Artikel erschienen am 01.12.2013
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Schwierige Fälle der Implantologie

Welche Lösungen gibt es bei komplizierten anatomischen Verhältnissen?

Von Dr. med. Dr. med. de Michael Tscherny, Hannover | Dr. med. dent. Farid Ajam, Hannover

In den letzten Jahren hat sich die standardmäßige Verwendung von Zahnimplantaten zum Ersatz von fehlenden Zähnen flächendeckend etabliert. Ein ansprechendes Gesamtergebnis und somit die Zufriedenheit des Patienten basiert maßgeblich auf der kollegialen Zusammenarbeit des chirurgisch tätigen Implantologen und des Zahnarztes. Damit der vom Zahnarzt geplante Zahnersatz adäquat eingesetzt werden kann, müssen die Zahnimplantate zuvor im Kieferknochen stabil eingeheilt sein. Aber welche Möglichkeiten gibt es für Patienten, bei denen schwierige anatomische Verhältnisse vorliegen?

Zahnimplantate – wie sie heute routinemäßig verwendet werden – sind ein Ersatz für verloren gegangene oder nicht angelegte Zähne. Dabei sind die Zahnimplantate im engeren Sinne lediglich ein Zahnwurzelersatz. Auf diese künstlichen Zahnwurzeln, die in den meisten Fällen aus einer Titanschraube bestehen, kann prinzipiell jede Art von Zahnersatz (Kronen, Brücken, Prothesen) befestigt werden.

Heutzutage hat sich bei der Planung von Zahnersatz auf Implantaten das sogenannte „Backward Planning“ durchgesetzt. Das bedeutet, dass im Idealfall der Zahnarzt aufgrund des mit dem Patienten zusammen geplanten Zahnersatzes die ideale Position und Anzahl der Zahnimplantate festlegt. Der Chirurg überprüft anhand dieser Planung die patientenbezogenen Möglichkeiten, an den gewünschten Positionen Implantate einzubringen. In der Planung hat sich insbesondere für komplizierte Ausgangssituationen neben den klassischen digitalen zweidimensionalen Röntgenaufnahmen der Kiefer die dreidimensionale dentale Volumentomografie (DVT) etabliert. Somit kann im Vorfeld einer Implantation eine adäquate Diagnostik durchgeführt werden, die das operative Vorgehen für den Patienten optimiert und den Erfolg sichert.

Weichgewebe
Eine Implantation kann durch schlechte Weichgewebsverhältnisse (Zahnfleisch, Mundschleimhaut) erschwert werden. Störende Lippen- oder Wangenbänder können vor oder bei der Implantation entfernt werden, fehlendes Gewebe zur Abdeckung des Operationsgebiets gewinnt man durch Verschieben der angrenzenden Weichteile (sogenannte Lappenplastiken). Ist ein Implantat lediglich von beweglicher Mundschleimhaut umgeben, kann die Situation durch eine Transplantation von Zahnfleisch z. B. vom Gaumen maßgeblich verbessert werden.

Platzangebot

Gerade bei der Nichtanlage von Zähnen – aber auch, wenn eine Lücke schon längere Zeit besteht und die restlichen Zähne sich verschoben haben – liegen sehr schmale Zahnlücken vor, die eine Implantation erschweren. Ein möglicher Lösungsansatz ist das kieferorthopädische Aufdehnen der Lücke mittels einer festsitzenden Apparatur („Zahnspange“) bis zum Erreichen der notwendigen Breite. Eine andere Möglichkeit ist die Verwendung durchmesserreduzierter („schmaler“) Implantate (Abb. 1a – d). Hierbei sind eine umfassende Planung und ein gewebeschonendes operatives Vorgehen zwingend notwendig, um wichtige Nachbarstrukturen (Zähne, Nerven, Nasenboden, Kieferhöhle) nicht zu gefährden.

