Wenn der Rücken schmerzt
Rehabilitation als wirksames Mittel zur Linderung und Heilung
Von Ilias Fanoulas, M.Sc., M.Sc., Bad Harzburg
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Was sind die Ursachen von Rückenschmerzen, Herr Fanoulas?
Die Gründe für Rückenschmerzen können unterschiedlich sein. Zunächst sollten wir uns vor Augen halten, dass der Rücken jeden Tag großen Belastungen ausgesetzt ist. Schmerzen sind zunächst Warnsignale unseres Körpers. In vielen Fällen handelt es sich bei Rückenschmerzen um funktionell begründete, nicht-spezifische Schmerzen. Oft sind sie durch fehlende Bewegung und schwach ausgebildete Muskulatur, falsche Haltung, zu langes Sitzen oder Arbeiten in sogenannten Zwangshaltungen, wie etwa bei Fliesenlegern oder Büroangestellten, begründet. Zudem kann Stress die Schmerzen triggern, möglicherweise auch auslösen. Denn er führt nicht selten zu Verspannungen und Verhärtungen von Muskelgruppen, welche sich über sog. Muskelketten Symptome fern des Rückens bemerkbar machen. Spezifische Rückenschmerzen sind in der Regel auf einen sogenannten Verschleiß zurückzuführen: etwa Bandscheibenvorfälle, Arthrose der Wirbelgelenke oder Entzündungen. Bei chronischen Rückenschmerzen wirken die Strukturfaktoren wie Bandscheibendegenerationen, Funktionsprobleme und Stress in der Regel zusammen.
Was hilft, wenn der Rücken schmerzt?
Zunächst helfen bereits Bewegung und ausgleichende Übungen. Keinesfalls sollten Betroffene den Rücken schonen, an der Arbeit mit den Muskeln führt kein Weg vorbei. Außerdem tragen ein möglichst stressfreier, ausgeglichener Lebensstil und eine gesunde Ernährung zusätzlich zur Gesundheit bei. Wenn aber die Schmerzen länger andauern, ist es an der Zeit, die Ursache zu ermitteln.
Wie geht es weiter, wenn die Eigeninitiative nicht wirkt?
Das hängt von der Ursache ab. Es gibt Fälle, bei denen eine Operation unausweichlich ist: zum Beispiel bei Lähmungserscheinungen, therapieresistenten Schmerzen, nach Unfällen oder bei Wirbelbrüchen. Allerdings ist die operative Intervention in manchen anderen Fällen nur das letzte Mittel. Stattdessen ist die Rehabilitation eine nachhaltige, konservative und unumgängliche Methode, um Schmerzen erheblich zu lindern oder beschwerdefrei in den Alltag beziehungsweise in das Berufsleben zurückzukehren. Nehmen wir die Beispiele degenerative Veränderungen, Bandscheibenvorfälle (ohne neurologische Ausfälle) oder Skoliose: Heute werden sie in den wenigsten Fällen operiert, schon deshalb, weil der Eingriff für den Körper belastend ist. In der Herzog-Julius-Klinik Bad Harzburg zählen Rückenschmerzen, ob nun spezifisch oder funktionell begründet, zu den häufigsten Gründen für eine Rehabilitationsmaßnahme.
Wie kann die Rehabilitation Rückenleiden heilen?
Ziel ist die Wiederherstellung der Funktions- und Leistungsfähigkeit – ob als konservative Behandlung, aufgrund psychosomatisch ausgelöster Rückenschmerzen oder auch nach einer Operation. Wir orientieren uns in der Klinik an einem biopsychosozialen Konzept. Das heißt, dass wir die Patienten immer ganzheitlich betrachten und körperliche, seelische, wie auch soziale Faktoren berücksichtigen. Wir lindern nicht nur die Symptome, sondern gehen die Ursache gezielt an. Dabei ist es unser Anliegen, beispielsweise den Umgang mit dem Rückenleiden zu schulen, die Ernährung umzustellen, das Selbstbewusstsein zu stärken, Selbstheilungskräfte zu aktivieren oder auch Risikofaktoren zu reduzieren. Psychische, soziale oder familiäre Belastungen wie zum Beispiel Konfliktsituationen, lange Arbeitslosigkeit oder eine starke Arbeitsbelastung, wie fehlende Work-Life-Balance, Anerkennung oder Diskriminierung spielen bei Rückenschmerzen eine erhebliche Rolle. Werden die Rückenschmerzen chronisch, sollte man nicht auf das Kreuz, sondern auf den „Kopf“ schauen. Um das physiologische Gefühl für den eigenen Körper wiederzubekommen, setzen Schmerzexperten auf psychologische Unterstützung, Entspannung und Verhaltenstherapie.
