Gerontopsychiatrie und Demenz
Von Dr. (Univ. Golestan) Adel Shalizar-Jalali, Königslutter
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Die Gerontopsychiatrie spielt eine zentrale Rolle in der Betreuung von Demenzpatienten, da sie sich mit den speziellen Bedürfnissen und Herausforderungen befasst, die diese Erkrankung mit sich bringt. Dazu gehören Diagnostik, Behandlung, Management von Begleiterkrankungen, Umgang mit Verhaltens- und psychischen Symptomen, Unterstützung und Beratung von Angehörigen, Palliative und unterstützende Pflege und Prävention. Es ist entscheidend, Demenz von anderen psychiatrischen oder neurologischen Erkrankungen zu unterscheiden, die ähnliche Symptome verursachen können, wie z.B. Depression, Delir oder normale Altersvergesslichkeit.
Ältere Patienten haben oft multiple Gesundheitsprobleme. Die Gerontopsychiatrie berücksichtigt diese Multimorbidität und das Zusammenspiel von körperlichen und psychischen Erkrankungen. Angehörige sind oft stark belastet. Die Gerontopsychiatrie bietet Schulungen und Unterstützung, um ihnen zu helfen, mit den Herausforderungen umzugehen, die die Pflege eines Demenzkranken mit sich bringt. Im fortgeschrittenen Stadium der Demenz liegt der Fokus oft auf palliativmedizinischen Ansätzen, die das Wohlbefinden und die Lebensqualität maximieren.
Herausforderungen in der Gerontopsychiatrie bei Demenz
Ältere Patienten haben oft mehrere Gesundheitsprobleme, die die Diagnose erschweren können. Medikamentöse Behandlungen müssen sorgfältig dosiert werden, um Nebenwirkungen zu vermeiden, die bei älteren Menschen häufiger auftreten. Die Gerontopsychiatrie bietet einen ganzheitlichen Ansatz, der medizinische, psychologische und soziale Aspekte integriert.
In vielen Regionen gibt es einen Mangel an spezialisierten Einrichtungen und Fachkräften für die gerontopsychiatrische Versorgung.
Was bedeutet das Wort „Demenz“?
Das Wort „Demenz“ kommt aus dem Lateinischen und wird im Wörterbuch mit „Unsinn, Wahnsinn, Blödsinn“ übersetzt. Wenn man das Wort „Demenz“ in die beiden lateinischen Wörter „de“ und „mens“ aufteilt: „De“ bedeutet „weg“ und „mens“ bedeutet „Sinn, Geist, Verstand“. Eine sinnvolle Übersetzung von „Demenz“ wäre also: „sich vom Geist oder Verstand entfernen.“
Demenz ist ein Sammelbegriff für eine Gruppe von Erkrankungen, die durch einen fortschreitenden Verlust der geistigen Fähigkeiten gekennzeichnet sind. Diese Beeinträchtigungen betreffen das Gedächtnis, das Denken, die Orientierung, das Verstehen, das Lernen, das Sprechen und die Beurteilung von Situationen. Demenz ist in der Regel eine chronische oder fortschreitende Erkrankung, die häufig bei älteren (ab 65 Jahren) Menschen auftritt, aber auch jüngere Menschen (45-64 Jahre) betreffen kann. Für die Diagnose einer Demenz müssen die Symptome nach ICD über mindestens 6 Monate bestanden haben. Die kognitive Störung wird diagnostiziert durch die Kombination aus Eigen- und einer Fremdanamnese und objektiver Bewertung der kognitiven Leistung durch eine kognitive Testung oder eine klinischkognitive Untersuchung. Eine neuropsychologische Testung sollte dann durchgeführt werden, wenn die Anamnese und die kognitive, orientierende klinische Untersuchung nicht ausreichen, um die Diagnose sicher zu stellen. Die Symptome von Demenz können je nach Art und Stadium der Erkrankung variieren. Zu den häufigsten Symptomen gehören: Gedächtnisverlust, Verwirrung und Desorientierung, Sprachprobleme, Verhaltensänderungen und Eingeschränktes Urteilsvermögen.
