„Ein Gläschen in Ehren kann niemand verwehren“
Alkoholabhängigkeit als unterschätztes Problem
Von Ahmet Karadal, Königslutter | Lena Fellbaum, Königslutter
Foto: Adobe Stock / Pormezz
Alkohol ist laut aktueller Studienlage für u.a. folgende Erkrankungen verantwortlich:
- Krebserkrankungen (v.a. Brust- und Darmkrebs)
- kardiovaskuläre Erkrankungen (Herzerkrankungen)
- gastrointestinale Krankheiten (z.B. Leberzirrhose und Pankreatitis)
- Diabetes mellitus
- neuropsychiatrische Störungen (z.B. Alzheimer-Krankheit oder andere Demenzerkrankungen)
- Alkoholabhängigkeit und andere psychische Erkrankungen
Zusätzlich entstehen enorme Kosten für die Gesellschaft durch Arbeitsunfähigkeit, Behandlung und Reha, sowie ebenso durch Unfälle, Produktionsverluste, Sachbeschädigungen und Gewalt. Schätzungen zufolge belaufen sich diese Kosten in Deutschland pro Jahr auf 57 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Die Einnahmen der Alkoholsteuer lagen im Jahr 2022 bei ca. 3 Milliarden Euro.
In Deutschland sind schätzungsweise 1,6 Millionen Menschen alkoholabhängig und viele weitere haben ein riskantes Trinkverhalten. Die Auswirkungen auf die Gesundheit, das soziale Leben und die Familie sind gravierend und oft verheerend. Aber wann wird aus Genuss eine ernsthafte Abhängigkeit?
Fallbeispiel (anonymisiert):
Markus (42) ist ein engagierter Familienvater und beruflich erfolgreich in der IT-Branche. Er lebt gemeinsam mit seiner Frau und seinen zwei Kindern (10, 7) in einem eigenen Haus. Letztes Jahr ist Markus befördert worden und arbeitet seitdem an komplexen Projekten. Die berufliche Belastung ist deutlich gestiegen. Zu Beginn griff Markus nur gelegentlich zu Alkohol, meist bei Feierlichkeiten oder am Wochenende. Vor einem halben Jahr hat er jedoch auch begonnen unter der Woche Alkohol zu trinken, meist 1-2 Bier zum Feierabend, als Belohnung. Das Biertrinken nach Feierabend wurde zur Gewohnheit und Markus bemerkte, dass er immer mehr Alkohol benötigte um die gewünschte Entspannung zu bemerken. Auch seinem Umfeld fiel eine Veränderung auf: Markus traf sich nicht mehr mit Freunden und vernachlässigte seine Hobbies. Seine Frau bemerkte, dass er zunehmend gereizter wurde, außerdem distanzierte er sich vom Familienalltag, was zu häufigeren Konflikten führte. Zuletzt war außerdem aufgefallen, dass Markus sich bei der Arbeit schlechter konzentrieren konnte und wichtige Termine verpasste. Sein Chef hatte ihn mehrfach auf sein Fehlverhalten angesprochen, sodass Markus sich dazu entschied, mit seinem Hausarzt über eine mögliche suchttherapeutische Behandlung zu sprechen.
Wie entsteht eine Abhängigkeit?
Alkohol, chemisch auch als Ethanol bekannt, wirkt schnell auf das zentrale Nervensystem. Er sorgt für Entspannung, Reduktion von Hemmungen und gibt vielen Menschen ein angenehmes Gefühl. Doch genau diese Wirkung macht Alkohol auch gefährlich. Unser Gehirn gewöhnt sich an die beruhigende Wirkung und lernt, dass Alkohol eine Möglichkeit ist, Stress oder negative Gefühle zu lindern. Nach und nach benötigt der Körper immer mehr Alkohol, um dieselbe Wirkung zu erzielen – ein Vorgang, der als Toleranzentwicklung bezeichnet wird.
Die Entstehung einer Abhängigkeit ist oft ein schleichender Prozess, der nicht von heute auf morgen passiert. Häufig wird zunächst mehr oder öfter getrunken, um mit Alltagssorgen, Problemen oder belastenden Gefühlen umzugehen. Viele Betroffene merken erst spät, dass sie nicht mehr ohne das Bier oder den Wein am Abend auskommen. Der Übergang vom „Genuss“ zur „Notwendigkeit“ bleibt häufig unbemerkt, bis entweder dem Umfeld oder der Person selbst ein Kontrollverlust auffällt.
Die Hintergründe für die Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit sind vielfältig. So können genetische Veranlagungen, familiäre Einflüsse, sozialer Druck, aktuelle Belastungen und das Fehlen von persönlichen Bewältigungsstrategien eine Rolle spielen. Die sogenannte „Willens- oder Charakterschwäche“ spielt dabei keine Rolle und ist ein häufiges Vorurteil, welchem Betroffene ausgesetzt sind. Die Alkoholabhängigkeit ist, wie andere psychische Erkrankungen auch, weiterhin in der Gesellschaft ein Tabu-Thema, welches mit Scham und Stigma begleitet wird. Dies führt leider dazu, dass viele Betroffene viel zu spät ihren Weg in die Behandlung finden.
