilflos, ängstlich und leicht irritierbar.
Neben den hier beschriebenen psychischen Symptomen treten im Rahmen depressiver Erkrankungen auch vielfältige körperbezogene Beschwerden auf: Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Verdauungsprobleme, Atemstörungen, Schmerzen, Kraft- und Energielosigkeit und allgemeines Krankheitsgefühl. Typisch für eine depressive Erkrankung sind ebenfalls die Tagesschwankungen der Stimmungslage mit einem schlechten Befinden in den Morgenstunden und Stimmungsaufhellung im Laufe des Nachmittags. Besonders quälend für depressive Menschen sind das frühe Erwachen und die ständige Grübelneigung.
Alle diese schwerwiegenden Krankheitssymptome bedingen das ausgeprägte Suizidrisiko depressiver Menschen: 40 bis 80 % der Betroffenen leiden unter Suizidideen und 10 bis 15 % der stationär behandelten Menschen begehen Suizid. Dies liegt daran, dass die Betroffenen ihren depressiven Zustand nicht ertragen können und ihren Tod als Erleichterung für ihre Umgebung ansehen. Insbesondere erhöhen Verarmungs-, Krankheits- und Schuldwahn das Suizidrisiko. Aber auch bei einer abklingenden Depression kann dieses Risiko unter Umständen erhöht sein: Die depressive Stimmung verbessert sich nicht immer so schnell wie der Antrieb. Erkrankte sind dann gefährdet, ihre Suizidgedanken in die Tat umsetzen zu können.
Die Entstehungsbedingungen depressiver Erkrankungen sind nach heutigem Wissensstand außerordentlich vielfältig: Umweltfaktoren, traumatische Erfahrungen sowie psychosoziale Belastungen wirken gemeinsam mit individuellen Persönlichkeitsfaktoren, einer Dysbalance von Botenstoffen im Hirnstoffwechsel, neuroendokrinologischen (Hormone), somatischen (z. B. Schilddrüsenerkrankung) und chronobiologischen Faktoren (saisonale Rhythmik) sowie einer möglicherweise vorhandenen familiären Veranlagung.
Dementsprechend komplex ist die erforderliche Diagnostik: Neben Informationen über die Herkunftsfamilie, Kindheitsentwicklung, Vorerkrankungen, frühere Behandlungen und soziobiographische Daten sind detaillierte Erkenntnisse über die Art der Symptome, deren Beginn, Verlauf und Intensität von Bedeutung. Ebenfalls sind körperliche Untersuchungen, laborchemische Tests und Schnittbilduntersuchungen des Kopfes (wie z. B. die sog. Kernspintomografie), notwendig. Diese umfangreiche Diagnostik dient der Abklärung, ob die depressiven Symptome möglicherweise auf eine organische Ursache zurückzuführen sind. Es ist bekannt, dass vielfältige körperliche Erkrankungen des Gehirnes oder der inneren Organe, wie z. B. Entzündungen, Tumore oder Hormonstörungen, für die Entwicklung einer Depression verantwortlich sein können. Auch können Medikamente, die wegen anderer Erkrankungen zu Recht verordnet werden, ihrerseits als Nebenwirkung zur Ausbildung einer depressiven Symptomatik führen.
Die multifaktorielle Genese der Depression erfordert eine fachlich fundierte und multiprofessionelle Therapie. Sowohl in der akuten Phase als auch in der Langzeittherapie und bei der Rückfallverhütung sind biologische, psychotherapeutische und soziotherapeutische Maßnahmen notwendig. Zu den führenden Behandlungsstrategien gehört die Gabe spezieller Medikamente, sog. Antidepressiva. Die hilfreiche Wirkung dieser Präparate ist unumstritten. Je schwerer die Depression, umso wichtiger ist die medikamentöse Behandlung. Nach der derzeit gültigen Leitlinie können nur leichte depressive Episoden, die länger als 2 Wochen anhalten, ausschließlich psychotherapeutisch behandelt werden. Bei mittelgradigen depressiven Episoden soll eine Kombination von Psychotherapie und medikamentöser Behandlung angeboten werden. Bei schweren und psychotischen Depressionen sollte in jedem Fall pharmakologisch und psychotherapeutisch behandelt werden. In einem Gespräch mit dem behandelnden Arzt wird aus den verschiedenen Gruppen der Antidepressiva das geeignete Präparat für den Patienten ausgewählt. Die Wirkungsentfaltung benötigt Zeit und es kann vor Ablauf von 2 bis 4 Wochen nicht entschieden werden, ob das jeweilige Medikament wirkt oder nicht. In dieser frühen Phase der medikamentösen Therapie können zur Linderung der Symptomatik ergänzende Beruhigungsmittel verordnet werden. Dabei ist immer auf die Möglichkeit einer Suchtentwicklung durch diese Beruhigungsmittel zu achten. Bei gesicherter Nichtansprechbarkeit auf ein Antidepressivum sollte das Medikament ausgewechselt werden. Angestrebt wird ein vollständiges Abklingen der depressiven Symptome bzw. mindestens eine gute Rückbildung der depressiven Beschwerden. Im Bereich der Psychotherapie stehen verschiedene Therapieverfahren mit verhaltenstherapeutischem oder psychodynamischem Ansatz zur Verfügung. Zu Beginn der Behandlung und insbesondere in der Akutphase sehr schwer verlaufender Depressionen sind vor allem stützende psychotherapeutische Maßnahmen erforderlich, um die Patienten nicht zu überfordern. Nach erster Stabilisierung und Verbesserung der depressiven Symptomatik kommen später spezifische verhaltenstherapeutische oder psychodynamisch-tiefenpsychologische Vorgehensweisen zum Einsatz. Hierbei geht es darum, den Patienten bei der Bewältigung seiner individuellen Probleme zu unterstützen und ihn zunehmend zu aktivieren. Die sozialtherapeutischen Maßnahmen beziehen schließlich die Familie und das Umfeld des Betroffenen mit ein und zielen darauf ab, Belastungsfaktoren und rückfallfördernde Faktoren zu reduzieren, sowie den Patienten in sein soziales und berufliches Umfeld zu reintegrieren.
Während einer depressiven Episode leiden die Betroffenen erheblich. Die Lebensqualität geht verloren und das Suizidrisiko ist hoch. Auf der anderen Seite ist die Depression jedoch eine gut behandelbare Erkrankung und spricht in der Regel erfolgreich auf geeignete Medikamente sowie auf psychotherapeutische Maßnahmen an. Entscheidend sind immer eine adäquate, effiziente und ausreichend dosierte medikamentöse Therapie und eine konsequente störungsspezifische Psychotherapie. Fachlich fundiert behandelte Patienten haben dann sehr gute Chancen, ihre Erkrankung vollständig zu überwinden. Dafür ist aber unter Umständen eine langfristige Behandlung erforderlich. Die akute Behandlung der Depression dauert mindestens 6 bis 18 Wochen. Daran schließt sich eine mehrmonatige Erhaltungstherapie zur weiteren Stabilisierung und zur Senkung eines Rückfallrisikos an.
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