Frauen haben ein höheres Risiko, an Demenz zu erkranken, insbesondere an Alzheimer-Demenz. Dies liegt teilweise daran, dass Frauen im Durchschnitt länger leben als Männer, wodurch sie einem höheren Risiko ausgesetzt sind.
Die Häufigkeit von Demenz nimmt weltweit zu, insbesondere in Anbetracht der alternden Bevölkerung. Hier sind einige wichtige Fakten zur Prävalenz (Häufigkeit) von Demenz:
Globale Prävalenz
Laut der World Health Organization (WHO) leben weltweit etwa 55 Millionen Menschen mit Demenz. Es wird erwartet, dass diese Zahl aufgrund der demografischen Veränderungen bis 2050 auf 139 Millionen ansteigen wird. Die Häufigkeit von Demenz steigt mit dem Alter stark an. Sie betrifft etwa 5-8 % der Menschen über 60 Jahre weltweit. Die Prävalenz verdoppelt sich etwa alle fünf Jahre nach dem 65. Lebensjahr.
Prävalenz in spezifischen Regionen
- Europa:
In Europa leben geschätzt etwa 10 Millionen Menschen mit Demenz. Länder wie Deutschland, Italien und Frankreich haben aufgrund ihrer älteren Bevölkerung eine hohe Prävalenz. - Nordamerika:
In den USA leben etwa 6,2 Millionen Menschen mit Alzheimer-Demenz, der häufigsten Form der Demenz. In Kanada sind es etwa 500.000 Menschen. - Asien:
Asien hat aufgrund seiner großen und alternden Bevölkerung eine wachsende Zahl von Demenzfällen. In Ländern wie China und Indien wird erwartet, dass die Zahl der Demenzkranken erheblich steigt. - Afrika und Lateinamerika:
Auch in diesen Regionen wird ein Anstieg der Demenzfälle prognostiziert, obwohl derzeit die Prävalenz aufgrund der jüngeren Bevölkerung noch relativ niedrig ist.
Hauptursachen und Arten von Demenz
- Alzheimer-Krankheit:
Die häufigste Form der Demenz, die durch den Abbau von Gehirnzellen verursacht wird. Charakteristisch sind Gedächtnisverlust und Desorientierung. - Vaskuläre Demenz:
Diese Form entsteht durch eine gestörte Durchblutung des Gehirns, oft infolge eines Schlaganfalls oder kleinerer Blutgefäßschädigungen. - Lewy-Körper-Demenz:
Charakterisiert durch das Vorhandensein von Lewy-Körpern (abnorme Eiweißablagerungen) in den Nervenzellen des Gehirns. Symptome können Halluzinationen und Bewegungsschwierigkeiten umfassen. - Frontotemporale Demenz (FTD):
Beeinträchtigt hauptsächlich die Frontal- und Temporallappen des Gehirns, was zu Veränderungen der Persönlichkeit und des Verhaltens führt. - Gemischte Demenz:
Eine Kombination aus zwei oder mehr Arten von Demenz, häufig Alzheimer und vaskuläre Demenz. - Demenz bei Morbus Parkinson
Diagnose
Die Diagnose einer Demenz erfolgt durch eine umfassende Untersuchung, die in der Regel folgende Schritte umfasst:
- Medizinische Anamnese: Erfassung der Krankheitsgeschichte und der Symptome.
- Körperliche Untersuchung: Untersuchung auf körperliche Ursachen.
- Neurologische Tests: Beurteilung der Gehirnfunktion.
- Labor und Bildgebende Verfahren: MRT oder CT-Scans (des Schädels), um strukturelle Veränderungen im Gehirn zu erkennen.
- Kognitive Tests: Beurteilung der Gedächtnis- und Denkfähigkeiten.
- Liquor, EEG und genetische Beratung, ggf Untersuchung (in Einzelfällen)
Die neue S3-Leitlinie zur Behandlung von Demenz bringt mehrere wichtige Änderungen und Erweiterungen im Vergleich zur alten Version mit sich.
