Implantologie
Es fehlt Knochen – was nun?
Von PD Dr. med. Dr. med. Eduard Keese, Braunschweig | Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Nils Claudius Gellrich, HannoverSchließlich kommen psychologische Faktoren hinzu, speziell dann, wenn die Frage entsteht, ob körpereigene Transplantate oder Fremdmaterialien eingesetzt werden sollen. Es wird letztlich im Einzelfall entschieden, welches Verfahren anzuwenden ist. Gehen Zähne verloren, baut der Körper den nicht mehr belasteten Knochenanteil ab. Für ein Zahnimplantat muss aber ausreichend Knochenvolumen vorhanden sein. Es muss zwar nicht jedes Knochendefizit aufgebaut werden, jedoch sind gerade Fälle mit hohem ästhetischem Anspruch oder nach langer Zahnlosigkeit ohne die aufbauenden Techniken kaum zu lösen.
Ein kleineres Knochendefizit kann mit Knochenersatzmaterialien aufgefüllt werden. Direkt bei der Implantation kann solch ein Defekt meistens aufgebaut werden. Häufig werden Knochenspäne beigemischt (Abb. 1a, 1b).
Abb. 1a: Knochendefekt (KD) an einem Keramikimplantat. Das Zahnfleisch zieht sich zurück und der Zahn wirkt dadurch optisch zu lang.
Abb. 1b: Nach Implantatentfernung, Kieferaufbau mit einem Fremdmaterial und erneuter Implantatversorgung. Verschiebung der Rot-Weiß-Grenze unter das Niveau der Nachbarzähne
Eigenknochen
Ein größeres Knochendefizit wird häufig durch einen separaten Eingriff ausgeglichen. Dabei wird entnommener Eigenknochen transplantiert. Dieses körpereigene Gewebe bildet nach der Einheilung ein stabiles Fundament für die Implantate.
Es können damit zu schmale oder zu flache Kieferbereiche aufgebaut werden. Der gewonnene Knochen wird mit kleinen Schrauben fixiert und muss in der Regel 4 – 6 Monate heilen (Abb. 2). Erst danach werden die Implantate gesetzt. Diese heilen dann auch etwa drei Monate ein und danach folgt die Prothetik – ein langer Weg, der gut geplant werden will.
Abb. 2: Schema – ein separat entnommenes Knochenstück wird mit kleinen Schrauben fixiert. Später werden die kleinen Schrauben entfernt und gleichzeitig ein Implantat gesetzt.
Je nach Größe des Knochendefizits kann die Knochenentnahme in der Mundhöhle selbst erfolgen (Abb. 3) oder in extremen Fällen auch aus der Hüftregion.
Abb. 3a: Kieferdefekt (KD) in Nervnähe (N) – ausgelöst durch einen zerstörten Zahn (Z)
Abb. 3b: Defektaufbau durch Transplantate vom Unterkiefer (T) – Fixierung mit Mikroschrauben
Abb. 3c: Eingeheilte Implantate (I) bereits nach der Freilegung – vor der Prothetik
Sinuslift
Der sogenannte Sinuslift ist ein operatives Verfahren, den Oberkiefer im Bereich der Backenzähne zu erhöhen. Gerade in dieser Region gibt es verschiedene anatomische Variationen und häufig auch Situationen nach Zahnverlusten, bei denen der Kiefer stark reduziert ist und das Implantatlager aufzubauen ist.
Im Eingriff wird zunächst die Kieferhöhlenschleimhaut angehoben und dann das Aufbaumaterial der Wahl eingebracht (Abb. 4). Dies lässt sich in örtlicher Betäubung, in einem Dämmerschlaf (Sedierung) oder einer Vollnarkose durchführen. Es treten danach Schmerzen auf wie bei einer Zahnentfernung. Allerdings können die Schwellungen ausgeprägter sein. Die Komplikationen sind sehr gering und sehr selten.
Abb. 4a: Im Bereich der Zahnlücke ist der Kiefer nur wenige Millimeter stark
Abb. 4b: Kieferaufbau durch Sinuslift und gleichzeitige Implantatversorgung
Abb. 4c: Bildung eines neuen Kieferhöhlenbodens und eines stabilen Implantat-Knochen-Verbunds
Je nach individueller Situation wird das Implantat gleichzeitig oder nach einem Intervall von bis zu zwölf Monaten in einem zweiten Eingriff gesetzt. In diesem Fall ist zwar die Wartezeit auf die definitive Versorgung länger, jedoch bietet sich eine größere Sicherheit, das Implantat erst nach erfolgreicher Kieferregeneration zu setzen.
Man unterscheidet zwischen innerem und äußerem Sinuslift. Die Kieferhöhle wird bei äußerem Sinuslift über die Mundhöhle im Bereich der Wange operativ dargestellt, um einen Aufbau unter Sicht einbringen zu können. Beim inneren Sinuslift wird der Implantatkanal (das Bohrloch für das Implantat) zur Platzierung des Knochenmaterials genutzt. Dieser Kanal wird vorsichtig unter Schonung der Kieferhöhlenschleimhaut (die Kieferhöhle selbst bleibt ungeöffnet) durchstoßen. Das Knochenmaterial wird dann durch diesen Kanal platziert. Dieses Verfahren wird oftmals allerdings nur für kleinere Aufbauten genutzt.
Kallusdistraktion
Als modernes Verfahren für die Wiederherstellung des Kieferfortsatzes konnte sich die sogenannte Kallusdistraktion etablieren, die in der Orthopädie bereits seit langen Jahren für die Verlängerung von Armen und Beinen eingesetzt wird.
Der Vorteil des Verfahrens liegt darin, dass keine körpereigenen Transplantate eingesetzt werden müssen. Stattdessen wird eine Dehnplatte eingebracht und ein Teil des Kiefers von dessen Basis getrennt. Damit lässt sich der Kieferfortsatz kontinuierlich vergrößern. Der Nachteil dieses Verfahrens liegt in der längeren und intensiveren Nachbehandlung.
Es werden täglich 0,5 – 1,0 mm distrahiert und damit der Kieferfortsatz soweit kontinuierlich vergrößert, bis die erwünschte Kieferhöhe erzielt ist (10 – 14 Tage). Nach weiteren 8 – 12 Wochen wird die Dehnplatte entfernt, danach werden die Implantate gesetzt (Abb. 5).
Abb. 5: Typischer Knochendefekt nach jahrelangem Tragen einer Teilprothese. Der Nerv für das Gefühl in der Unterlippe liegt dadurch sehr oberflächlich. Implantate können erst nach Kieferaufbau platziert werden. Der Distraktor (rechts oben) im Ausgangszustand und nach Distraktion (links unten) wurde beim Setzen der Implantate (rechts unten) entfernt.
Fazit
Mithilfe der aufbauenden Techniken können Implantate auch in solchen Fällen gesetzt werden, in denen es früher nicht möglich war. Eine Prothese kann damit so manchem Patienten erspart bleiben.