Abb. 1a: Schmale Frontzahnlücke Abb. 1b: 3D-Implantatplanung

Knöcherndes Implantatlager

Ein häufiges Problem in der Versorgung der Kiefer mit Zahnimplantaten ist das Fehlen eines ausreichenden Knochenangebots. Zur stabilen Einheilung – die Grundvoraussetzung für eine spätere Belastung der Implantate mit Zahnersatz – muss das Implantat komplett von Knochen umgeben sein. Diese Voraussetzung bietet der eigene Kieferknochen an der geplanten Position des Implantats häufig nicht. Der Knochen kann zu schmal und/oder zu flach sein. Des Weiteren können wichtige anatomische Strukturen (Gefühlsnerv der Unterlippe, Kieferhöhle) die Ausdehnung des Implantats limitieren.

Knochenaufbauten

Das klassische Vorgehen, um trotz fehlenden Knochens eine Implantation erfolgreich vornehmen zu können, ist der Aufbau des Kieferknochens. Dieser kann je nach Situation zeitgleich zur Implantation oder aber in einer vorgezogenen Operation erfolgen. Konnte früher nur der eigene Knochen des Patienten zum Kieferaufbau verwendet werden, so kann man heute in den meisten Fällen auf die Knochenentnahme – z. B. aus dem Becken – verzichten. Körperfremde Materialien (alleine oder in Kombination mit eigenem Knochen) werden im Bereich des Knochendefizits eingebracht und im Laufe der Zeit zu körpereigenem Knochen umgebaut, sodass der für die Zahnimplantate notwendige Knochen neu gewonnen wird. Dieses Verfahren findet sowohl im Oberkiefer (Abb. 2a – b) als auch im Unterkiefer (Abb. 3a – b) Anwendung, sodass Zahnersatz auf Implantaten auch bei größeren Knochenverlusten in vielen Fällen möglich ist.

Abb. 1c: 3D-Implantatplanung Abb. 1d: Schmales Implantat

Abb. 2a  b: Knochenaufbau im Oberkiefer (Kombination aus einem Knochenblock aus dem Seitenzahnbereich und Knochenersatzmaterial)

Längenreduzierte Implantate

Moderne Implantatsysteme zeigen durch innovative Entwicklungen beim Mikro- und Nanodesign eine verbesserte Einheilung, haben eine größere Kontaktfläche zum Kieferknochen und halten dadurch in aller Regel dauerhaft. Somit ist auch die Möglichkeit gegeben, längenreduzierte Implantate zu verwenden und fehlende Zähne langfristig erfolgreich durch Implantate zu ersetzen. Durch den Einsatz von kurzen Implantaten kann bei richtiger Indikation sowohl die Behandlungsdauer und Anzahl der Eingriffe sowie die Belastung für den Patienten reduziert und somit der Patientenkomfort erhöht werden. Längenreduzierte Implantate werden vor allem im Seitenzahngebiet des Ober- und Unterkiefers als Alternative zu aufwendigen Knochenaufbaumaßnahmen bzw. zur Vermeidung von chirurgischen Risiken verwendet (Abb. 4a – b). Aufgrund der modernen Oberfläche und der stabilen Verbindung zwischen Implantat und Zahnaufbau ist die Prognose dieser Implantate ebenso gut wie die von „normal“ langen Implantaten.

Abb. 3a – b: Knochenaufbau im Unterkiefer (alleiniger Aufbau des Knochendefekts mit Knochenersatzmaterial)

Abb. 4a – b: Längenreduzierte Implantate

Langfristiger Erfolg als Ergebnis von Erfahrung

Erfreulicherweise zeigt sich, dass auch bei Implantaten, die unter schwierigen anatomischen Verhältnissen eingebracht werden, die beobachteten Ergebnisse nicht von denen der „einfachen“ Implantate abweichen. Langzeitstudien belegen eine generelle Erfolgsquote von mehr als 90 % nach 20 Jahren. Allerdings ist gerade bei komplizierten Situationen neben einer adäquaten Planung sowohl von zahnärztlicher als auch von chirurgischer Seite das sorgfältige Vorgehen eines erfahrenen Behandlers für den dauerhaften Erfolg maßgeblich. Unter diesen optimalen Voraussetzungen ist heutzutage eine Vielzahl von Situationen implantologisch für den Patienten zufriedenstellend umsetzbar.

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