Artikel erschienen am 08.01.2025
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Posttraumatische Belastungsstörung

Wenn Zeit nicht alle Wunden heilt

Von Isabel Engel, Königslutter

Foto: Adobe Stock / Prostock-studio

Bei der PTBS handelt es sich um eine psychische Störung, die in Folge einer psychischen Traumatisierung (auch: psychisches Trauma oder traumatisches Erlebnis) auftreten kann. Ein psychisches Trauma bezeichnet ein schwerwiegendes Erlebnis, das mit einer außergewöhnlichen Bedrohung für die Person verbunden ist und Gefühle wie Hilflosigkeit, Angst und Schrecken auslösen kann. Beispiele für Traumata sind das Erleben von sexualisierter oder körperlicher Gewalt, schwere Unfälle, Naturkatastrophen, Kriegserlebnisse oder lebensbedrohliche körperliche Erkrankungen. Dabei muss die betroffene Person diese Ereignisse nicht selbst erlebt haben, sie kann auch Zeug*in dessen gewesen sein, wie es z.B. bei Rettungssanitäter*innen oder Feuerwehrkräften im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit häufig vorkommt. Man spricht dann von einer sekundären oder stellvertretenden Traumatisierung.

Viele Menschen erleben im Laufe ihres Lebens ein oder mehrere traumatische Erlebnisse. Unmittelbar danach treten in den meisten Fällen Symptome wie sich aufdrängende Erinnerungen, Albträume, körperliche Anspannung oder Schlafprobleme auf. Häufig werden auch Gefühle wie Angst, Wut, Trauer und Verzweiflung erlebt. Das ist zunächst normal und bedarf noch keiner Behandlung, Betroffene sollten sich schonen und Dinge unternehmen, die ihnen guttun und sie auf andere Gedanken bringen können. Bei den meisten Menschen lassen diese Symptome nach einigen Wochen nach. Bei anderen bleiben sie jedoch auch Monate oder Jahre nach dem Erlebnis noch bestehen und die Betroffenen entwickeln eine PTBS.

Zu den Symptomen der PTBS zählt vorrangig das Wiedererleben. Dabei handelt es sich um unangenehme und ungewollte Erinnerungen an das traumatische Erlebnis. Diese Erinnerungen können in Form von Gedanken, Bildern, Albträumen, Geräuschen, Gerüchen oder auch körperlichen Empfindungen auftreten. Häufig werden diese Erinnerungen als sehr lebendig erlebt und können von körperlichen Reaktionen wie Herzrasen, Zittern oder Schwitzen begleitet werden. Manche Erinnerungen sind so stark, dass sich die Betroffenen „wie im Film“ fühlen und sie für einen Moment regelrecht Erstarren und den Bezug zur Gegenwart und der Realität verlieren.

Die Erinnerungen werden oft durch bestimmte Hinweisreize („Trigger“) ausgelöst, die in Zusammenhang mit dem traumatischen Erlebnis stehen. So drängten sich bei Herrn B. verstärkt unangenehme Erinnerungen auf, wenn er Scheinwerfer von Autos sah oder wenn er im Alltag plötzliche laute Geräusche hörte, die ihn an das dumpfe Geräusch seines Aufprallens auf dem Asphalt erinnerten. Andere Erinnerungen kamen völlig „aus dem Nichts“, die Herr B. als besonders bedrohlich empfand und Gefühle der Hilflosigkeit und starker Angst in ihm auslösten.

Als weiteres Symptom gilt die negative Veränderung von Gedanken und Gefühlen über sich selbst, andere Menschen oder die Welt. Beispiele für solche veränderten Gedanken sind „ich bin ein schlechter Mensch“, „die Welt ist gefährlich“, „meine Zukunft ist ruiniert“ oder „ich kann niemandem mehr vertrauen“. Betroffene empfinden darüber hinaus anhaltende negative Gefühle wie Angst, Wut, Scham oder Schuld. Vor dem Unfall war Herr B. ein zuversichtlicher, unbeschwerter und selbstbewusster Mensch. Nach dem Unfall merkte er, dass er ein negatives Weltbild entwickelt hatte, sich allgemein viel vorsichtiger verhielt und sich selbst die Schuld an dem Unfall gab oder sich fragte, ob er nicht hätte langsamer oder konzentrierter fahren sollen. Auch mit seinen Angehörigen stritt er häufiger, da er oft gereizt war und ihn schon Kleinigkeiten wütend machten. Verstärkt wurde dies noch dadurch, dass er schlecht schlief und häufig in der Nacht von Albträumen an den Unfall geweckt wurde und er sich dadurch durchgehend angespannt und überlastet fühlte. Dies beschreibt den dritten Symptomkomplex, nämlich die Übererregung und körperliche Anspannung, die durch eine erhöhte Aktivierung des autonomen Nervensystems verursacht wird. Das bedeutet, dass der Körper ständig in einer „Hab-Acht-Stellung“ ist, als ob jederzeit wieder ein traumatisches Ereignis auftreten könnte.