Welche speziellen Angebote gibt es während der Reha?
Der persönliche Rehabilitationsverlauf ist maßgeblich durch Maßnahmen in der Physio- und Bewegungstherapie, Krankengymnastik, Wassergymnastik in unserem Bewegungsbad oder durch Sporttherapie geprägt. Dazu kommen Rückenschule, Ergotherapie oder auch die physikalische Therapie wie Elektrotherapie und Massagen. Angstsymptome etwa vor den Schmerzen können ergänzend durch unsere psychologische Beratung aufgegriffen werden und nicht zuletzt ist es wichtig, rückenschonendes Verhalten oder den Umgang mit Hilfsmitteln zu schulen. Um Schmerzblockaden schnell zu lösen, haben wir uns außerdem speziell im Bereich der Triggerpunkttherapie, der Neuraltherapie und der Akupunktur mit gezielt ausgebildeten Experten aufgestellt.
Versprechen Triggerpunkttherapien nicht nur kurzweilige Linderung?
Triggerpunkte sind Verhärtungen des Muskelgewebes, die auch in andere Körperregionen ausstrahlen – zum Beispiel von der Schulter in den Arm oder sie verursachen Kopfschmerzen. Viele Menschen können sie sogar selbst ertasten, denn sie schmerzen, wenn wir Druck ausüben. Die Behandlung erfolgt durch manuelle Druckmassagen oder Akupunktur. Vorteil ist die Wiederherstellung der normalen Blutzirkulation, die Entspannung der Muskeln und damit die schnelle Linderung des Schmerzes. Natürlich ist das keine Option, um Rückenschmerzen dauerhaft zu begegnen. Aber sie kann sehr gut dabei helfen, im ganzheitlichen Therapiekonzept den Rehabilitationsverlauf positiv zu beeinflussen. Sind die Schmerzen schnell reduziert, stärkt das die Motivation der Patienten bei weiteren Übungen.
Rückenschmerzen sind eine der häufigsten Ursachen für den Ausfall am Arbeitsplatz.Es gibt den berühmten Ansatz „Reha vor Rente“. Wie tragen Sie diesem Rechnung?
Jeder Arbeitsplatz hat eigene Anforderungen – und viele bergen Risiken für die Rückengesundheit. Die Deutsche Rentenversicherung schätzt den Anteil der orthopädischen Patienten mit besonderen beruflichen Problemlagen (BBPL) auf etwa 30 Prozent. Dieser Anteil ist besonders in Regionen mit schlechtem Arbeitsmarkt oder in Berufen mit hoher körperlicher Beanspruchung hoch. Ob als Schlosser, im Homeoffice oder im Büro vor dem Computer: Es fehlt an vollwertiger Bewegung, der Sitzplatz ist nicht ergonomisch, die Sitzhaltung falsch. Als moderne Rehabilitationsklinik haben wir früh auf das Programm der medizinisch-beruflich orientierten Rehabilitation gesetzt. Die meisten Menschen kennen das Angebot unter der Abkürzung MBOR. Dabei ist das wichtigste Ziel neben der Verbesserung des Gesundheitszustandes auch die Erwerbsfähigkeit der Patienten zu erhalten.
Wie wird der Beruf dabei aufgegriffen?
Der Beruf und die damit verbundenen Probleme werden bei allen Maßnahmen der Rehabilitation berücksichtigt. Bei einem Büroangestellten werden beispielsweise gezielt Nacken- und Schultermuskulatur aufgrund der Haltungsprobleme trainiert oder bei Pflegefachkräften die Beanspruchung der Lendenwirbel beachtet. Es gibt zudem etwa ein spezielles Therapiesetting, das Übungen in einem von uns bereitgestellten „Arbeitsumfeld“ ermöglicht. Betroffene erproben unter ergotherapeutischer Unterstützung die Rückkehr dorthin und lernen, wie sie Problemen eigenständig begegnen können, um Rückfälle zu vermeiden. Auch der Umgang mit Stress oder der Aufbau des Selbstwertgefühls spielen eine wesentliche Rolle. Im Idealfall kehrt der Arbeitnehmer bei einer nachhaltig wirksamen und erfolgreichen Rehabilitation an seinen Arbeitsplatz zurück. Das gelingt sehr häufig und ist nicht nur höchstes Ziel, sondern auch für unser gesamtes Team jeden Tag Antrieb und Motivation.