Eine der größten Neuerungen ist die Möglichkeit, Alzheimer-Demenz bereits in einem früheren Stadium zu diagnostizieren. Dabei spielen Biomarker eine wichtige Rolle, insbesondere durch die Untersuchung der Rückenmarksflüssigkeit (Liquor), um Amyloid- und Tau-Proteine nachzuweisen, die charakteristisch für Alzheimer sind. Dies ermöglicht die Diagnose, bevor Symptome voll ausgeprägt sind, was in der alten Leitlinie nicht in diesem Umfang empfohlen wurde.
Durch die frühere Diagnose können Therapien und Maßnahmen deutlich früher eingeleitet werden, was den Krankheitsverlauf verlangsamen und die Lebensqualität verbessern kann.
Die Neuausrichtung der Leitlinie hin zu frühzeitigerer Diagnose bietet bessere Chancen für Interventionen und Behandlungsplanung, was letztlich den Betroffenen und deren Familien zugutekommt.
Behandlung und Pflege
Es gibt derzeit keine Heilung für Demenz, aber verschiedene Ansätze können helfen, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Einige Medikamente (Antidepressiva, Neuroleptika und Sedativa) und nicht-medikamentöse Therapien können den Verlauf verlangsamen oder die Symptome lindern. Zu nicht-medikamentösen Therapien gehören die kognitive Therapie, Ergotherapie, Musiktherapie und Bewegungstherapie. Zusätzlich Pflegende Angehörige und professionelle Pfleger spielen eine wichtige Rolle in der Betreuung von Menschen mit Demenz. Demenz ist eine komplexe und belastende Erkrankung, die sowohl die Betroffenen als auch ihre Angehörigen stark beansprucht.
Ein besseres Verständnis der Erkrankung kann helfen, mit den Herausforderungen umzugehen. Es gibt zahlreiche Bücher, Seminare und Workshops, die sich speziell an Angehörige richten. Der Austausch mit anderen Betroffenen kann Unterstützung und Trost bieten. Selbsthilfegruppen bieten eine Plattform, um Erfahrungen zu teilen und voneinander zu lernen. Pflegedienste, Tagespflegeeinrichtungen oder Betreuungsdienste können Entlastung bieten. Auch eine psychologische Beratung kann hilfreich sein, um mit den emotionalen Belastungen umzugehen. Es gibt verschiedene finanzielle Unterstützungen und Leistungen der Pflegeversicherung, die genutzt werden können, um die Pflegekosten zu decken. Es gibt auch zahlreiche technische Hilfsmittel, die den Alltag erleichtern können, wie z.B. Erinnerungsgeräte, GPS-Tracker oder spezielle Sicherheitssysteme.
Es ist für Angehörige wichtig, auf ihre eigene physische und psychische Gesundheit zu achten. Die Betreuung eines Demenzkranken ist eine herausfordernde Aufgabe, die viel Geduld, Liebe und Verständnis erfordert. Es ist wichtig, dass Angehörige sich bewusst machen, dass sie nicht alles allein bewältigen müssen und Unterstützung in Anspruch nehmen können.
Behandlung von Schmerzen bei Demenz
20–50% der älteren Menschen (und bis zu 80% der Bewohner von Pflegeheimen) berichten über chronische Schmerzen. Nicht krebsbedingte Schmerzen wurden von ca. 50% der Menschen mit Demenz angegeben. Bei fortgeschrittener Demenz kann es durch die eingeschränkte Kommunikationsfähigkeit schwierig sein, Schmerzen zu erkennen, sodass chronische Schmerzen bei fortgeschrittener Demenz unterdiagnostiziert werden.
Wenn ein Mensch mit Demenz an Schmerzen leidet, stellt dies neben der Belastung für die betroffene Person eine der am häufigsten genannten Belastungen für pflegende Angehörige dar. Angehörige berichten häufig über negative emotionale Reaktionen wie Hilflosigkeit und Angst, wenn Menschen mit Demenz unter Schmerzen leiden. Die adäquate Schmerzbewältigung ist für Angehörige ein wichtiges Anliegen. Dabei sehen sich pflegende Angehörige mit vielen Herausforderungen konfrontiert, wie z.B. Schmerzerkennung und -kommunikation, Missverständnisse bei der Verabreichung von Schmerzmedikamenten und schlechte Kommunikation mit den Pflegediensten und Ärzten.