Zuletzt entwickeln Betroffene ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten vor Dingen oder Situationen, die sie an das Trauma erinnern, wie z.B. die bereits erwähnten Trigger. Herr B. merkte schnell nach dem Unfall, dass er sich angespannt fühlte, wenn er mit dem Fahrrad fuhr, außerdem mied er es, bei Abenddämmerung rauszugehen, da sich der Unfall in den Abendstunden ereignete. Wenn er zur Arbeit fuhr, nahm er einen Umweg in Kauf, da er nicht an der Unfallstelle vorbeikommen wollte. Darüber hinaus versuchte er, alle Gedanken und Gefühle, die mit dem Unfall in Zusammenhang standen, zu unterdrücken und sich bei deren Auftreten möglichst schnell mit etwas anderem abzulenken. Das Vermeidungsverhalten führte zunächst dazu, dass sich seine Angst und Anspannung kurzfristig reduzierten, langfristig bemerkte er jedoch, dass er dadurch im Alltag immer mehr eingeschränkt wurde und es viel Kraft kostete, sich ständig abzulenken. Nach dem Unfall trank Herr B. vermehrt Alkohol, da dies die Anspannung reduzierte und er sich entspannter fühlte. Gleichzeitig bemerkte er, dass er dann noch schlechter schlafen konnte und er sich am nächsten Tag auf der Arbeit schlechter konzentrieren konnte, wodurch sein Ärger und seine Schuldgefühle noch weiter verstärkt wurden. Am liebsten sei ihm gewesen, er hätte den Unfall aus seinem Gedächtnis „streichen“ könne, als wäre er niemals passiert.

An diesem Punkt setzt die Behandlung der PTBS an. In seiner Psychotherapie lernte Herr B., dass die Vermeidung langfristig zur Aufrechterhaltung der Störung beitrug, da sie die angemessene Verarbeitung des Traumas verhinderte. Seine Psychotherapeutin verglich den Effekt mit einem aufgeblasenen Wasserball, den man mit aller Kraft versucht unter Wasser zu drücken. Wenn man kurz abgelenkt ist oder einem die Kraft ausgeht, schnellt der Ball an die Oberfläche und das umso stärker, je tiefer und kraftvoller man ihn nach unten gedrückt hat. Ähnlich verhält es sich mit den unterdrückten Gefühlen und Erinnerungen, die Herrn B. mit voller Wucht einholten, wenn er sich einmal nicht ablenken konnte. Er traute sich auch, den Unfallort wieder aufzusuchen und Fahrrad zu fahren, zunächst begleitet durch die Psychotherapeutin, anschließend auch eigenständig. Auch wenn dies zunächst eine Verstärkung der Anspannung und der unangenehmen Erinnerungen führte, reduzierte sich diese langfristig. Er erkannte darüber hinaus den negativen Effekt des übermäßigen Alkoholkonsums und stellte diesen ein. Darüber hinaus ging er wieder mehr seinen vorherigen Hobbies nach und erlebte zunehmend eine positive Stimmung. Obwohl er den Unfall nie völlig vergessen und er sich zeitweise an ihn erinnern wird, lösen diese Erinnerungen heute keine negativen psychischen und körperlichen Reaktionen aus. Er konnte den Unfall als einen Teil seiner Biographie anerkennen.

Auch wenn es sich bei der PTBS um eine schwere und für die Betroffenen belastende psychische Erkrankung handelt, gibt es zahlreiche Studien, die die Wirksamkeit vieler Behandlungsmethoden belegen. Betroffene können sich an psychologische/ärztliche Psychotherapeut*innen oder Fachärzt*innen für Psychiatrie oder Psychosomatische Medizin und Psychotherapie wenden. Eine Behandlung kann im ambulanten oder stationären Setting stattfinden.

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