Der Selbsttest: Prüfen Sie Ihren Alkoholkonsum
Der CAGE-Test ist eine einfache Möglichkeit, um selbst zu überprüfen, ob der Alkoholkonsum problematisch sein könnte. Beantworten Sie die folgenden vier Fragen:
- Cut down (Reduzieren): Hatten Sie jemals das Gefühl, dass Sie weniger trinken sollten?
- Annoyed (Genervt): Haben Sie sich geärgert, wenn andere Menschen Ihren Alkoholkonsum kritisiert haben?
- Guilty (Schuldig): Haben Sie sich jemals wegen Ihres Trinkens schuldig gefühlt?
- Eye-opener (Morgendlicher „Augenöffner“): Haben Sie jemals morgens Alkohol getrunken, um „in Gang zu kommen“ oder um die Nerven zu beruhigen?
Wenn Sie eine oder mehrere dieser Fragen mit „Ja“ beantwortet haben, kann es hilfreich sein, Ihren Alkoholkonsum genauer zu betrachten oder das Gespräch mit einem Arzt zu suchen.
Hilfe suchen: Was tun, wenn Alkohol zum Problem wird?
Wenn Sie das Gefühl haben, dass ihr Alkoholkonsum zu einem Problem geworden ist, zögern Sie nicht, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es gibt viele Möglichkeiten, um Unterstützung zu erhalten und die Abhängigkeit zu behandeln:
- Gespräch mit dem Hausarzt: Der erste Schritt kann der Kontakt mit Ihrem Hausarzt sein. Dieser kann eine erste Einschätzung vornehmen und Sie gegebenenfalls an Spezialisten verweisen.
- Suchtberatungsstellen: In fast jeder Stadt gibt es Beratungsstellen für Suchtprobleme, die sowohl persönlich als auch telefonisch Unterstützung anbieten. Diese Beratungsgespräche werden von Fachleuten geführt und sind kostenlos und vertraulich.
- Selbsthilfegruppen: Informieren Sie sich über Selbsthilfegruppen in Ihrem Wohnort. Diese Gruppen bestehen aus Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben und können helfen, sich über die nächsten Schritte zu informieren. Der Austausch mit anderen Betroffenen kann eine wertvolle Unterstützung sein.
- Entgiftungsbehandlung im Krankenhaus: Sollten Sie bereits körperliche Beschwerden wie Zittern, Schwitzen, Übelkeit, Schlafstörungen oder starke Unruhe erleben, wenn sie keinen Alkohol trinken, spricht man von einem Entzugssyndrom. Dies sollte nach Möglichkeit in einem Krankenhaus im Rahmen einer Entgiftungsbehandlung überwacht werden, da der Entzug von Alkohol mit ernsten Komplikationen, wie z.B. epileptischen Anfällen oder Halluzinationen, verbunden sein kann.
- Entwöhnungstherapie: Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Behandlung der Alkoholabhängigkeit ist die Entwöhnungsbehandlung (auch Langzeittherapie oder Sucht-Reha genannt). Diese folgt häufig auf die oben beschriebene Entgiftungsbehandlung, muss jedoch separat beantragt werden. Diese Therapie kann ambulant oder stationär in einer speziellen Klinik durchgeführt werden und dauert mehrere Wochen bis Monate. In der Entwöhnungstherapie werden den Betroffenen neue Strategien an die Hand gegeben, um mit Stress und Suchtdruck umzugehen. Hier kommen auch psychotherapeutische Ansätze, wie die kognitive Verhaltenstherapie, zum Einsatz.
- Nachsorge: Im Anschluss kann eine Nachsorgebehandlung erfolgen, die sicherstellen soll, dass die erlernten Strategien auch im Alltag umgesetzt werden können. Die Nachsorge umfasst regelmäßige Therapiesitzungen, Selbsthilfegruppen und die Unterstützung durch ein stabiles soziales Umfeld. Ziel ist es, die Rückfallgefahr zu minimieren und den Betroffenen in seiner neuen, alkoholfreien Lebensweise zu festigen.
Die Kombination aus medizinischer Betreuung, psychotherapeutischer Unterstützung und sozialer Stabilisierung bietet die besten Erfolgsaussichten für eine langfristige Abstinenz.
Fazit
Die Alkoholabhängigkeit ist eine ernstzunehmende, weit verbreitete und oft tabuisierte Erkrankung. Dabei ist die Entstehung auf diverse Faktoren zurückzuführen und ist kein Anzeichen von „Schwäche“ oder „mangelnder Disziplin“. Es ist wichtig, die Anzeichen zu erkennen, sich frühzeitig Hilfe zu suchen und offen über das Problem zu sprechen. Hilfreich kann auch ein offener und unterstützender Umgang des Umfelds mit dem Thema sein, damit die Betroffenen den Mut finden, Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Aber auch ohne Abhängigkeitserkrankung gilt: Eine bewusste Entscheidung für weniger oder keinen Alkohol steigert das Wohlbefinden und hilft Krankheiten vorzubeugen und zwar bei jedem von uns.
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