Einige Patienten können Schmerzen noch verbal äußern. Fragen sollten einfach und klar formuliert werden, beispielsweise: „Haben Sie Schmerzen?“ oder „Wo tut es weh?“. Bei fortgeschrittener Demenz ist die nonverbale Kommunikation entscheidend. Anzeichen für Schmerzen können sein z.B. Gesichtsausdruck (Grimassen, Stirnrunzeln, zusammengekniffene Augen), Unruhe, plötzliches Weinen, Aggressivität, Appetitverlust und Verweigerung von Aktivitäten.
Die adäquate Schmerzerkennung und -behandlung bei Demenzpatienten erfordert eine sensible und ganzheitliche Herangehensweise, die sowohl pharmakologische als auch nicht-pharmakologische Methoden integriert. Physiotherapie kann helfen, die Beweglichkeit zu verbessern und Schmerzen zu lindern, besonders bei Muskel- und Gelenkproblemen. Massagen und Wärme-/Kälteanwendungen, sanfte Bewegung und Aktivität können bei der Schmerzlinderung helfen und das Wohlbefinden steigern. Musik- und Kunsttherapie können helfen, Spannungen zu lösen. Eine ganzheitliche Betreuung durch ein Team aus Ärzten, Pflegekräften, Physiotherapeuten und Psychologen ist ideal, um eine umfassende Schmerzbehandlung zu gewährleisten. Da Demenzpatienten oft nicht spontan über ihre Schmerzen berichten, ist eine regelmäßige Überprüfung und Anpassung der Schmerztherapie wichtig. Bei der Behandlung von Schmerzen sollten die Auswirkungen auf die Lebensqualität und das allgemeine Wohlbefinden des Patienten immer berücksichtigt werden.
Prävention und Risikofaktoren
Obwohl nicht alle Ursachen von Demenz vermieden werden können, gibt es Hinweise darauf, dass ein gesunder Lebensstil das Risiko reduzieren kann. Dazu gehören regelmäßige körperliche Aktivität, eine ausgewogene Ernährung, kognitive Herausforderungen (z.B. Lesen, Rätsel lösen), soziale Interaktionen und Vermeidung von Rauchen und übermäßigem Alkoholkonsum. Es gibt Hinweise darauf, dass eine Ernährung, die reich an Obst, Gemüse, Fisch und gesunden Fetten ist, das Risiko für Demenz reduzieren kann. Die mediterrane Diät wird in diesem Zusammenhang oft empfohlen. Regelmäßige körperliche Aktivität hat nachweislich positive Auswirkungen auf die kognitive Gesundheit. Vaskuläre Risikofaktoren und Erkrankungen (z.B. Hypertonie, Diabetes mellitus, Hyperlipidämie, Adipositas, Nikotinabusus) stellen auch Risikofaktoren für eine spätere Demenz dar. Daher trägt deren leitliniengerechte Diagnostik und frühzeitige Behandlung zur Prävention einer späteren Demenz bei.
Zukünftige Trends
Die Zahl der Menschen mit Demenz wird voraussichtlich weiter steigen, da die Lebenserwartung weltweit zunimmt und die Bevölkerung insgesamt altert. Dies stellt eine wachsende Herausforderung für Gesundheitssysteme, soziale Unterstützungsdienste und die Angehörigen von Menschen mit Demenz dar. Das Bewusstsein für Demenz und ihre Auswirkungen wächst, und es werden weltweit Anstrengungen unternommen, um die Krankheit besser zu verstehen, zu behandeln und zu verhindern.
Es sind viele neue und innovative Ansätze, die derzeit in der Forschung und in klinischen Anwendungen untersucht werden. Diese neuen Medikationen und Ansätze zur Behandlung von Demenz bieten vielversprechende Möglichkeiten, die Lebensqualität von Betroffenen zu verbessern. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die Wirksamkeit und Sicherheit vieler dieser Innovationen noch weiter erforscht werden müssen.